Samstag, 4. September 2010

Schattenkünstler

In einer Welt von "es könnte sein und ich würde so gern", gefangen zwischen ihrem Traum vom Künstlersein, der Angst vor dem nicht gut genug sein und dem Versagen, leben die Schattenkünstler.

Schattenkünstler sind begabte Menschen, sensible, kreative Naturen mit Gaben, die gelebt werden wollen. Voller schöpferischer Energie, die brach liegt, die verpufft, aus dem Mangel am Glauben an die eigenen Potentiale. Meist wurde sie irgendwann, von irgendwem zunichte gemacht.

Ich denke dabei an Lisa, die jahrelang keinen Pinsel, keinen Zeichenstift in die Hand nahm, weil ein Lehrer ihre Arbeiten als Schrott bezeichnete. Sie hat diesem Lehrer geglaubt, mehr als sich selbst. Sie hat seinem Urteil vertraut, mehr als ihrem inneren Wissen, mehr als ihrem Antrieb malen zu müssen. Er liegt brach und ihre Seele hungert. In dem Glauben erwachsen geworden, dass sie keine Künstlerin ist, hat sie ihre Gabe verschenkt und damit ihr Lebensglück.

"Kunst, davon kann man keine Miete zahlen." Wie oft höre ich das. "Künstler sind brotlos, verrückt, schwierig." Auch das höre ich. Der Mythos vom Künstler ist in unserer Gesellschaft mit Negativem besetzt, es sei denn der Künstler ist erfolgreich. Nur selten erlauben Eltern angesichts des Mythos vom hungernden Künstler ihren Kindern eine Ausbildung als Künstler anzustreben. Sie meinen es wohl gut, wollen ihr Kind bewahren vor dem Scheitern.

Seine Kreativität nicht ausleben zu dürfen, es sich selbst verbieten, das zu tun, was man tun muss, führt zu einem noch tieferen Scheitern, als jenes, dass unsere Gesellschaft für ein Scheitern hält. Innerlich scheitern ist das wahre Drama. Die eigene Kreativität unterdrücken heißt die eigene Schöpferkraft unterdrücken. Es hinterlässt eine gähnende Leere, die durch nichts zu füllen ist.

Solche Menschen, die eigentlich Künstler sind, jedoch ihre wahre Identität verleugnen, sieht man sehr oft im Schatten von anderen Künstlern.

Diese anderen Künstler sind wie ein Spiegel, der dazu dient ihre Unfähigkeit zu erkennen, der ihnen zeigen soll, dass sie vielleicht selbst die Kreativität besitzen, die sie so bewundern. Schattenkünstler treffen oder gehen Beziehungen ein mit Menschen, die ihre künstlerische Karriere aktiv verfolgen, nach der sie sich selbst sehnen. Da ist dann der Andere, der ihren Traum stellvertretend für sie auslebt.

Schattenkünstler wählen oft Schattenkarrieren, die dem begehrten Künstlerleben nahe sind. Sie texten für andere, anstatt selbst zu schreiben, sie managen andere, anstatt sich selbst zu managen, sie sprechen für andere, anstatt für sich selbst zu sprechen. Sie vertreten andere, anstatt für sich selbst und ihre Gaben einzutreten.

Da ist dieser Traum, dieses Verlangen, dieses Gefühl und gleichzeitig dieses Unvermögen ihre wahre Rolle anzunehmen. Diese Rolle leben bedeutet: raus aus dem Schatten und hinein ins Licht der eigenen Begabung. Insgeheim verurteilen sich sich selbst, dass sie ihre Träume nicht leben.

All diese Schattenkünstler haben eins gemeinsam - eine tiefe Sehnsucht und ein Leben, das ein unbefriedigendes Ereignis ist, begleitet von dem Gefühl von verfehltem Sinn und unerfüllter Hoffnung.

Es gibt nur einen Weg aus dem Schattenkünstler einen Künstler werden zu lassen: er muss die Angst verlieren, unrecht zu haben.




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