Dienstag, 12. Dezember 2023

Empathie und Mitgefühl - die dunkle Seite



Es ist wichtig und gut, offen und zugeneigt zu sein, sonst kann ich keine Empathie entwickeln. 

Es ist wichtig und gut, mich abzugrenzen, sonst spült mich meine Empathie weg.

 

Der Begriff Empathie in der Psychologie entstand erstmals zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Der deutsche Psychologe Theodor Lipps verstand darunter „ein inneres Mitmachen, eine imaginierte Nachahmung des Erlebens des Anderen“.

Empathie beruht auf Resonanz. Empathie ist die Fähigkeit mitzuschwingen und sich in die Gefühle anderer einzufühlen, man hat Anteil am anderen Menschen, kurz: Man hat Einfühlungsvermögen. Mitgefühl dagegen geht noch weiter: Mitgefühl möchte aktiv dazu beitragen, dass es dem anderen besser geht. Mitgefühl ist liebevolle Zuwendung und Fürsorge anderen gegenüber.

 

Empathie haben viele. Mitgefühl ist schon seltener zu finden. 

Sogar Menschen die unter einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung leiden, können sich in andere einfühlen. Sie können sehr gut erkennen, was andere Menschen fühlen, denken und beabsichtigen, daher können sie andere auch so gut manipulieren, sie empfinden jedoch kein Mitgefühl.

 

Empathen und mitfühlenden Menschen fällt es oft schwer Grenzen zu ziehen. Sie sind derart empfänglich für die Gefühle, Bedürfnisse und Nöte anderer, dass sie sich dabei selbst vergessen oder an zweite Stelle setzen.

Oft liegt gerade bei Empathen, die für allen und jeden Mitgefühl haben, genau darin eine innere Ambivalenz. Ihr Mitgefühl für alles und jeden ist nicht selten eine Übertragung (unbewusste Gefühle, Wünsche, Sinnesempfindungen oder Verhaltensmuster aus wichtigen vergangenen Beziehungenwerden werden in gegenwärtigen Beziehungen aktualisiert (Projektion) der eigenen fehlenden Erfahrungen von Mitgefühl durch andere auf andere. Da ist ein innerer Mangel, der unbewusst dadurch erfüllt werden soll, dass anderen gegeben wird, was dem Selbst fehlte oder fehlt. Da ist etwas gut zu machen, wenn schon nicht bei sich selbst, dann durch das Mitgefühl für andere.

 

Nicht selten entwickelt sich daraus ein Helfersyndrom. Dem anderen wird die Hilfe gegeben, die sich das Selbst wünscht(e) aber nicht bekommen hat und nicht bekommt. Manche betreiben das bis zu Selbstaufgabe. Sie fühlen sich nur gut indem sie zu anderen gut sind. Ihr Mitgefühl fungiert als Abwehr von innerer Leere, eigenen Bedürfnissen und Ängsten. Sich selbst vergessen oder sogar aufzuopfern, zeugt jedoch davon, dass diese Menschen Mitgefühl für sich selbst gar nicht empfinden können. Denn wer schadet sich selbst, wenn er sich selbst mitfühlend erlebt? Niemand.

 

Echtes Mitgefühl bedeutet zuallererst mitfühlend mit sich selbst zu sein. Sind wir das nicht, projizieren wir auf andere. 

Damit kommt es nicht aus einem vollen mitfühlenden Herzen, sondern aus einem leeren Herzen, dass verzweifelt nach Fülle sucht. Dieses Herz spürt nicht wo es selbst aufhört und wo der andere anfängt. Der Mitfühlende identifiziert sich unbewusst mit dem, dem er Mitgefühl entgegenbringt, auch wenn er einen Preis dafür zahlt – nämlich Selbstverleugung und Selbstausbeutung.

 

Mitfühlende Menschen, besonders Menschen aus helfenden Berufen geraten dabei selbst oft an den Rand ihrer Kräfte. 

Sie geben anderen die Fürsorge, die sie sich selbst nicht geben und brennen langsam ab wie eine Kerze. Compassion Fatigue (Mitgefühlsermüdung)  Burnut und Depressionen sind die Folge. TherapeutInnen und MedizinerInnen weisen empirisch belegt eine höhere Suizidrate auf als die Allgemeinbevölkerung auf. Die Selbsttötungsraten sind nach den Ergebnissen von 14 internationalen Studien sogar 2,5-5,7-fach höher als bei vergleichbaren Nichtmedizinerinnen.

 

Der Psychoanalytiker Wolfgang Schmidbauer beschrieb vor über 40 Jahren erstmals das Helfersyndrom in seinem Buch „Hilflose Helfer“. Schmidbauer beschreibt wie Helfer sich selbst blockieren und, nicht einfach das an sich anwenden können, was sie ihren Klienten täglich raten.

Zitat: Nächstenliebe als Beruf zieht jene Menschen an, die das Gefühl haben, zu wenig Liebe erhalten zu haben. Jemand hilft, weil eigentlich selbst Hilfe gebraucht wird. Ein Leben ganz im Sinne des Über-Ichs schützt das Ich vor dem Erleben jeglicher Ohnmachtsgefühle. So kann das Helfen genutzt werden, um den fehlenden Selbstwert zu erhöhen und Anerkennung zu erhalten. Da das Bedürfnis jedoch so groß ist und die Quellen beschränkt sind (der Selbstwert macht sich fast ausschließlich von außen über das Helfen als Zufuhr fest), ist immer mehr Energie (Helfen) notwendig, um den nötigen Selbstwert aufrecht zu erhalten. Da der Helfer aufgrund seines Über-Ichs und seines Ich-Ideals keine negativen Gedanken und Gefühle zulassen kann, steigt sein Aggressionspotential insgeheim immer mehr an und muss letztendlich doch irgendwie eine Öffnung finden.“

 Schmidbauer macht ausführlich deutlich, dass zu viel Mitgefühl und in Folge das Helfersyndrom als Möglichkeit fungiert, die narzisstische Kränkung der Kindheit, scheinbar zu bewältigen.

 

Empathie und Mitgefühl haben also wie alles zwei Seiten.

 

Mitfühlend zu sein bedeutet nicht alle Grenzen abzubauen. Gesundes Mitgefühl bedeutet nicht, dass wir es immer allen recht machen, ihnen alles geben, was sie wollen und alles zulassen was sie tun, auch wenn es unheilsam ist, für sie selbst und für uns. Es bedeutet auch nicht immer lieb und nett zu sein. Und es bedeutet nicht alles zu verstehen und alles zu entschuldigen.

 

Grenzen ziehen ist Ausdruck des Mitgefühls mit uns selbst.

Angemessene gesunde Grenzen ziehen macht einen gesunden Dialog und gesunde Beziehungen überhaupt erst möglich. Zu wissen wo ich aufhöre und wo der andere anfängt, schafft Klarheit und Augenhöhe. Grenzen ziehen heißt - sich selbst behüten, sich hüten vor einer Vermengung des anderen mit sich selbst.

Ohne selbstmitfühlend Grenzen zu ziehen landen wir in der Verstrickung und diese schafft immer Leid.

Grenzen ziehen schafft Klarheit über uns selbst und in uns selbst.

Wo ist es mir zu viel?

Wo gebe ich mehr, als mir gut tut?

Warum mache ich das?

Wo habe ich Verständnis, wo es nicht angebracht ist?

Warum lasse ich zu, dass mich Menschen immer wieder verletzen?

Warum suche ich Entschuldigen für mieses Verhalten, und unterdrücke meine Missbilligung, meine Enttäuschung, mein Verletztsein, meine Kränkung oder meine Wut?

Um diese Fragen zu beantworten müssen wir bereit sein wirklich hinzuschauen und radikal ehrlich zu uns selbst sein.

 

Klarheit über uns selbst und Mitgefühl mit uns selbst führt dazu, dass wir wissen, woran wir sind - mit uns selbst und mit anderen.

Gesundes Mitgefühl heißt also nicht, dass wir keine Grenzen haben. Nur wenn wir unsere Grenzen achten, achten wir wiederum auch die Grenzen anderer.

 

Zur Empathie

Auch sie hat dunkle Seiten und zahlreiche unbeabsichtigte Konsequenzen. Mit den verdrängten Aspekten der Empathie beschäftigt sich das Buch "Die dunklen Seiten der Empathie" von Fritz Breithaupt, Professor für Kognitionswissenschaften. Stichwort: Empathie um der Empathie willen. 


Empathie heißt nicht, keine Gefühle zu haben, keinen Ärger, Abneigung oder Wut zu empfinden. Empathie heißt nicht, alles zu entschuldigen, alles zu verstehen und jedem, der rücksichtlos anderen gegenüber ist und Menschen verletzt aufgrund seiner Persönlichkeitsstörung, seiner Neurose oder seiner Egozentrik, zu entschuldigen. Eine schlimme Kindheit ist kein Grund und schon gar keine Entschuldigung sich anderen gegenüber respektlos ignorant und verletzend zu gebärden.

Empathie heißt auch, nicht zu glauben, alles was mir begegnet, ist ein Spiegel meiner selbst und ich bin selbst verantwortlich, wenn mir Ungutes widerfährt.

Empathie spürt sehr genau, wo etwas unheilsam ist.

 

Empathie und Mitgefühl mit sich selbst ist ein Fürsorgliches zu sich selbst stehen, wenn nötig ein klares Nein zu sagen und sich nicht in Illusionen zu verlieren, dass alle Menschen im Grunde arme Opfer und gut sind. Und man sie doch in Schutz nehmen muss.

Nicht alle Menschen sind gut. Sie sich gut denken, macht sie nicht besser.



 

 

 

 

 

 

 

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