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Wir alle sind durch unsere Erziehung, unsere Erfahrung und unsere Biografie konditioniert, bzw. determiniert. Dadurch entsteht ein sich selbst stabilisierendes und sich selbst aufrecht erhaltendes System, in dem wir in unseren Reaktionstendenzen eingeschränkt sind, bzw. beschränkt sind auf alte Muster, die uns in bestimmten Situationen in den immer gleichen Reaktionsmodus fallen lassen, obwohl wir das nicht wollen und eigentlich besser wissen, wie wir angemessener reagieren könnten.
Aus unseren im Gehirn abgespeicherten Erfahrungen
und Konditionierungen heraus reagieren wir automatisch auf alles was uns
begegnet und widerfährt. Mit anderen Worten: Wir reagieren “gelernt“ auf die Welt.
Wir tun das unbewusst. Wie ein Computer spulen wir gegen unseren Willen immer
wieder die auf unserer Festplatte installierten
alten Programme ab. Auch wenn wir immer
noch glauben wollen, dass wir einen freien Willen haben, wir haben ihn nicht –
unsere Willensfreiheit ist durch unsere Prägungen, unsere Glaubensmuster und
Überzeugungen sogar stark eingeschränkt. Diese Wahrheit begegnet mir in
Veränderungsprozessen meiner Klienten und in meinem eigenen immer dann, wenn es trotz besserer Einsicht nicht
gelingt Verhaltensveränderungen umzusetzen.
Sind wir jetzt aber auf Gedeih und
Verderb unseren Programmen ausgeliefert? Ist Veränderung nicht möglich oder nur
sehr schwer?
Die Erfahrung sagt: Ja. Leider ist es
bei den meisten Menschen so. Zwischen
wollen und können liegt eine schier unüberwindbare Grenze. Und nur wenige Menschen
schaffen es diese zu übertreten um neues, hilfreiches Verhalten zu lernen und
zu leben.
„Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein
Raum. In diesem Raum liegt unsere Macht zur Wahl unserer Reaktion. In unserer
Reaktion liegen unsere Entwicklung und unsere Freiheit“, schrieb der
Psychoanalytiker Viktor Frankl. Und um diesen Raum geht es – den Raum, den wir
selbst schaffen müssen um uns von alten Reaktionsmusterm zu befreien, um freier
zu werden von uns selbst und unseren destruktiven Programmen.
Wie geht das?
Mit Achtsamkeit. Achtsamkeit zeichnet
sich dadurch aus, dass wir uns selbst gewissermaßen selbst wie von außen
betrachten können. Wir achten auf uns. Wir achten darauf was wir
denken, was wir fühlen, was wir tun. Wir wechseln in einen anderen Blickwinkel, nehmen eine
andere Perspektive zu unserem emotionalen
Erleben ein. Wie werden uns klar: „Wir haben ein Gefühl, aber wir sind nicht
das Gefühl", wie es der Begründer der transpersonalen Psychologie Roberto Assagioli
formulierte und „Disidentifikation“ nannte. Was heißt: Wir identifizieren uns
nicht mehr mit dem Gefühl, als seien wir ganz und gar dieses Gefühl. Wir
schauen es uns an unser Gefühl - die Angst, den Schmerz, die Scham, die Schuld,
die Trauer, die Wut, die Ohnmacht, die Verzweiflung. All die schmerzhaften Gefühle,
die dazu führen, dass ihr Reiz uns reagieren lässt, meist nicht in einem Sinne
der hilfreich für unser Seelenheil ist.
Das heißt nicht, dass wir diese Gefühle
wegdrücken – im Gegenteil - wir nehmen
sie an und wir beobachten sie, wir beobachten was sie mit uns „machen“. Sie mit
uns. Und wir lernen zu entscheiden, was wir mit ihnen machen können, indem wir
sie beobachten und uns nicht in sie hineinfallen lassen, bis wir nur noch das
Gefühl sind. Denn das ist nicht hilfreich.
Dieses Beobachten und sich
disidentifizieren entspricht der gefühlsdistanzierten Haltung des Buddhismus.
Wir können also im ersten Schritt aus dem momentanen Aktivierungszustand
aussteigen und auf eine höhere Regulationsebene, bzw. in eine andere
Perspektive wechseln. Das braucht Übung. Immer wieder und wieder. Im Grunde ist
dies eine bewusst herbei geführte Spaltung. Eine Spaltung wie sie auch in der
Arbeit mit der „Inneren Bühne“ gemacht wird. Diese Arbeit macht Sinn, sagt die Erfahrung. Sie macht
Sinn, weil sie uns nach und nach hilft Herr im eigenen Gefühlshaus zu werden, uns zu schützen, bevor dieses Haus über uns einstürzt.
Desidentifikation funktioniert, indem
wir den spontanen Impuls desaktualisieren bzw. loslassen und Raum
für die Beobachterposition schaffen, indem wir uns neu orientierten, bevor wir wie gewohnt automatisch auf unsere Gefühle und Gedanken reagieren. Dieser Raum
zwischen Reiz und Reaktion lässt uns wieder angemessen agieren, anstatt
emotional überflutet nur zu reagieren. Dieser Schritt der Disidentifikation in
der therapeutischen Bewegung entspricht wie gesagt der buddhistischen Haltung
und wir wissen, wie gelassen Menschen sind, die Achtsamkeit praktizieren. Die
meisten von ihnen jedenfalls.
Ohne den Raum für einen achtsamen
inneren Beobachter freizumachen können wir nicht auf diese
Selbstreflexionsebene wechseln um uns dem Sog der automatischen Reiz - Reaktionshandlung, sprich dem spontanen Handlungsimpuls, zu entziehen. Gelingt es uns nicht im Moment
der sich zusammenbrauenden emotionalen Aktivierung zu erleben was gerade in uns
reagieren will, können wir nicht rechtzeitig sinnvoller als gewohnt reagieren,
bzw. handeln. Wir werden zum Opfer unserer alten Denk. Gefühls- und
Verhaltensmuster. Wir wissen dann zwar hinterher, was wir
gerne gesagt oder getan hätten, aber wem nutzt das etwas?
Mit anderen Worten: Wir müssen mit unserer
Bewusstheit gewissermaßen online sein um alte destruktive Reaktionsmuster durch
neue hilfreiche zu ersetzen. Man könnte das auch Geistesgegenwart nennen, oder
wie es Viktor Frankl formulierte: Wir können uns die „Trotzmacht des Geistes“
zum Freund und Helfer machen um aus der Reiz-Reaktionsfalle zu entfliehen, hin
zu mehr innerer und dadurch auch äußerer Freiheit.
Manchmal ist es mir fast etwas unheimlich, wie präzise und treffsicher du mitten hinein in meine aktuelle Arbeit triffst.
AntwortenLöschenVor einer Woche schrieb ich nach einem intensiven, langen Tag, an dem ich ständig mit diesem Thema konfrontiert war und übte, in mein Tagebuch: Wort des Tages: "Geistesgegenwart". Für mich ist es die Traumatherapeutin, welche mich an diesen heilsamen Ort führt, mit oder über den Körper. So fremd und neu wie heilsam.
Herzlichen Dank für deine Gründlichkeit des Ausleuchtens.
FrauWind
danke
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