Samstag, 4. April 2020

Die Liebe kennt keinen Shut Down



Heute habe ich Geburtstag. Ich werde ihn allein verbringen. Nachdem ich letztes Jahr beschlossen habe meine Geburtstage nicht mehr zu feiern, passt das ja, denke ich. Wenn ich ehrlich zu mir selbst bin, gerade jetzt, passt es nicht. Ich vermisse meine Lieben, Nähe, Berührung. Ich möchte meinen Sohn sehen, ihn umarmen,  das wunderbare Essen, das er immer zaubert, mit ihm und seiner Liebsten genießen, mit den beiden lachen und feiern. Ich möchte neben ihm sitzen in seinem Studio und mir seine Musik anhören und einen guten Rotwein trinken und reden bis tief in die Nacht. Er ist weit weg. Zu weit, ich kann ihn nicht sehen. Ich habe Sehnsucht.

Ich weiß, ich bin mit dieser Sehnsucht nach dem, was normal und schön und vertraut ist, nicht allein.
Wir alle, aber vor allem diejenigen unter uns, die alleine leben, müssen zur Zeit auf die Erfüllung ihrer Sehnsucht verzichten, wir müssen auf unser elementarestes Bedürfnis nach Nähe verzichten.
Wir sehnen uns und es ist eine traurige Sehnsucht.

Draussen ist Frühling, die Zeit des Aufbruchs. Nichts davon ist zu spüren. Allein die Natur bricht auf, unbeeindruckt von dem was gerade mit uns geschieht. Nein, sie braucht uns nicht. Und das haben wir lange vergessen. Das war unheilsam für die Natur und für uns. Vielleicht begreifen wir das jetzt. Möge es so sein. Mögen wir wach werden und den Kurs ändern, dann, wenn alles vorbei ist.

Das Leben steht still.
Kaum Menschen auf den Straßen.
Kein Kinderlachen auf dem Spielplatz in meinem Viertel.
Die Cafés in denen ich so gerne sitze, sind leer. Tische und Stühle sind verwaist.
Ich fühle mich verwaist, wie ein Kind, das sich verlaufen hat in einem fremden Land.
Die Lebendigkeit ist eingeschlossen in Häuser und Wohnungen.
Die vertraute Welt hat für uns alle geschlossen.Ich kann beobachten wie sich die Herzen der Menschen verschließen.
Ich kann sehen, wie sie einander meiden.
Der Fremde ist fremder geworden, noch femder.
Abstand außen, Abstand innen.
Der Andere, der Nächste ist eine potenzielle Gefahr.
Ausweichen.
In einen Mundschutz atmen. Schweres Einatmen, schweres Austatmen.
Wie fremd das ist. Wie unheimlich.

Absurd, denke ich, und das diese Absurdität unser Jetzt ist, dem wir nicht entkommen.
Wie lange noch?
Was bleibt in dieser Absurdität um nicht in eine tiefe Traurigkeit zu versinken, die sich zu der Angst legt, die da draußen und in uns umgeht, und zusätzlich lähmt?

Es ist Schweres, was uns allen aufgetragen wird. Es wiegt schwer, weil es unser Menschsein verändert. Unsere Gedanken, unsere Gefühle und unser Handeln.
Wir handeln und leben wider das Menschlichste, was in uns angelegt ist - das Bedürfnis nach Nähe.
Das fühlt sich nicht gut an.
Aber es ist wie es ist.
Ich, du, wir, müssen das jetzt akzeptieren.
Und dennoch darf ich traurig sein an diesem Morgen. Es ist okay.
Aber ich muss einen Weg für mich finden um nicht in dieser Traurigkeit stecken zu bleiben.
Für mich, an diesem Morgen. Für meinen Sohn, den ich nicht traurig machen will.

Also frage ich mich:
Was habe ich noch, was mir gut tut?
Was kann ich heute an Schönem tun, was kann ich tun, was mir Freude macht?
Was kann ich gestalten in einer Zeit in der mein Einflussbereich so begrenzt ist, wie ich es mir nie hätte vorstellen können?
Wofür bin ich dankbar?

Und während ich das schreibe spüre ich, dass ich mehr bin als das Außen. Mehr als diese, in der Absurdität gefangene Frau.
Ich spüre, dass ich so viel in mir trage, was mir, solange ich gesund bin und lebe, nichts und niemand nehmen kann. Ich spüre die Liebe zu meinem Sohn, zu meinen Nächsten, zu meiner Arbeit, meiner Kunst, zur Musik, zum Leben, zum Guten, Wahren und Schönen und zu mir selbst.
Und diese Liebe ist stärker als alles, was jetzt nicht mehr möglich ist.
Sie ist stärker als meine Traurigkeit und meine Sehnsucht.
Ja, sie ist meine Sehnsucht. 

Die Liebe lässt sich nicht einsperren.
Die Liebe kennt keinen Shut Down.
Sie fließt von Herz zu Herz über alle Grenzen und Beschränkungen hinaus.
Sie trägt und sie hält mich.
Jetzt und immer, solange ich lebe.







6 Kommentare:

  1. ich bin hier manchmal zu besuch und finde mich gut aufgehoben. hatte auch einen Geburtstag ohne besuch. so ist das nun. fühlt sich seltsam an und ist es auch. ich wünsche dir ein gutes neues Lebensjahr. mit vielen kleinen schönen Momenten die glücklich machen.

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  2. Alles Gute!! zum Geburtstag. Irgendwann ist der Spuk vorbei, und dann werden wir all diese schönen Dinge, Treffen mit unseren Kindern, Sitzen im Cafe´, einen Kinobesuch oder eine Theateraufführung noch viel mehr wertschätzen. Ich bin so froh über die vielen Kommunikationswege, die wir heutzutage nutzen können. Meine Kinder fehlen mir auch sehr und ich bin froh, dass ich zumindest so ihre Nähe spüre. Halten Sie durch, da ist Licht am Horizont! Liebe Grüße!

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  3. Danke. Ihre Texte sind immer wesentlich. Und dieser von heute lässt auch mich die nun schon seit über 13 Jahren anhaltende und nicht erst seit Corona bestehende Isolation besser ertragen. Danke.

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