Entwicklung vollzieht sich stets auf
unterschiedlichen Ebenen und häufig mit unterschiedlicher Geschwindigkeit. Der
Focus meines heutigen Artikels liegt auf der Gestaltbarkeit von Entwicklung. Hierzu gibt es ein schönes Modell, das
sich zwar mit der Bewältigung von altersbedingten Veränderungen auseinander
setzt, aber auch in Lebenskrisen hilfreich sein kann. Ich spreche vom SOK-Modell
von Baltes.
Das von den Gerontologen Margarete und Paul Baltes, Mitte der 80er
Jahre entwickelte Modell der selektiven
Optimierung und Kompensation beschreibt die Kompetenz im Alter. Es zeigt Möglichkeiten, wie ältere Menschen
trotz zunehmender Funktionseinbußen und Verluste durch die bestmögliche
Erschließung der verbleibenden Ressourcen und Fähigkeiten ihre Lebensqualität
verbessern können. Das Modell besagt, dass jeder menschliche
Entwicklungsprozess eine Kombination von drei adaptiven Verhaltensweisen
umfasst - Selektion, Optimierung und Kompensation. Konkret bedeutet das, die eigenen
Ressourcen vorwiegend auf ausgewählte Ziele zu konzentrieren, die auf eigenen
Wünschen und Motiven beruhen = Selektion. Um diese zu erreichen, müssen unsere Ressourcen
bestmöglich eingesetzt werden = Optimierung. Sind entsprechende
Handlungsstrategien nicht mehr nutzbar, sollten alternative Optionen gefunden
werden, um dennoch das angestrebte Ziel zu erreichen = Kompensation.
Nun zum Modell unabhängig vom Alter ...
SOK: Selektion, Optimierung und
Kompensation sind im SOK-Modell Anpassungsprozesse , die wir selbst gestalten
können.
Selektion
Mit Selektion ist, wie das Wort schon sagt, die
Auswahl eines bestimmten Lebensbereiches gemeint. Das bedeutet: Wir wählen aus
den vorhandenen Lebensmöglichkeiten diejenigen aus, die wir verwirklichen
wollen.
Kann oder will man nicht mehr alles schaffen, macht es Sinn
sich auf einen Bereich, der einem besonders am Herzen liegt oder der für das
eigene Leben von großer Bedeutung ist zu beschränken. Hier stellt sich die Frage: Was ist für mein
derzeitiges Leben, oder diese Lebensphase von Bedeutung? Was kann ich noch
verwirklichen?
Hat man die Antwort gefunden, gilt es das Gewählte im nächsten Schritt zu optimieren.
Optimierung bedeutet - die Mittel zu suchen,
um das Gewählte möglichst gut tun zu können. Durch Auseinandersetzung
und Übung mit dem Thema findet so nach dem SOK-Modell eine Optimierung des
ausgewählten Bereiches statt.
Hier zwei Beispiele: Ein Mann wird Frührentner. Er hat schon
immer gerne gezeichnet. Er könnte in Zeichenkursen diese Fähigkeit optimieren
und sich mit dem Thema Zeichnen sowohl praktisch als auch theoretisch -
Kunstbücher, Museumsbesuche, Ausstellungen - auseinandersetzen und seine
Fähigkeiten verbessern. Damit hat er nicht nur eine sinnvolle Beschäftigung,
sondern er gewinnt an Lebensfreude und erfährt eine Sinnhaftigkeit seines Tuns.
Eine Frau verliert ihren Arbeitsplatz. Sie ist nun
finanziell von ihrem Man abhängig und fühlt sich damit wertlos. Sie könnte eine
Fähigkeit oder eine Leidenschaft wählen, die sie für eine Sache aufbringen
kann. Ist sie zum Beispiel ein Mensch,
der gerne schreibt, könnte sie beginnen ihre Biografie zu schreiben, sie könnte
Schreibkurse besuchen und so einen völlig neuen kreativen Weg beschreiten.
Mag sie es mit Menschen zu arbeiten könnte sie ehrenamtlich
nach einem entsprechenden Training in der Seelsorge arbeiten. Ist sie
sprachgewandt, könnte sie ehrenamtlich Deutschkurse für Flüchtlinge geben. Auf diese Weise wird das wahre Thema: Das Gefühl von
Wertlosigkeit, durch Optimierung und Ausüben der eigenen Potenziale, erlöst.
Kompensation bedeutet: Flexibel zu reagieren, wenn
Mittel, Dinge, Umstände oder auch Menschen wegfallen, die unser Leben
ausmachten und neue Wege zu suchen, um den eigenen Bedürfnissen und Zielen wieder
näherzukommen. Im Bereich der Kompensation werden dazu Strategien und
Fähigkeiten eingesetzt um Defizite oder Verluste auszugleichen.
Hier lautet die Frage: Was kann ich tun um die Lücke zu
füllen die ... hinterlassen hat?
Nach Baltes kann dieser Prozess bewusst oder unbewusst
stattfinden.
Menschen handeln meist instinktiv, wenn sie etwas verlieren.
Sie suchen sich unbewusst einen Ersatz für das Verlorene. Je unbewusster ein
Mensch ist, desto unreflektierter wird er sich aber auch nach einem Ersatz umschauen.
Wir können das beobachten, wenn z.B. psychisch und emotional schwache Menschen verlassen werden. Sie suchen schnell und wenig wählerisch die nächste Beziehung
um die Lücke des Verlustes zu füllen, weil sie instinktiv spüren, dass sie
alleine nicht lebensfähig sind. Das wäre ein Beispiel für einen
unbewussten Kompensationsprozess. Manch Einer beginnt auch zu saufen um die
Leere zu kompensieren, auch nicht wirklich hilfreich.
Bewusste Kompensation fragt: Was löst die Lücke in mir aus?
Welches Bedürfnis wird nicht mehr befriedigt?
Was kann ich selbst tun, um diese Lücke zu füllen?
Was ist meiner Entwicklung und meinem Wachstum als Mensch
zuträglich?
Welcher innere oder äußere Raum öffnet sich durch den Verlust?
Wozu ist er gut?
Welche Energie wird jetzt frei?
Haben wir alle diese Fragen beantwortet, können
wir uns weiter fragen:
Was kann ich jetzt Sinnvolles tun um den Verlust konstruktiv zu
nutzen und um die Lücke zu füllen? Im Falle des Verlustes eines Partners könnte das
bedeuten, dass wir lernen uns selbst der beste Freund oder die beste
Freundin zu werden.
Geht es um den Verlust eines Wertes oder gar der Gesundheit
ist das SOK Modell ebenso hilfreich.
Hier stellt sich die Frage: Was kann ich noch?
Was bleibt an Möglichkeiten?
Und nicht – was ist nicht mehr möglich.
Dieses Modell bringt uns auf jeden Fall weiter, wenn wir
meinen nicht mehr weiter zu können.
Das ist alles richtig!
AntwortenLöschenNur darf der jeweilige Mensch gerade nicht depressiv sein. :-I
Gerhard