Wir wollen verstanden werden. Eine unserer großen Sehnsüchte ist es verstanden zu werden. Wir möchten gehört, verstanden und wertgeschätzt werden. Darum erzählen wir anderen von uns. Wenn wir genau darüber nachdenken werden wir feststellen müssen, dass die Kommunikation mit anderen uns dieses Gefühl nur selten gibt. Ich kenne eine Frau, die unendlich unter dem Gefühl leidet, dass man sie nicht versteht. Ihre unerfüllte Sehnsucht nach verstanden, nach gesehen und wertgeschätzt werden ist so groß, dass sie deswegen immer wieder in depressive Episoden fällt. Ich werde einfach nicht wahrgenommen, sagt sie und dabei weint sie immer wieder bittere Tränen. Nein sie ist nicht allein, sie hat eine große Familie und Menschen, die sie lieben, aber das hilft ihr nichts - diese Sehnsucht ist unstillbar.
Es gibt viele Menschen, denen es so geht, die so fühlen. Und ich habe das Gefühl es werden immer mehr.
Heute morgen las ich einen Text von Wolfgang Borchert aus der Kurzgeschichte "Das Holz für Morgen".
"Er wurde nicht von denen verstanden, die er liebte. Und gerade das hielt er nicht aus, dieses Aneinandervorbeisein mit denen, die er liebte.
Aber es war noch mehr da, das so groß wurde, daß es alles überwuchs, und das sich nicht wegschieben lassen wollte.
Das war, dass er nachts weinen konnte, ohne dass die, die er liebte, ihn hörten. Das war, dass er sah, daß seine Mutter, die er liebte, älter wurde und dass er das sah. Das war, dass er mit den anderen im Zimmer sitzen konnte, mit ihnen lachen konnte und dabei einsamer war als je. Das war, dass die anderen es nicht schießen hörten, wenn er es hörte. Dass sie das nie hören wollten. Das war dieses Aneinandervorbeisein mit denen, die er liebte, das er nicht aushielt."
Ich dachte beim Lesen an die Frau, die ich kenne. Und ich fühlte, ich empfinde das bisweilen ebenso - diese Sehnsucht nach Verstanden werden. Obgleich ich genau weiß, dass ich verstanden werde, hin und wieder jedenfalls. Aber ja, ich kenne das Gefühl gut und es ist kein schönes Gefühl.
Aber ich weiß auch: Das Verstehen ist keine Einbahnstraße. Es ist nicht damit getan, dass wir dem Anderen unsere Sicht der Dinge oder unseren Standpunkt vermitteln. Wenn wir einmal ganz ehrlich zu uns selbst sind und genau darüber nachdenken, werden wir vermutlich erkennen, dass wir selbst anderen gar nicht zuhören, um sie zu verstehen, sondern schon während sie reden, damit beschäftigt sind unsere Antworten zu suchen. Damit wir wirklich verstanden werden sollten wir vielleicht zuerst damit beginnen dem Anderen tief und achtsam zuzuhören, und zwar so, dass der Andere es auch spürt. So dass er spürt, dass wir offen sind für seine Worte und seine Gefühle, die uns seine Worte übermitteln. So, dass er spürt, das wir uns wirklich für ihn interessieren.
Die meisten Menschen können nicht zuhören, nicht so, nicht auf diese Weise. Auch die Frau, die ich kenne, redet viel von sich, aber zuhören fällt ihr schwer. Die meisten Menschen sind nicht fähig tief zuzuhören und oft sind es genau die, die sich wünschen erhört zu werden.
Seltsam oder?
Nein, nicht seltsam. Unsere Kultur, unsere Erziehung lehrt uns, dass wir, wenn wir im Leben etwas erreichen wollen, die Nummer Eins sein müssen, sie lehrt uns, dass wir an unserem Glück und unserem Erfolg schmieden müssen, sie lehrt uns gnadenlose Egoisten zu werden. Denn, wer nicht erfolgreich ist, der ist arm dran und gesellschaftlich nichts wert. Wie wollen wir uns anderen also zuwenden, wenn wir das nicht gelernt haben, wenn das, was wir gelernt haben uns dazu gebracht hat immer den Focus auf unser Eigenes zu lenken.
Das macht einsam. Denn wer sich immer auf sich selbst fokusiert sieht gar nicht, was von Anderen auf ihn zukommt, was ihm von Anderen gegeben wird. Und weil er es nicht sieht, nimmt er es nicht wahr und kann es nicht empfangen. Und weil er es nicht empfangen kann, kann er es nicht wertschätzen und fühlt sich unverstanden und eben nicht wertgeschätzt.
Wenn ich verstanden werden will, wenn ich mich nach Wertschätzung sehne, dann muss ich das auch geben können. So einfach ist das und doch für viele so schwer. Wie kann ich etwas empfangen wollen, was ich selbst nicht geben kann, wie etwas spüren, was ich selbst nicht fühlbar machen kann? Das geht nicht.
Wer sich ständig um sich selbst dreht ist allein, im Tiefsten allein. Das Geschenk des Verstandenwerdes kommt zu denen, die die Kunst des DU und des Wir beherrschen, zu denen, die über das Eigene hinaus zum Anderen hin hören und fühlen können.
Die ungestillte Sehnsucht nach "verstanden werden" wird allein von einem gegenseitigen Verstehen gestillt und das setzt vorraus, dass wir gewillt sind einander wirklich zuzuhören. Dann blühen wir auf, dann machen wir die erhellende Erfahrung, dass zum Empfangen erst einmal das Geben gehört.
Danke, so wahr!
AntwortenLöschenhttps://twitter.com/HumanVoice/status/813762566115753984/photo/1
Dankeschön für diesen Text, und auch ein Danke für all die anderen wunderbaren Gedanken die sie immer teilen, die Art wie sie schreiben lässt mich viel annehmen. Ich weiss das sehr zu schätzen, immer wieder
AntwortenLöschenAm Anfang meiner Therapie habe ich es immer sehr schwierig gefunden, z.T. noch heute, von der Therapeutin nicht auch etwas zu erfahren. Ich war es gewohnt, mehr zuzuhören als von mir zu erzählen... und ich traute mich nicht, mich zu öffnen, weil ich zu wenig Offenheit vom Gegenüber erfuhr. Und so lernt man auch in der "professionellen Distanz " der Therapie, weg zu kommen vom Zuhören,hin zum "nur ich möchte erzählen und verstanden werden "... Das finde ich bis heute schwierig... Kennt das Gefühl noch jemand? LG
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