Kotz sie aus, lass sie raus, alles besser als deine Wut runterschlucken.
Gerade
heutzutage gibt es immer mehr Menschen, die genau das machen. All die
unausgekotzte Wut, die schon lange in ihnen gärt, wird hemmungslos
ausgekotzt oder hemmungslos anderen übergekippt. Der Respekt lässt
eklatant nach und die verbale Aggression wächst exponentiell nahezu
parallel zu den die Infektionszahlen der Pandemie. Wut ist zur Zeit
omnipräsent. Auch spirituelle Heiler und Bewusstseinscoaches fordern
immer häufiger ihre Follower im Netz auf die Wut rauszulassen. Nach dem
Motto: Wut muss frei und ungebremst raus, weil das angeblich heilsam
sei. Soziale Netzwerker haben sogar ein Interesse an wütenden Nutzern,
denn Emotionen bringen Klicks und Likes.
Wüten ist also gut?
Meint man.
Man irrt.
Wüten ist nicht gut.
Das ist ein fataler Mythos.
Im
Gegenteil, wer lautstark wütet und hemmungslos seiner Wut freien Lauf
lässt, liegt falsch, wenn er meint sich damit etwas Gutes zu tun. So
zeigten sich Probanden, denen man im Laborexperiment die Gelegenheit gab
ihre Wut auszuagieren und erst damit aufzuhören, wenn sie selbst
meinten, sie hätten jetzt intensiv und genügend gewütet, noch lange nach
dem Wutausbruch anderen Personen gegenüber signifikant aggressiver als
Probanden, die im Labor keine Gelegenheit bekamen ihre Aggressionen
auszuagieren.
Das hemmungslose Abreagieren von Wut füttert also
die Wut, anstatt die Seele zu befrieden. Fast immer, wenn wir wütend
werden, liegt es daran, dass etwas nicht so läuft wie wir es wollen oder
erwarten. Das Ego ist angepisst und reagiert mit Wut.
Wut ist ein Brennstoff, der Leid, Trennung und Spaltung schafft.
Mich
wundert das nicht, denn niemals ist meine Wut kleiner geworden, indem
ich sie einem anderen übergegossen habe. Im Gegenteil. Man schadet sich
damit nur selbst.
Wut auskotzen bringt nichts außer noch mehr Wutenergie.
Wut
die kopflos ausagiert wird, ist keine Erlösung und schon gar keine
Lösung für nichts. Von dieser Vorstellung dürfen wir uns lösen, wenn uns
an unserem Seelenheil und dem Heil unserer Mitmenschen gelegen ist.
Aber wohin dann mit der Wut?
Sich
mit der eigenen Wut auseinanderzusetzen und sie zu ergründen ist
heilsam. Sie unkontrolliert abzuladen ist unheilsam. Es ist wichtig,
sich der Emotion bewusst zu sein und sie sich bewusst zu machen und das
bedeutet eben nicht, sie unreflektiert auszuagieren, sondern
hinzuschauen, woher sie kommt und was sie uns sagen will.
Es
macht Sinn sich in die eigene Innenwelt zu begeben und sich zu fragen,
was einen denn so wütend macht und warum man das Bedürfnis verspürt den
Rest der Welt daran teil haben zu lassen. Man könnte sich fragen, was in
einem selbst schon lange unbearbeitet und unverarbeitet gärt. Welches
Schuldgefühl, welches Versäumnis, welche Verletzung, welche Trauer,
welche Angst oder welche Ohnmachtserfahrung liegt der Wut zugrunde?
Sich mit der eigenen Wut auseinanderzusetzen und sie zu ergründen ist heilsam. Sie unkontrolliert abzuladen ist unheilsam.
Wut
hat oft mit verdrängten Schatten zu tun, den die Wütenden nicht sehen
wollen oder können. Wut hat auch immer etwas mit dem eigenen Selbstwert
zu tun. Meistens liegen dem aggressiven Verhalten Verletzungen in der
Vergangenheit zugrunde. Das sind z.B. wie gesagt Opfererfahrungen
oder/und Diskriminierungserfahrungen. Die Wut fungiert dann als eine
Umkehrung von einem Ohnmachtsgefühl in ein handlungsmächtiges
Aktivwerden mittels Wut. Wut ist aus der Hilflosigkeit sich selbst, den
eigenen Wunden, Schwächen und Fehlbarkeiten gegenüber geboren, die dann
wütend auf das Außen projiziert wird, das schlecht ist und böse und
dumm. Wo, könnten sich die wütenden Aggressoren fragen, bin ich selbst
schlecht und böse und dumm?
Wut, die wir bewusst anschauen, hilft
uns die eigenen Bedürfnisse zu erkennen für sie einzustehen. Sie ist
ein Seismograf dafür, was in uns unerfüllt und ungelebt ist. In dem
Moment, wo ich weiß, wo meine Wut herkommt, kann ich Verantwortung
übernehmen und entscheiden, wie ich damit umgehe. Dann passiert es
nicht, dass sie unkontrolliert hochschießt und zerstörerisch wirkt. Dann
kann ich aus meiner Wut sogar Kraft schöpfen, indem ich sie in
Kreativität wandle. Wut ist also auch eine wertvolle Ressource, denn sie
gibt uns die Kraft, Kontrolle über das eigene Leben zu erlangen und
Dinge zu verändern, die einem nicht gut tun, zum Beispiel eine
dysfunktionale Beziehung zu beenden.
Statt also auf den
Wutimpuls zu reagieren, beobachten wir ihn. Wenn wir das tun, lassen wir
Raum zwischen uns und dem Wutimpuls und in diesem Raum haben wir Zeit
zu entscheiden was wir mit der Wut machen wollen und wozu sie uns
nützlich sein kann. Wut ist ungut wenn wir sie irgendwo
hinlenken, aber sie ist sinnvoll, wenn wir sie dahin lenken wo wir
Essentielles zum Besseren hin verändern wollen. Sich mit den
Ursachen der eigenen Wut auseinanderzusetzen stünde manch wütenden
Mitmenschen gerade in dieser harten Zeit nicht schlecht. Es gibt schon
genug Drama, man muss es nicht noch schüren, hochkochen und andere damit
infizieren.
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