Donnerstag, 10. Dezember 2020

Ich-Sucht schafft Leid

 

                                                               Zeichnung: A. Wende

Du bist immer für ihn da, du hörst ihm zu, wenn er einen Zuhörer braucht und hilfst ihm, wenn er dich darum bittet. Vielleicht liebst du diesen Menschen sogar. Immer wieder verletzt er dich. Das spürst du auch und es schmerzt dich, aber dann entschuldigt er sich und du verzeihst diesem Menschen.
Du bist weiter für ihn da und schenkst ihm weiter deine Liebe, aber er verletzt dich immer wieder und er entschuldigt sich immer wieder. Und immer wieder verzeihst du ihm.
Du verzeihst ihm, weil du verstehst, weil du verstehen kannst oder verstehen willst oder weil du meinst ein guter Mensch muss verzeihen oder weil du wirklich ein Mensch bist, der verzeihen kann.
Irgendwann brauchst du die Hilfe dieses Menschen ganz dringend. Aber er hat wieder eine Entschuldigung oder einen trifftigen Grund dafür, dass er nicht für dich da ist.
 
Zum ersten Mal kommt das Gefühl in dir hoch, dass du mit diesem Verhalten nicht mehr leben kannst. Dir wird auf einmal klar, dass ein Verhalten, das nur ihm selbst nutzt und dein Wohl ignoriert, eine Lebenshaltung ist, die für dich nicht mehr akzeptabel ist.
Du durchschaust das Ich-bezogene Verhalten.
Du begreifst, ein Ich-bezogenes Verhalten hat keine Ambitionen etwas Gutes in die Welt zu geben.
Ich-bezogen Menschen bleiben hinter dem zurück, was sie an Fähigkeiten für das Gute und Wertvolle einsetzen könnten, sie sehen nur sich selbst und wollen alles für sich selbst. Es geht ihnen allein darum ihre eigenen Bedürfnisse zu erfüllen. Sie beurteilen und benutzen Menschen nach dem Benefit, den sie ihnen bringen. Und so leben diese Menschen in der Haltung von Wollen und Nehmen. Dabei vergessen sie, dass sie irgendwann vielleicht an einen Punkt kommen, wo sie ganz unten sind und auf die Hilfe jener angewiesen, die sie für ihre Zwecke und Bedürfnisse benutzt haben.
Eine Ich-bezogene Lebensweise ist nicht nur ich-süchtig, sie ist unheilsam und unmoralisch. Sie ist Ausdruck einer existentiellen Verwahrlosung. Sie verursacht viel Leid.
Und weil du das erkannst hast, verlässt du das unheilsame Feld.
Du verabschiedest dich von diesem Menschen.
Du lässt ihn in seiner Welt, weil eure Werte und eure Lebensweisen nicht mehr zueinanderpassen. Du verlässt ihn, weil du dich dafür entscheidest, nicht mehr an einem Menschen zu leiden, der in Wahrheit an sich selbst leidet und dich in ein Leiden hineinzieht, das nicht deins ist.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen