Mittwoch, 26. März 2025

Aus der Praxis: Angst ändert rein gar nichts



Es sind häufig nicht die Dinge und Situationen selbst, die uns Probleme bereiten, Stress machen oder Angst, sondern die viel zu große Bedeutung, die wir ihnen geben. Dann neigen wir dazu sofort negative Schlüsse zu ziehen, zu verallgemeinern und die Situation auf ähnliche Situationen, die wir erlebt haben, zu übertragen. Manche Menschen neigen auch zur Katastrophisierung. Es geschieht etwas Beunruhigendes und prompt reagieren sie mit einer übertriebenen Angst, dass ein Unglück drohen könnte.
 
Reaktionen auf Reize werden erlernt und werden dann zu Denkmustern, die wir automatisch abzuspulen, ohne uns dessen bewusst zu sein. Festsitzende Denkmuster neigen zu Verallgemeinerungen und zu Schwarz-Weiss-Denken. Wir haben z.B. Angst vorm Zahnarzt, weil es, als wir Kind waren, eine schmerzhafte Erfahrung gab. Diese schmerzhafte Erfahrung haben wir abgespeichert. Jedes Mal, wenn wir zum Zahnarzt müssen, löst allein der Gedanke daran – der Reiz – unsere Angstreaktion aus. Wenn wir denken, niemand mag uns und Angst vor Zurückweisung haben, verhalten wir uns ablehnend und machen emotional dicht. Wir wundern uns dann, dass andere nicht offen und freundlich auf uns zu gehen. Dabei löst unser eigenes Verhalten aus, dass sie es nicht tun. 
 
Angst ist eine Reaktion auf einen Reiz.
Das Risiko, im Laufe des Lebens an einer Angststörung zu erkranken, liegt nach internationalen Studien zwischen 14 und 29 Prozent. Damit sind Angststörungen die häufigste psychische Erkrankung, gefolgt von Depressionen und sie nehmen zu.
Angststörungen sind schwerwiegende psychische Erkrankungen, die einen hohen Leidensdruck erzeugen. Angst – und Zwangsstörungen hängen mit negativen, unlogischen, realitätsfremden und verzerrten Denkmustern zusammen, die nur schwer zu verändern sind. Betroffene wissen zwar, dass ihre Gedanken mit der Realität nichts zu tun haben, können sich aber nicht davon distanzieren. Die Gefühle sind so überwältigend, dass sie ihren eigenen Gedanken gegenüber hilflos sind – trotz besseren Wissens. Im Laufe einer Therapie dürfen sie lernen sich selbst zu beobachten, Reize zu erkennen, ihre Gedanken zu identifizieren, ihre inneren Blockaden zu erkennen, die auftretenden Gefühle (in Expositionsübungen) auszuhalten, Alternativen zu entwickeln und diese auszuprobieren und anzuwenden. Dazu gehört auch die eigenen verzerrten Denk-und Verhaltensmuster neu zu bewerten.
 
Bisher ging man bei der Erforschung und Behandlung von Angst davon aus, dass sie ganze Gehirnschaltkreise, wie jene im Limbischen System, überaktiviert. Neueste Erkenntnisse jedoch belegen, dass Angst einen äußerst selektiven Effekt auf die neuronale Aktivität hat, die die Entscheidungsfindung unterstützt. Studien haben gezeigt, dass Angst Gehirnzellen deaktiviert. Wir können nicht mehr klar denken. Können wir nicht mehr klar denken, treffen wir schlechte oder keine Entscheidungen. Das wiederum verstärkt die Angst, führt zu weiteren Fehlentscheidungen löst schließlich eine Abwärtsspirale aus.
 
Auch wenn wir keine Angst-oder Zwangsstörung haben können wir mit unserer „normalen Angst“ arbeiten um besser mit ihr umgehen zu lernen. Auch hier beginnen wir damit uns selbst zu beobachten, den Grund für die Angst zu identifizieren und Alternativen zu entwickeln, um sie neu zu bewerten und angemessen mit ihr umzugehen. Wir distanzieren uns bewusst von der Angst und sehen sie mehr als Herausforderung, denn als Problem. Wir gehen auf Augenhöhe mit der Angst. 
 
Ein Problem bei Ängsten ist, dass viele Menschen eher in Möglichkeiten als in Wahrscheinlichkeiten denken. Und das kann sie verrückt machen.
Es ist möglich, dass das Flugzeug abstürzt, dieser Gedanke ist für manche Menschen so angsteinflößend, dass sie nicht fliegen.
Sie fragen sich aber nicht: Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass es abstürzt?
Natürlich kann ein Flugzeug abstürzen, aber es ist wenig wahrscheinlich, dass es abstürzt.
Das Unterscheiden zwischen Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit kann also sehr hilfreich sein um Angstgedanken zu reduzieren.
 
Bei Ängsten ist es wichtig beruhigende Verhaltensweisen zu erlernen. Zum Beispiel kann man die Angst durch bewusstes tiefes Ein- und Ausatmen verringern. So kommt der Körper zur Ruhe und damit auch der Geist. Entscheidend dabei ist, uns bewusst auf die Atmung zu konzentrieren statt auf die Angst. Schon wenige tiefe Atemzüge aktivieren sofort den Parasympathikus und den Vagusnerv. Das verlangsamt den Herzschlag, senkt den Blutdruck und beruhigt. Ein paar Mal tief durchatmen ist absolut hilfreich um uns selbst zu beruhigen und uns nicht in die Angst hineinzusteigern. Wir erleben dabei, dass ängstliche Erregung und körperliche Entspannung nicht gleichzeitig bestehen können. Und wir erfahren, dass wir unserer Angst nicht hilflos ausgeliefert sind, sondern selbst etwas tun können um sie zu reduzieren. Wir sind selbstmächtig, mächtiger als die Angst. Wir gewinnen die Kontrolle zurück. Diese positive Erfahrung kann dann zu häufigerem Durchführen eines gewünschten Verhaltens anregen, das wir bei Angst einsetzen. Übrigens, auch körperliche Aktivitäten wirken angstlösend.
 
Ich kenne Angst gut. Angst war der ständige Begleiter meiner Kindheit und in sehr belastenden Lebenssituationen meldet sie sich bisweilen zurück. Ich kenne ihre Ursachen und die Reize, die sie auslöst. Bei meiner Angst geht es immer um Todesangst, die dann in anderen Ängsten ein Behältnis sucht und Gestalt annimmt. Zu wissen woher die Angst kommt ist gut, aber auch ohne dieses Wissen, können wir mit unserer Angst arbeiten. Der erste Schritt ist: Unsere Angst zu akzeptieren. Nur was ich akzeptiere, kann sich wandeln.
Irgendwann hatte ich genug von meiner Angst. Ich war wütend, dass sie mir immer wieder das Leben schwer macht.
Mir wurde klar: Angst ändert rein gar nichts.
Die Dinge geschehen, mit und ohne Angst.
Und dann fragte ich mich: Willst du dein Jetzt an die Angst vergeuden?
Die Antwort ist ein klares „Nein!“
Ich habe nur dieses eine Leben und keine Ahnung wann und wie es endet.
Und ja, das macht mir Todesangst. Und die darf sein. Ich werde sterben, wie alle Menschen, das ist absolut sicher. Das muss ich akzeptieren und das heißt nicht, ich muss es gut finden, aber meine Angst ändert rein gar nichts daran.
Im Grunde geht es darum unsere Angst in unser Gefühlssystem zu integrieren und nicht mit Macht gegen sie anzukämpfen. Es geht darum die Angst anzunehmen und zu lernen, dass unser Angsterleben in unseren Händen liegt. 
 
 
Angelika Wende
Kontakt: aw@wende-praxis.de

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