Wollt ihr den harten Lockdown? Ja!, schreit die Mehrzahl der Menschen.
Das ist verständlich, denn das Virus lebt von Kontakten und um uns vor eine potenziellen Infektion zu schützen, muss der zwischenmenschliche Kontakt auf ein Mindestmaß reduziert werden. Was aber viele und insbesondere auch die Regierung ausblendet, ist die Tatsache, dass Gesundheit nicht nur auf der körperlichen Ebene angesiedelt ist. Der Mensch hat nicht nur einen Körper, sondern auch einen Geist und eine Seele. Mens sana in corpore sano - Ein gesunder Geist in einem gesunden Körper und umgekehrt: Ein kranker Geist macht einen kranken Körper. Längst weiß das unsere überpsychologisierte Gesellschaft, im Moment aber scheint dieses Wissen von keiner Relevanz zu sein. Oder, es wird der Einfachheit halber ausgeblendet.
Fakt ist: Konnten die meisten Menschen im Frühjahr den Lockdown noch einigermaßen gut überstehen, wird der harte Lockdown im Winter viele von uns an die Grenze der mentalen und psychischen Belastbarkeit bringen. Die harten Maßnahmen, die uns jetzt wieder bevorstehen und die allein auf die rein körperliche Gesundheit der Menschen beschränkt sind und die seelische Gesundheit außer Acht lassen, sind unmenschlich. Ein verantwortungsvolles Krisenmanagement in Pandemiezeiten muss auch Maßnahmen zum Schutz der psychischen Gesundheit der Menschen umfassen.
Unsicherheit, Angst und Niedergedrücktsein sind die häufigsten Reaktionen auf die Pandemiesituation, auch bei psychisch einigermaßen gesunden Menschen.
Gefühle und Zustände wie diese sind normale menschliche Reaktionen auf belastende Lebensereignisse. Nicht alle Menschen sind jedoch einem gleich hohen Ansteckungsrisiko ausgesetzt oder psychisch und sozial gleich belastet.
Die einen kommen einigermaßen gut damit klar, andere leiden unvorstellbar.
Ich möchte mich hier auf jene Menschen fokussieren, die durch die Corona-Pandemie am stärksten gefährdet sind.
Das sind vor allem die Coronakranken und deren Angehörige, das sind ältere und sehr alte Menschen, das sind Pflegebedürftige, medizinisches Pflegepersonal sowie Frauen, Kinder und Jugendliche und besonders auch Menschen mit körperlichen und/oder seelischen Behinderungen und Erkrankungen.
Psychische Auswirkungen hat für diese Menschen wie für alle anderen nicht nur das Leben mit einem potenziell tödlichen Virus, sondern die Drastik der Maßnahmen, insbesondere des harten Lockdowns, der uns jetzt wieder erwartet. Das öffentliche Leben kommt fast vollständig zum Erliegen. Alles außer dem, was wir zum Überleben notwendig brauchen macht dicht. Um Risikopatienten zu schützen wird alles geschlossen, was das soziale menschliche Leben ausmacht. Und damit fehlt der menschliche Austausch, das soziale menschliche Miteinander, das den jeder von uns täglich braucht.
Ja, wir brauchen menschliche Kontakte um psychisch widerstandsfähig zu sein und um körperlich gesund zu bleiben. Wer Nähe erlebt hält zudem schwere psychische Belastungen besser aus. Mit den Kontakt-und Ausgehbeschränkungen fallen genau diese psychisch stärkenden Faktoren seit fast einem Jahr schon weg. Fatalerweise stehen sich hier zwei menschliche Grundbedürfnisse gegenüber: Das Bedürfnis nach körperlicher Unversehrtheit und das Bedürfnis nach sozialen Kontakten. Genau das hat fatale Folgen.
Infolge der Pandemiemaßnahmen steigt die Zahl psychischer Erkrankungen.
Psychiater der Harvard-Universität schlagen bereits Alarm. Als Folge der Corona-Maßnahmen erwarten sie einen "Tsunami psychischer Erkrankungen".
Auch die Bundespsychotherapeutenkammer hat bereits im August auf die Gefahr hingewiesen, dass neben Depressionen und Angststörungen, akuten- und posttraumatischen Belastungsstörungen auch Alkohol- und Drogen- und Medikamentenabhängigkeit, sowie Zwangsstörungen und Psychosen zunehmen. Gleiches gilt für häusliche Gewalt, Stigmatisierung, soziale Isolation, Einsamkeit und Suizidalität. So hat die Notaufnahme an der TU München die psychiatrischen Notfälle während der Ausgangsbeschränkungen in Bayern von März 2020 bis Mai 2020 ausgewertet und eine große psychische Gefährdung durch die Pandemie festgestellt. 22 Prozent der PatientInnen, die über Corona-Belastungen berichteten, haben einen Suizidversuch unternommen.
Besonders betroffen von den Auswirkungen der Maßnahmen sind auch ältere und alte Menschen. Sie werden aufgrund des erhöhten Infektionsrisikos besonders starken Isolationsmaßnahmen unterworfen. Insbesondere Menschen in Alten- und Pflegeheimen wurden fast vollständig isoliert. Ein solches Vorgehen ist angesichts des damit verbundenen psychischen Leids menschlich nicht mehr nachvollziehbar. Diese Menschen sind massiv gefährdet, wenn sie auf die körperliche Nähe vertrauter Pflegkräfte und auf Besuche Familienangehöriger verzichten müssen. Zur häuslichen Isolation kommt für sie eine unerträgliche soziale Isolation hinzu, die viele kaum mehr verarbeiten können. Manche von ihnen sagten, als man sie nach ihrem Zustand befragte, sie wären lieber tot, als weiter so leben zu müssen. Man bedenke bei dieser Aussage: Das sind Menschen, die einen Krieg überlebt haben.
Laut der Stiftung Deutsche Depressionshilfe sind in Deutschland mehr als fünf Millionen Menschen an Depressionen erkrankt. Im ersten Lockdown im Frühjahr hat fast jeder Zweite massive Einschränkungen Hilfen betreffend erlebt, sei es durch ausgefallene Arzt-und Therapeutentermine oder Klinikaufenthalte. Jetzt wird es noch dramatischer für Betroffene, denn viele Kliniken stellen Ressourcen für die Behandlung von Coronainfizierten um. Für diese Menschen kann der jetzige harte Lockdown zur psychischen Dekompensation führen. Es können Symptome wieder zum Ausbruch kommen, oder es kommt zu schweren Rückfällen.
Eine Analyse der Stiftung Deutsche Depressionshilfe belegt: Rund drei Viertel der Menschen mit Depressionen (74 Prozent) empfanden den ersten harten Lockdown im Frühjahr als bedrückend. In der Allgemeinbevölkerung waren es 59 Prozent. Menschen mit einer Depression haben fast doppelt so häufig unter einer fehlenden Tagesstruktur (75 Prozent) und Grübeln (89 Prozent) gelitten als die Allgemeinbevölkerung. Da waren es aber immerhin auch 41 Prozent. In der häuslichen Isolation sind depressiv Erkrankte zudem deutlich häufiger tagsüber im Bett geblieben (48 Prozent versus 21 Prozent). Deutlich mehr als ein Drittel (43 Prozent) von ihnen gab an, dass es zu Konflikten und Streit kam. In der Allgemeinbevölkerung sagte das weniger als ein Fünftel (18 Prozent) der Befragten.
Für Menschen mit einer Depression, einer Angst – oder Zwangsstörung wird der Einschluss in die eigenen vier Wände durch diesen zweiten harten Lockdown destruktive Auswirkungen haben.
Dabei wissen: Die Depression ist eine schwere, dringend behandlungsbedürftige seelische Erkrankung. Und wieder finden Betroffene keine wirkliche Hilfe. Telefon- und Videosprechstunden sind zwar eine Alternative, aber für manche nicht möglich oder die Online Hilfen sind erst gar nicht erreichbar.
So berichtet die Telefonseelsorge dass ihre Nummern ständig überlastet sind. Bereits im ersten Lockdown riefen etwas über 2.700 Menschen täglich bei der Telefonseelsorge an. Das waren Menschen, die an Depressionen und Angststörungen leiden und aushäusige Kontakte mieden, aber auch viele ältere und körperlich Gebrechliche. Neben der Angst vor einer Infektion gaben lt. Telefonseelsorge, alle Anrufer an vor allem unter der sozialen Isolation zu leiden.
Menschliche Nähe, Wärme und das Gefühl, dazuzugehören und gebraucht zu werden, sind lebensnotwendig und heilsam für die Seele.
Kontakt stärkt unser Immunsystem und erhöht zudem unsere Lebenserwartung. Soziale Isolation und Einsamkeit über lange Zeit machen krank. Durch ständige Lockdowns und Ausgangsbeschränkungen aber sind wir Menschen immer mehr isoliert in den eigenen vier Wänden. Bei manchen Menschen wird durch die totale Reduktion auf sich selbst und aus der Angst, sich anzustecken, nicht selten Todesangst. Dazu kommt die Angst allein zu sterben zu müssen. Aufgrund des seelishes Dauerstresses, könnten viele dann auch tatsächlich früher sterben – ohne Corona.
Singles sind während der Pandemie in der Regel stärker belastet als Familien oder Paare.
Mehr als 17 Millionen Menschen in Deutschland sind nach Angaben des Statistischen Bundesamts im vergangenen Jahr nicht nur alleinstehend sondern leben auch alleine. So allein wie jetzt waren sie nie zuvor. Besonders die Kontaktbeschränkungen machen Alleinstehenden zu schaffen. Sie leiden teilweise massiv unter Einsamkeitsgefühlen, die sie nicht mehr durch sozialen Kontakte wir z.B. einen Besuch im Café um unter Menschen zu kommen, kompensieren können. „Singles geht es am schlechtesten“, sagte Pastorin Astrid Eichler vom Netzwerk Solo & Co für christliche Singles in einem Interview der Berliner Zeitung. Es besteht die Gefahr, dass viele Singles in der Corona-Pandemie abrutschen und in ein schwarzes Loch fallen. Da merkt im Moment kein Mensch, wenn sie in eine Depression rutschen. Für Singles in ist der Lockdown in den Bereichen Kultur und Gastronomie schlimmer als die Kontaktbeschränkungen.“
Eine weitere psychisch stark betroffene Gruppe von Menschen sind diejenigen die ihre Arbeit einstellen mussten, weil sie nicht systemrelevant sind oder ihre Existenz aufgrund der Corona-Maßnahamen verloren haben.
Diese Menschen haben nicht nur existentiell alles verloren, sie haben verloren was ihnen Sinn und Halt gab, sie haben keine Aufgabe mehr. Sie sind potenzielle Kandidaten für Depressionen und Suizid.
Besonders betroffen sind auch all die Menschen, die Tag für Tag um das Überleben Coronakranker kämpfen.
Auch sie bedürfen dringend psychologischer Unterstützung um das Leid und die Angst, die sie Tag für Tag durch ihre Arbeit und auch an sich selbst zu spüren bekommen.
Wir Menschen verfügen grundsätzlich über das Potenzial, Krisen zu überstehen und uns auch wieder davon zu erholen. Die Corona-Pandemie mit ihren harten Maßnahmen allerdings stellt unsere Resilienz und unsere Selbstheilungskräfte vor eine kaum zu bewältigende Herausforderung.
Langsam kommen schon seelisch einigermaßen stabile Menschen an ihre Grenzen, für die oben Beschriebenen, und es gibt noch mehr Gruppen, die ich aufgrund der Länge die dieser Text dann hätte nicht erwähnt habe, ist diese Krise im Zweifel der seelische Untergang.
Ein Ende der Pandemie ist bis jetzt nicht abzusehen. Die Bedrohung durch das Virus bleibt bestehen. Die große Verunsicherung, die Angst, das menschliche Leid, das sie mit sich bringt, dauert an.
Je länger Krisen, Konflikte und lebensbedrohende Situationen dauern und je länger der Mensch sie isoliert von anderen Menschen bewältigen muss, desto eher sind die psychischen Widerstands-und Regenerationskräfte überfordert - das seelische System kollabiert.
Es ist längst überfällig. Die Politik muss langfristig für ein Leben mit dem Virus planen und handeln. Wir werden noch monate-, vielleicht jahrelang, mit dieser Bedrohung leben müssen. Und wer der Illusion verfällt das Problem sei mit Lockdowns, ob light oder hart, nachhaltig zu lösen unterliegt einem Irrtum. Es ist höchste Zeit für Konzepte und Maßnahmen, die die psychischen und die sozialen Konsequenzen der Pandemie mehr in den Mittelpunkt der Überlegungen rücken, zumal das nicht die erste und die letzte Pandemie ist mit der wir künftig leben müssen, zumindest wenn man dem Virologen Dr. Christian Drosten Glauben schenkt, der uns als Nächstes das Mers Virus ankündigt.
Es ist in der Tat allerhöchste Zeit, sonst schreit irgendwann keiner mehr nach dem totalen Lockdown, weil ihm die Kollateralschäden viel mehr Angst machen als eine Infektion.
Da das Virus sich über Aerosole in geschlossenen Räumen verbreitet, sind Abstand und Maske kein ausreichender Schutz. Also sind alle Hygienekonzepte nutzlos, die darauf bauen. Es bleibt gar keine andere Möglichkeit, als der "Shut Dowm", der angesichts der vielen Ausnahmen nicht wirklich ein "Lock down" ist.
AntwortenLöschenEvtl. entspannt sich alles in 2021 etwas, sobald viele geimpft sind. Dass dieselben Leute, die gegen Maßnahmen sind, gleichzeitig Impfungen ablehnen, lässt mich am Verstand dieser Menschen schwer zweifeln. Dazu wäre eine psychologische Einordnung auch mal wünschenswert.
So ist es.
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