Mittwoch, 9. Dezember 2020

Ich bin meine Insel - Vom Umgang mit dem Gefühl von Einsamkeit



                                                                      Foto: A. Wende

 
Niemand ist eine Insel, heißt ein Roman von Johannes Mario Simmel. Ich bin meine Insel, heißt es jetzt für viele von uns. Der immer lauter werdende Ruf nach dem totalen Lockdown kündigt es an, das Leben wird wieder still stehen. Mitten in der stillen Zeit, wird es so still und kalt wie ein Winter nur sein kann. Wohl dem, der Menschen hat, an denen er sich wärmen kann.
Aber was ist mit denen von uns, die vollkommen alleine sind? Wie gehen wir damit um, wenn da keiner ist in diesem stillen Zimmer, außer uns selbst? Wie halten wir uns warm?

Ich halte das nicht aus, sagte gestern eine junge Klientin zu mir. Ich halte es ja jetzt schon kaum noch aus. Das ist doch kein Leben mehr. Homeoffice, meine Eltern leben im Ausland, Freunde sehe ich kaum noch, nur ab und zu draußen zum Spazierengehen und dann gehe ich einkaufen und zurück in meine Wohnung und da ist nichts – nur ich. Tag für Tag, Abend für Abend, nur ich. Ich pack das nicht mehr. Ich drehe noch durch.

Die junge Frau sieht blass aus. Unter den schönen Augen liegen tiefe Schatten. Ich spüre ihr Leid. Ich frage sie, wie sich das anfühlt, allein in ihrer Wohnung.
Einsam. Ich habe Angst mich aufzulösen. Ich fühle mich verloren. Es ist als würde ich verschwinden und mit mir alles Leben um mich herum. Diese Einsamkeit ist ruhelos, bedrohlich und unheilschwanger. Aufgeladen mit dem Impuls ihr davonzulaufen, jemanden zu finden, der sie wegmacht.
Aber da ist keiner.
Ich kenne das Gefühl, antworte ich ihr.
Sie sieht mich an: Echt?
Ja, echt, antworte ich.
Und wie hält man das aus?
Man hält es aus, antworte ich. Man kann lernen damit umzugehen.
Aber wie?
Indem sie zunächst einmal akzeptieren, dass es Jetzt so ist und sich klar machen, dass es so nicht immer war und nicht für immer sein wird.
Sie schaut mich an. Ja, sagt sie, ich denke immer, das hört nicht auf.
Ja, antworte ich, und das macht es noch schlimmer. Es hört ganz sicher auf, weil nichts bleibt wie es ist, außer sie wollen, dass es bleibt wie es ist.
Aber was mache ich an diesen endlosen einsamen Tagen?
Nutzen Sie die Zeit. Sehen sie es wie ein Sabbatical – eine Auszeit. Ruhen sie ihre Seele aus. Versuchen sie das Gute darin zu finden. Erforschen sie, was ihnen gut tut. Tun sie etwas, was sie schon immer tun wollten und nie Zeit dafür hatten. Und vielleicht können sie auch empfinden wie gut es tut, Zeit zu haben, in der niemand außer ihnen bestimmt, was sie mit ihr tun.
Versuchen sie das Alleinsein zu würdigen.

Würdigen? Sie machen Witze!
Nein, ich mache keine Witze. Das ist mein Ernst, sage ich.
Aber ich weiß nicht, was ich mit mir allein die ganze Zeit anfangen soll.
Vielleicht ist das jetzt genau ihre Aufgabe, mit sich selbst etwas anzufangen. Sich selbst kennenzulernen, sich selbst zu erforschen. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich möchte das Leiden am Alleinsein, an der Einsamkeit nicht verharmlosen. Dieser Schmerz ist schrecklich und er kann uns unser ganzes Leben infrage stellen lassen. Er kann uns wie eine Strafe erscheinen, warum ich? Warum habe ich niemanden?

Einsamkeit ist ein sozialer Schmerz. Das Gehirn schätzt ihn genauso schlimm ein wie physischen Schmerz. Das ist es auch warum sie sich bedroht fühlen – beide Arten von Schmerz können ja auch tatsächlich Leib und Leben bedrohen. Aber psychischer Schmerz entsteht über unsere Gedanken, über unsere Vorstellungen – und darauf können wir Einfluss nehmen.

Ja, sagt sie, das stimmt wohl.
Solange sie das Allein mit sich selbst sein als Strafe oder als Verlassensein empfinden, leiden sie. Dann ist das Für-sich-selbst sein eine angstmachende Bedrohung. Für-sich-selbst-sein können sie aber auch dazu nutzen – FÜR sich selbst zu sein – im Sinne von: Sie sind für sich selbst da, so gut sie es können. Sie haben die Bereitschaft für sich selbst zu sein. Das ist die Voraussetzung. Und dann kommt die Übung, der Umgang damit.

Und wie geht das?
Zunächst einmal: Beobachten sie sich. Stellen sie sich Fragen.
Woran genau leide ich? Leide ich daran, dass da kein Mensch ist, der mir beim Leben zusieht oder leide ich daran, dass ich denke ich bin nicht okay, nicht liebenswert, nicht wertvoll?
Leide ich wirklich unter Einsamkeit oder schmerzt es mich, dass das Bild von Alleinsein nicht in meine Konditionierung oder in die Vorstellung gesellschaftlicher Konventionen passt?
Wenn sie das wissen kann sich Ihr Gefühl schon wandeln.
Und dann schreiben sie auf, was genau ihnen fehlt wenn sie sich einsam fühlen. Was immer dabei herauskommt: Sie werden die Einsamkeit anders sehen. Und dann machen wir weiter ...

Sie lächelt zaghaft. Ja, das mache ich. Könnte vielleicht spannend werden.
Das ist spannend. Und wenn die Zeit auf ihrer einsamen Insel vorbei ist, werden sie viel für sich selbst erfahren haben, da bin ich mir sicher.
Meine Klientin macht jetzt ihre Hausaufgaben. Bis zu nächsten Stunde.
Und dann machen wir weiter ...












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