Sonntag, 1. November 2020

Es wird eng


                                              Foto: A. Wende
 
1. November. Allerheiligen nach einer Vollmondnacht. Ein grauer Morgen, Regen draußen. Ich habe das Fenster weit offen, höre die Geräusche aus den Nachbarwohnungen. Leise noch. Die Vögel sind seltsam stumm. Ich bin stumm. Mit wem soll ich auch reden. Es ist niemand da. Ich sitze hier und schreibe wie jeden Morgen. Ich habe nicht gut geschlafen. Ich schlafe seit Monaten nicht gut. Morgens bin ich müde. Ich stehe trotzdem früh auf. Ich stehe auf, weil jeder Tag Leben ist und weil ich meine Struktur bewahren will. Weil sie mir Halt gibt in dieser Zeit, wo ich mich, außer an mich selbst, an nicht viel halten kann. Ich muss da durch wie wir alle. Allein ist das schwer. Auch wenn ich Freunde habe und meinen Sohn, der in Berlin lebt, der immer bei mir ist, im Herzen. Ich vermisse ihn so sehr, dass es weh tut. Ich weiß nicht, wann ich ihn wiedersehe. Das tut noch mehr weh, mehr als das Alleinsein. Denn eigentlich bin nicht allein, ich rede mit Menschen, ich telefoniere, gehe raus. Ich bin nicht allein und trotzdem bin ich es physisch. Ich kann gut allein sein, mir wird nicht langweilig, ich habe zu tun, ich schreibe, ich habe eine Arbeit, die mich erfüllt. Auch das gibt mir Halt. 
 
Aber jetzt spüre ich ein leichtes Kippen. Ab Morgen wird das Alleinsein wieder mehr zu einer Herausforderung. Ich darf nicht kippen. Ich muss auf mich aufpassen, damit ich stabil bleibe und für mich sorgen kann. Ich muss stabil bleiben für meinen Sohn, der mich braucht, für meine Klienten. Ich muss auf mich achtgeben um nicht in dieses bedrohliche Gefühl der Einsamkeit zu rutschen.
Die Pandemie mit ihren Maßnahmen macht so viele Menschen einsam. Nicht nur Alte, auch Junge. Sie erstickt Lebendigkeit.
 
Mein Sohn sagt gestern, ich hab nur noch meine Liebste und meinen besten Freund, den ich sehe. Das macht mich traurig. Und was ist mit den anderen?, frage ich ihn. Wir treffen uns nicht mehr oft. Wir passen auf, wir reduzieren unsere Kontakte. Fünf seiner Freunde hatten Corona.
Ich spüre, dass er ängstlicher geworden ist, als noch vor ein paar Wochen. Das macht mich traurig. Mein Sohn ist kein ängstlicher Mensch, er war es nicht. Ich langweile mich, Mama, sagt er, der sich noch nie gelangweilt hat, der seine Musik machte und seine Auftritte hatte. Die Musik macht er noch, die Auftritte gibt es nicht mehr. Es wird enger Mama, sagt er, ich habe Existenzängste. Seine Angst schmerzt mich, legt sich zu der meinen. 
 
Ich frage mich, wovor ich Angst habe. Was mir am meisten Angst macht. Die Einsamkeit, die in diesem grauen November in meinen Raum kriechen wird, die Angst krank zu werden, die Angst meine Existenz zu verlieren, die Angst mein Kind noch lange nicht wieder zu sehen und im Arm zu halten? All das macht mir Angst. Das ist viel Angst mit der ich umgehen muss, so wie viele von uns. Aber was ist deine größte Angst, frage ich mich weiter, die Angst, die unter all diesen Ängsten liegt?
Es ist die Angst die Freiheit zu verlieren. Es ist die Angst in einer Welt zu leben, in der Sicherheitsdenken zur Legitimation für die uneingeschränkte Macht der Mächtigen wird.
 

“Fear is a natural reaction to moving closer to the truth.” 

Pema Chödrön

 

2 Kommentare:

  1. Danke liebe Angelika,

    auch ich habe Angst. Angst endgültig zu brechen..zu zerbrechen..mein Schicksal nicht bewältigen zu können..entschuldige, ich bin nicht geschickt..trotzdem schreibe ich weiter. Angst ist da..vor allem auch vor Einsamkeit, die ich nicht aus mir selbst heraus füllen kann..ich habe nichts fertig gelernt, habe keine Ausbildung abgeschlossen und habe (noch?) keine Arbeit. Vielleicht kann sich das ändern. Es gibt Hilfe, um vielleicht da raus zu kommen. Wer weiß, vielleicht wird es nochmal besser werden. Ich schäme mich. Ich sitze in meiner Küche und versuche eine gewisse Struktur aufrecht zu erhalten. Freunde habe ich keine, das denke ich jedenfalls. Ich hatte schon mal Freunde, ganz schön war das mitunter. Aber aufgrund meiner Entwicklung sind sie alle zerbrochen. Es gibt jedenfalls kein freundschaftliches Gefühl mehr zu diesen Menschen, auch wenn sie teilweise versuchen wieder Kontakt aufzunehmen, oder ich das versuche. Das macht mir, glaube ich, auch Angst. Das war damals, als man sich kennengelernt hatte und gemeinsamen einen Teil des Lebensweges zusammen ging, schön und intensiv. Das fühlt sich jetzt an wie ein großes Nichts, ein Loch. Das kann Angst machen. Das Schlimmste fühle ich in Bezug zu meiner Familie. Ich habe immer wieder, bis zum heutigen Tag, gehört und mitgekriegt, dass meine Eltern sich ihr Bedürfnis nach Liebe, Nähe, Zuwendung etc nicht geben können. Oder nicht mehr, oder nicht mehr wollen, oder können. Ich glaube es gibt einen Teil in mir, der will, dass meine Eltern getrennte Wege gehen. Oft saß ich mit meiner Mutter zusammen und war in einer Art Therapeutenrolle. Dann sagte ich oft "Dann geh doch und lass Dich scheiden". Ich schäme mich während ich das hier aufschreibe und spüre Schuldgefühle, sowas darf man doch nicht. Das kann Angst machen. Wie kann das passieren, dass man diesen Satz immer wieder im Ohr hat "Geht getrennt, wieso bleibt ihr dann zusammen, wenn er Dir keine Liebe zeigen kann"..Liebe Angelika, ich würde Dich gerade sehr gern fragen, wie sowas sein kann. Dieses blöde Gefühl, dass Konflikte da nicht kompetent ausgetragen werden können, und das Gefühl, für die Bedürfnisse nach Liebe und Nähe gebraucht zu werden. Vielleicht sehe ich viele Dinge auch verzerrt aus meiner subjektiven Sicht. Es macht mir Angst, dass ich an diesem Ding nicht vorbeikomme, das ich daran zerbreche und nie auf meinen eigenen, für mich vorgesehenen (positiven) Weg gehen kann. Aber vielleicht wirds doch noch mal besser. Ich habe Angst, dass ich gefangen bleibe und einsam mein Dasein fristen muss, wie viele von uns. Da ist mittlerweile auch sehr viel Destruktivität gegenüber anderen Menschen aber auch gegen mich selber. Wer hätte das gedacht, dass es dazu mal kommen würde, wo doch angeblich nichts da war, was die Entwicklung negativ beeinflusst hat und die "Schuld" somit ausschließlich bei meiner Person zu suchen ist.

    Mögen wir durchhalten und wieder zu mehr Leben ohne Angst gelangen.

    Nico

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  2. Lieber Nico,

    es gibt keinen Grund Dich zu schämen, dass du das hier schreibst. Es ist vielmer ein Grund stolz auf Dich zu sein, zu schreiben, was Du fühlst. Vielleicht lässt du das was zu den Eltern gehört bei den Eltern und nimmst es nicht als das Deine an. Das würde bedeuten, Dich aus dem Schatten der Eltern herauszubewegen. Das ist nicht leicht und meistens brauchen wir dazu professionelle Hilfe. Vielleicht suchst Du Dir diese. Es ist wichtig in Kontakt zu gehen, es gibt ja Menschen, wie Du schreibst, die das versuchen. Vielleicht gehst du darauf ein, offen für das, was dann geschieht ....

    Alles Liebe
    Angelika

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