Samstag, 28. November 2020

Eine kühle Einsamkeit

                                                        Foto: Alexander Szugger


Schmerzhaft einsam ist der Mensch, wenn er sich von allem und jedem getrennt fühlt und mit nichts verbunden. In dieser Einsamkeit hat er alles verlassen. Er empfindet nicht, dass alles eins ist und er selbst ein Teil von allem.
Es gibt Menschen, die verlassen alles, weil sie sich von Allem und Allen verlassen fühlen, sie resignieren und ziehen sich in die selbstgewählte Isolation zurück. Enttäuscht von den Menschen betreiben sie den äußeren Rückzug in das eigene Innere. Es gibt viele Menschen, die so leben, wir sehen sie nicht, weil sie nicht gesehen werden wollen oder weil wir den Blick nicht auf sie richten wollen. Irgendwo ganz tief in meinem Herzen kann ich sie verstehen, die, die alles verlassen, ich kann sie fühlen, in ihrer Verletztheit, in ihrer Weigerung sich noch einmal verletzen zu lassen, würden sie denn ihren Rückzug aufgeben und sich wieder der Welt und den Menschen zuwenden. Ich kann verstehen, dass ihr Vertrauen gebrochen ist, weil es zu oft missbraucht wurde und ich kann sie fühlen, ihre Angst vor dem Außen, das nicht sonderlich viel Gutes für sie bereit hielt.
Friedrich Nietzsche, der große Einsame formulierte es einmal so: „Des einen Einsamkeit ist die Flucht des Kranken. Des anderen Einsamkeit ist die Flucht vor den Kranken.“
Es gibt immer mehr Kranke in einer kranken Welt und wer ist nun der, der vor wem flieht?
Freiwillig gewählt einsam sein? Ich weiß, dass das keine Lösung ist, denn es dauert nicht lange bis der Mensch in der Verlassenheit mit einer großen Angst konfrontiert wird - der Angst des Kindes, das sich mutterseelen allein fühlt. Ich weiß es, weil ich das Gefühl kenne. 
 
Aber es gibt noch eine andere Einsamkeit. Die Buddhisten nennen sie die kühle Einsamkeit. Eine Einsamkeit, die nichts mehr fordert. 
Man vermeidet sinnlose Aktivitäten im Außen, man rennt nicht in der Welt der Begierden und der Ablenkungen umher um etwas zu erhaschen oder zu besitzen, was man nicht braucht und man erwartet keine Sicherheit und keinen Halt von anderen, weil man dies in sich selbst nicht findet. Man braucht keine Hand an der man haftet und keinen, der einen umsorgt und beschützt, weil man es für sich selbst tun kann. In der kühlen Einsamkeit stellt sich Zufriedenheit ein, ein Gefühl inneren Friedens und eine tiefe Ruhe. Man löst sich von der Illusion sein Glück im Außen zu finden, wenn es nur gelänge der inneren Einsamkeit zu entfliehen. Man hört auf sich selbst zu entfliehen und damit hört man auf vor sich selbst davonzulaufen.
 
Einsamkeit schmerzt so lange wie sie nicht angenommen wird. Nehmen wir sie an, wird es leichter ums Herz.
Es ist wahr, der Mensch ist nicht gern alleine und schon gar nicht gern einsam. Er strebt nach Ganzheit, nach dem Teil, der ihn komplett macht, wie es in Platons Gastmahl zu lesen steht. Immer auf der Suche nach dem, was uns ganz macht, gibt es in jedem Leben unzählige Versuche. Viele, die der Einsamkeit und dem Alleinsein entkommen wollen, suchen ihr missing piece in der erotischen Liebe. Diese Form der Liebe gaukelt uns auf das Wunderbarste das Gefühl von Ganzheit vor, zumindest im ersten Liebesrausch. Da gehen wir auf im anderen - und geben uns selbst auf. Ist das wirkliche Ganzheit? Nein. Es ist die verlockend schöne Illusion man könne in der Verschmelzung mit dem Geliebten ganz werden. Eine Täuschung, die meist in Ent-täuschung endet, dann nämlich, wenn wir begreifen, dass der andere sein eigener Mensch ist und es immer bleiben wird. 
 
Ganzheit, und das spüren wir, wenn wir oft genug in unseren Beziehungen gescheitert sind, finden wir nur in uns selbst. 
Wir selbst sind der von Zeus gespaltene Kugelmensch und deshalb lässt sich die andere Hälfte nur in uns selbst finden. Kein anderer kann das für uns machen oder sein. Das ist eine ernüchternde Erkenntnis, aber wer nüchtern ist, wacht auf aus der Betäubung. Er erlangt Klarheit, auch wenn sie ihm zunächst missfallen mag.
Wir können uns den Anderen nicht einverleiben, wir können den Anderen nicht in seiner Ganzheit erfassen und er uns nicht – aus diesem Gewahrsein wird es geboren, das Gefühl innerer Einsamkeit. Weil es schmerzt versuchen wir immer wieder neu uns zu verbinden. Die innere Einsamkeit, das nagende Gefühl des Unvollständigseins in uns selbst ist der Antrieb um das schmerzhafte Gefühl der Einsamkeit zu überwinden. Ein Paradoxon, das nicht funktioniert.
In der Stille, wenn wir allein mit uns sind und keiner verfügbar, fühlen wir das. Die Einsamkeit flüstert: "Es ist wie es ist. Ich bin Teil Deines Lebens und ich bin unteilbar". Diesen Teil können wir nicht abwählen, ebenso wenig wie den Tod. Aber wir können wählen, wie wir ihn bewerten und wie wir ihn (er) leben. 
 
Unsere Einsamkeit kann uns ein guter Begleiter und Führer sein - auf dem Weg zu der Erkenntnis, dass wir nur dann ganz werden, wenn wir das missing piece in uns selbst finden.
Viele von uns sind jetzt geradezu druc die äußeren Umstände dazu aufgerufen, diesen vermissten Teil in sich selbst zu finden, denn es gibt in dieser Zeit viel Einsamkeit. Sie kann uns in der kollektiven Krise in eine tiefe persönliche Krise stürzen, ja auch das ist möglich. Dann brauchen wir Hilfe.
Aber jede Krise ist auch eine Chance und wie und ob wir diese für uns nutzen, können wir wählen. Zu unserem Besten, wenn wir dazu bereit sind. So schwer es ist für die Einsamen, die ihre Einsamkeit nicht selbst wählen – sie ist in all ihrer Schmerzhaftigkeit auch eine Herausforderung unser eigener bester Freund zu werden. Und irgendwann wird sie vorübergehen, denn alles, alles geht vorüber. Aber wir sind dann gewachsen, an uns selbst im besten Falle.

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