Foto: Paula Modersohn-Becker www |
„Es ist gut, sich aus den Verhältnissen herauszulösen, die einem die Luft nehmen“, schreibt die Malerin Paula Modersohn-Becker in ihr Tagebuch. Paula hat es getan, sie hat sich für einen Moment in der Zeit herausgelöst aus der bedrückenden Beziehung zu ihrem Ehemann, dem Maler Otto Modersohn. Sie ging nach Paris, bezog ein kleines Zimmer in dem Ateliergebäude in der „n° 9 Rue Campagne Première“ im Hinterhaus und studierte Kunst. Sie lebte spartanisch von einer kleinen Erbschaft und verliebte sich leidenschaftlich. Paula war glücklich, sie lebte ihren Traum: Ein freies, kreatives Künstlerleben.
Aber dann holte sie die Geldknappheit ein und sie ging zurück zu Modersohn. Sie versuchte, ihre Pflichten als Ehe- und Hausfrau und Stiefmutter der jungen Elsbeth mit ihren künstlerischen Ambitionen zu vereinen. Die Ehe befreite Paula von dem Zwang, einem ungeliebten Beruf nachgehen zu müssen, um für ihren Unterhalt zu sorgen, machte sie aber zutiefst unglücklich. Paula brachte nach einer schweren Geburt ihre Tochter Mathilde zur Welt. Der Arzt verordnete ihr Bettruhe. Als sie erstmals aufsteht setzt eine Embolie ein, an der sie im Alter von 31 Jahren verstirbt. „Wie schade!“, so Otto Modersohn, seien ihre letzten Worte gewesen.
Warum erzähle ich diese Geschichte?
Weil sie zeigt wie schwer es ist sich aus den Verhältnissen herauszulösen, die einem die Luft nehmen und wie tragisch es ist in diesen Verhältnissen auszuhalten oder sie wieder herzustellen, aus Angst es alleine im Leben nicht zu schaffen. Paula geht zurück zu einem Ehemann, der nicht zu ihrem Wesen und nicht zu ihren Werten passt, der von ihr erwartet, was sie nicht leisten kann, eine brave Ehefrau und Mutter zu sein, wo doch ihre Liebe, ihre Leidenschaft, ihr ganzes Sein, dem Malen gehört. Sie gibt sich selbst auf für eine vermeintliche Sicherheit und zahlt einen hohen Preis: Ihr eigenes Leben. Sie erstickt an einer Lungenembolie, die ihr im wahrsten Sinne die Luft nimmt.
Viele Menschen ersticken lieber an Verhältnissen in denen sie sich arrangieren, weil sie es nicht schaffen, sich für sich selbst und ein handgeschustertes Leben zu entscheiden.
Sie nehmen Dinge und Umstände in Kauf, die sie unglücklich und krank machen, nur um nicht die Verantwortung für ihr eigenes Leben in die Hand nehmen zu müssen. Meist sind es Frauen, die wie Paula, die Bequemlichkeit einer trostlosen Beziehung in Kauf nehmen um nicht für sich selbst stehen zu müssen. Aus Angst nicht für sich selbst sorgen zu können, nicht allein sein zu können, verbiegen sie sich und geben sich am Ende selbst auf. Auch wenn ein solches Leben in der Regel nicht so ein tragisches Ende nimmt wie das von Paula, ist es ein beschränktes Leben, in dem sich das eigene Ich nicht entfaltet.
Ich habe mit vielen Frauen Gespräche geführt, in denen ich immer das Gleiche höre: „ Ich kann nicht gehen, dann müsste ich auf das und das verzichten.“ Sogar wenn sie leiden, wenn die Beziehung sie vergiftet, sogar wenn der Mann trinkt oder sie demütigt, sie bleiben, nicht weil sie ihn lieben, sondern weil sie einen Benefit haben.
Menschen bleiben solange auch in unheilsamen Beziehungen wie sie einen Nutzen für sich darin sehen.
Das ist eine harte Wahrheit und sie ist so bitter wie sie hart ist. Diese Frauen sind, je länger sie aushalten, umso verbitterter. Sie sind alt bevor sie wirklich altern. Die Zeit des Ertragens und der Selbstverleugnung ist ihnen ins Gesicht geschrieben. Wie oft habe ich in diese bitteren Gesichter geblickt und das Kopfschütteln wahrgenommen, wenn ich sagte: „Sie schaffen das, wenn sie die Bereitschaft haben es zu tun.“
Immer ein Nein, eine Weigerung, immer der Widerstand gegen das eigene Lebendige, aus Angst auf etwas verzichten zu müssen, was scheinbar unverzichtbar ist. Da ist jede Hilfe vergeblich.
Manchmal macht es mich traurig zu sehen wie wunderbare Frauen und auch Männer sich selbst aufgeben, nur um nicht auf etwas verzichten zu müssen, was in Wahrheit keinen Wert hat und dafür einen Preis zahlen, der es nicht wert ist an so Wertlosem festzuhalten wie Geld, Luxus oder scheinbarer Sicherheit.
Die Angst dieser Menschen ist größer als der Mut, als die Liebe zu sich selbst und die Neugier auf das Leben.
Ja, es ist schwer sich aus den Verhältnissen herauszulösen, die einem die Luft nehmen.
Es ist schwerer daran zu ersticken.
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