Sonntag, 12. Juli 2020

Narzissmus oder ... Es gibt immer einen Besiegten in der Liebe




Don Juan, Malerei: Angelika Wende

Wer sich in einen Narziss verliebt, hat das Gefühl eine der romantischsten Liebesgeschichten seines Lebens zu erfahren. Der Narziss kommt, strahlt und siegt. Es macht Zoom und du bist ihm verfallen. Er verführt dich nach allen Regeln der Kunst mit dem Charme und dem Charisma eines Don Juan, überwältigend, unwiderstehlich, faszinierend. Dein Hirn setzt aus und dein Herz und dein Bauch schreien: Liebe ihn.
Du bist sein. Du willst sein sein. 

Doch der anfängliche Liebeszauber dauert nicht lang. So hoch wie du geflogen bist, so tief beginnst du langsam zu fallen. Du spürst, dass da etwas Unheilsames mit dir geschieht, aber du willst es nicht glauben.  
Es war doch gerade noch alles so wunderbar, er war doch so einfühlsam, so liebevoll. Er hat dich auf Händen getragen und alles was an dir ist, schön und begehrenswert gefunden. Er hat dich bezaubert, verzaubert, du fühltest dich geliebt so wie du bist und endlich angekommen.
Ja, in der Hölle!
Aber das hast du nicht gemerkt, vor lauter Liebe, vor lauter Leidenschaft und Bewunderung für diesen Mann, der so außergewöhnlich ist und dein Leben so bunt und so voll gemacht hat mit allem wonach du dich schon so lange gesehnt hast.
Deine Sehnsucht hat dich verbrannt! 
Aber das hast du nicht wissen wollen, denn es war doch so intensiv. 
Die Abwertungen, die Ignoranz, die Unerreichbarkeit über Tage, die dann kam, wenn du mal nicht gespurt hast, hast du nicht sehen wollen.
Es hat dich nur noch sehn - süchtiger gemacht. Du bist ihm hinterhergerannt, hast um Verzeihung gebeten für deine Fehler, die keine waren, für deinen Bedürfnisse, die ihn überfordert haben und ihm deine Venen hingehalten, auf dass er daraus trinke, was er am Nötigsten braucht: Deine Lebensenergie. Ohne sie kann er nicht überleben, aber das ist dir nicht bewusst, denn du glaubst ohne ihn nicht mehr leben zu können, weil du längst an der Nadel hängst.

Längst bist du süchtig nach der Intensität, die nur er dir gibt und die du so lange gesucht hast. Dein ganzes System giert jetzt danach.
Dein Adrenalin, dein Cortisol, dein Noradrenalin haben sich schleichend daran gewöhnt immer ganz oben zu sein und dann, wieder unten, fehlt der Stoff, fühlst du dich schwach und müde und krank. 
„Du brauchst ihn!“, schreit dein Körper, schreit dein Herz, aber dein Bauch weiß, dass das, was du da brauchst, eine verdammt giftige Injektion ist, aber der Körper und der Kopf und das Herz wollen mehr davon.

Längst hat er die Maske des Mr. Perfect abgenommen und sein wahres Gesicht gezeigt. Er hat dich wie Dreck behandelt und du fühlst dich wie Dreck und du benimmst dich so.
Er hat dir gesagt wie klein und schwach und dumm und wertlos und wie bedürftig du bist. Er hat dich belogen, betrogen, benutzt. Wenn du ihn gebraucht hast, hat er dich im Regen stehen lassen, weil andere oder anderes gerade wichtiger war. Wenn du dich beklagt hast, hat er zu dir gesagt: „Such dir Hilfe, du bist krank. Er hat dir ein X für ein U vorgemacht und gab es Streit, warst immer du schuld. 
Das mit der Schuld kennst du, wie vieles andere, was er mit dir macht. Du weißt woher, aber du willst es nicht wissen, weil du dann anfangen müsstest dich mit dir selbst zu befassen und das willst du nicht, weil du endlich willst, was du nie bekommen hast: Liebe, die du  für dich selbst nicht spüren kannst. 

Du hast dich selbst nicht mehr wahrgenommen als die, die du einmal warst  - eine wunderbare Frau mit einem klaren Verstand, die ihr Leben meistert.  
Er hat dich beschimpft und bestraft, wenn du dich gewehrt hast oder auf deine Meinung bestanden hast. Er hat deine Wut und deine Verzweiflung Hysterie genannt und dir seine Wut ins Gesicht geschrien oder hinein geschlagen, wenn du noch immer nicht gefügig warst. Er hat dir gedroht dich zu verlassen und mit deiner größten Angst gespielt, ohne ihn nicht mehr leben zu können und nie mehr glücklich zu sein und einsam und verlassen wie das Kind, das du einst warst.
Du hast es geglaubt, weil der Glaube an dich selbst längst gebrochen war wie dein Herz. 

Du hast dich verloren in seinem kranken Universum, in dem du nur einen kleinen Platz hattest und nie die Nummer Eins warst, weil du nicht gut genug, nicht schön genug, nicht groß genug warst für ihn, den Größten, den Klügsten, den Besten, den Supermann, der alle nach seine Pfeife tanzen lässt und wer nicht spurt, fliegt raus.
Du hast ihm verziehen, wenn er wieder ankam, nach Ausflügen in andere Betten, weil es doch nur Sex war und mit dir und seiner Liebe zu dir, absolut nichts zu tun hatte. Und du sollst nicht so spießig sein, das ist nicht sexy und du bist doch die Allerbeste.
Ja, die Beste mit der er das machen kann, was er braucht um überhaupt existieren zu können.  Dich klein machen, damit er sich groß fühlen kann und seine Kleinsein nicht spüren muss, das ihn vernichten würden, was er instinktiv weiß und um jeden Preis vermeiden muss.

Du hast es ihm gegeben das grandioses Gefühl der eigenen Wichtigkeit, ohne dass er verhungert wie ein Wolf, der nichts zum Reißen findet.
Du hast es gestillt sein Verlangen nach übermäßiger Bewunderung.
Du hast gesehen, wie er sich selbst idealisiert, voll von Fantasien grenzenlosen Erfolgs, Macht, Glanz und Unwiderstehlichkeit.
Du hast ihm zugehört bei seinem endlosen Reden über sich selbst und bist immer leiser geworden. Du hast ihm bestätigt wie besonders und einzigartig er ist, weil du dann Zuwendung bekommen hast und dann wieder genommen und zurückgewiesen. Ein ewiges On – und Off, weil das das Spiel ist, das das Stück am Laufen hält.
Du bist an der Seite gestanden wie ein verstoßenes Kind, wenn er seinen Tanz mit großen Gesten aufgeführt hat um von außergewöhnlichen oder angesehenen Menschen Applaus zu bekommen und dich gefragt, was du da eigentlich verloren hast, aber du bist geblieben und hast dem Tanz zugesehen und ihn vielleicht sogar wieder attraktiv gefunden und dich als besonders, weil er ja nur dich braucht. 
Dass er dich liebt hast du längst nicht mehr gespürt, aber gehofft, dass er sich besinnt, weil du immer für ihn da bist und loyal und bedingungslos in deiner Liebe und alles für ihn tust, damit es ihm gut geht. Dein eigenes Gutgehen hast du gar nicht mehr wahrgenommen, weil es dir längst so beschissen ging, dass du vergessen hast, was dir gut tut.

Du hast längst gemerkt wie ausbeuterisch er ist und dass er aus allem und jedem  nur seinen Nutzen zieht um die eigenen Ziele zu erreichen und keine inneren Werte hat und Selbsttranszendez ein Fremdwort.
Du hast es erfüllt, sein hohes Anspruchsdenken und seine Erwartung bevorzugt behandelt zu werden und sein Bestehen auf das Erfüllen seiner Bedürfnisse war für dich Pflicht. Hast du es einmal nicht getan, wurdest du bestraft, sanktioniert, gedemütigt oder abgewertet. 

Du hast es instinktiv gewusst. Nützt du ihm nicht mehr, wird er dich fallen lassen  sobald er einen Ersatz gefunden hat und gedacht, das überlebst du nicht, weil er längst zum Mittelpunkt deines Universums geworden ist und du dich selbst nur noch als kleinen Punkt darin wahrgenommen hast, der am Verlöschen ist.
Du warst immer für ihn da, denn er erträgt es nicht allein zu sein, weil ihm dann der Spiegel fehlt in dem er sich selbst bewundert, weil in ihm selbst nichts ist als eine tiefe emotionale Leere und eine große Angst. Du hast es gewusst, dass er sein Sein nicht aus sich selbst, sondern nur aus anderen bezieht, weil er nichts hat, was ihn von Innen hält und hast ihn gehalten und dir vorgaukelt, dass er dich hält, wo du längst schon gefallen warst. Du hast gewusst, dass er keine Empathie hat und nicht willens und nicht fähig ist, deine Gefühle zu spüren und sie zu achten, weil es nur sein Wollen gibt und sonst nichts. Nie hat er deine Bedürfnisse geachtet und nie ist es ihm gelungen sich mit ihnen zu identifizieren und sie dir zu erfüllen, was man tut, wenn man liebt. 

Er kann nicht lieben, aber du wolltest nicht wahr haben, dass das menschenmöglich ist, weil dein Zuneigunsghunger so groß ist und weil du dachtest, dass Liebe alles heilt.
Auch seine Wunden, die seine Kindheit ihm beigebracht hat, wolltest du heilen.
Seine beschissene  Kindheit, die er dir wieder und wieder vorgejammert hat und du hast mitgelitten und im Tiefsten gedacht: Deine beschissen Kindheit ist keine Rechtfertigung dafür, als Erwachsener ein Arschloch zu sein, und dich für diesen Gedanken verurteilt.

Manchmal war er ja für dich da. Immer wieder hat dich mit Liebeschwüren überschüttet und das hat dir wieder diese verblödete Hoffnung gegeben, dass alles gut wird, wenn du nur lange genug aushälst. So gut und so schön wie am Anfang und von der Erinnerung gelebt, während dein Leben ein bloßes Drüberleben war über all den Horror, den du ertragen hast für die paar Brosamen an Zuwendung und wegen all der Zeit und Kraft die du investiert hast. 
Dein Zuneigungshunger, der so alt ist wie du, ist immer größer geworden und du nie satt, denn deine Bedürfnisse und deine Gefühle hat er nur dann zur Kenntnis genommen, wenn sie für ihn relevant waren. Längst hat dein Bauch begriffen, dass er nicht in der Lage ist eine liebevolle, wertschätzende, respektvolle Beziehung zu führen, weil er unfähig ist echte Gefühle zu empfinden. Dir war klar, dass er Gefühle nur vorgaukelt um seine Ziele zu erreichen. Dir war klar, dass er kein authentisches Interesse an dir hat und dich ausschließlich zur Erreichung eigener Bedürfnisse und Zwecke braucht. Er hat sich lieben lassen.

Aber dein Kopf hat sich immer wieder geweigert, und gesagt: „Was nicht sein kann, darf nicht sein!“
Und gedacht: In ihm drin steckt doch dieser wunderbare Mann, der dich einst auf Händen in den siebten Himmel getragen hat. Noch während du längst am Boden lagst und den Himmel nur von Unten gesehen hast und Stoßgebete nach oben gesandt, hast du gehofft, es möge doch endlich gut werden, wieder so gut, wie es war. Und die Erinnerung an das Schöne und Gute, das nie wahr war, hat dich festgezurrt in einer Vergangenheit, die eine Illusion war und nie mehr dein Jetzt sein wird. Du wolltest es nicht fassen, weil es unfassbar ist, was geschehen ist und nicht aufgeben wollen, denn du hattest ja nur noch ihn.

Und da liegts du am Boden und nimmst wahr: Er hat dich verbraucht. Er hat dich gebraucht und du hast dich brauchen lassen. Und jetzt bist du leer und ausgesaugt und nicht mehr zu brauchen.
Er wird gehen, das weißt du, das weiß dein Kopf, dein Bauch und dein Herz, wenn du die Zeichen am Himmel lesen kannst und das kannst du. Warum sonst erfasst dich die Panik sterben zu müssen vor lauter Angst ohne ihn leben zu müssen?
Dir wird deine Machtlosigkeit bewusst.
Du willst schreien und nach Hilfe rufen, aber da ist keiner mehr, den du um Hilfe bitten kannst, weil du dich von allen isoliert hast, weil es nur noch ihn gab und sonst nichts. Deine Freunde haben dir gesagt wie ungut er für dich ist und du hast dich von ihnen abgewandt, weil du es nicht hören wolltest aus lauer Scham über deinen Selbstbetrug und deine Abhängigkeit. 

Jetzt bist du allein.

Und du denkst du bist verrückt geworden. Und dass er Recht hatte, denn das hat er dir doch immer gesagt, dass du die Verrückte bist.
Er hat dich manipuliert, deine Versionen von Wahrheit verdreht bis du ganz schwindlig warst und ihm geglaubt hast.
Du hast die Schlacht verloren.
Es gibt immer einen Besiegten in der Liebe: Den, der mehr liebt. (Franz Blei)
Und das bist du.
Du hast ihm geglaubt.
Du hast deinen Glauben an dich selbst verlassen.
Du hast ihm vertraut, weil es dir gefällt zu vertrauen und weil man dir vertrauen kann.
Und jetzt vertraust du dir selbst nicht mehr, weil du nur noch eine leere Hülle bist, die kein Innenleben mehr hat, die keine Freude mehr fühlt und keine Kraft und der Wille ist erloschen. Wie tot innen und kein Leben mehr in Sicht, das jemals besser sein könnte, weil du denkst, dass du es nicht verdient hast.
 
Du irrst dich!

Es gibt ein besseres Leben.
Also steht auf und geh ...
Rapple dich auf, nimm dieses liebeshungrige Kind in dir an die Hand und geh ...
Geh und hör auf dich als Opfer zu begreifen, denn dein Bauch hat es gewusst, immer, die ganze Zeit.
Steh auf und geh ...
Und ja, es ist hart und ja, es tut weh.
Und ja, es wird dauern bis du wieder aufrecht gehst.
Und wenn du alleine nicht gehen kannst, hol dir bitte Hilfe.


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