Foto: www |
C. G. Jung schrieb einmal:
„Einen Menschen seinen Schatten gegenüberstellen heißt, ihm auch sein Licht zu
zeigen. Er weiß, dass dunkel und hell die Welt ausmachen. Wer zugleich seine
Schatten und sein Licht wahrnimmt, sieht sich von zwei Seiten, und damit kommt
er in die Mitte.“ Aus Erfahrung weiß ich, er
hat Recht. Die meisten von uns sind nicht in ihrer Mitte. Viele Menschen sind zerrissen
in sich selbst, sie sind sich ihrer selbst nicht sicher und je selbstunsicherer
sie sind, desto fester versuchen sie sich an das Bild zu klammern, das sie von
sich selbst haben. In diesem Bild aber fehlt etwas, nämlich das, was sie an
sich selbst nicht sehen wollen oder können.
Alles was wir an uns
selbst nicht sehen wollen nennt man Schatten.
Man könnte auch der innere
Schweinhund dazu sagen. Wenn wir keine Schattenarbeit machen, sprich - unseren
inneren Schweinehund aufspüren und uns ihm stellen, desto mehr besteht die Gefahr, dass uns der Schatten im
Außen begegnet. Jeder äußere „Bösewicht“ ist ein Repräsentant des Schattens,
den wir abspalten. Er ist der äußere Träger des fehlenden, unausgelebten oder
verdrängten Prinzips unseren vollständigen Wesens.
Je massiver ein Mensch
verdrängt, desto massiver werden die projizierten Träger seines fehlenden
Prinzips im Außen sichtbar.
Mit anderen Worten: Je mehr und je öfter uns im
Außen Menschen begegnen oder Erfahrungen zuteil werden, die wir verurteilen
oder zutiefst ablehnen und auf die wir Eigenes projizieren, desto massiver ist der Hinweis auf das, was es in uns zu
entwickeln gilt um ganz zu werden.
Je beharrlicher wir
versuchen, unsere Schatten zu unterdrücken, desto wahrscheinlicher wird sich
diese geballte unterdrückte Energie gegen unsere Lebendigkeit wenden. Wir
werden starr, weil wir uns beherrschen und kontrollieren, weil wir
glauben, das, was da als innerer Schweinhund in uns lebt, kann uns nur schaden. Also halten wir ihn fest an der Leine und damit binden wir nicht nur das, was
wir auch sind, sondern kostbare lebendige Energie. Wir tun das, weil wir Angst
haben die Kontrolle zu verlieren, ins Chaos zu stürzen, orientierungslos zu
werden, den Halt zu verlieren oder weil wir uns schämen, dass es etwas in uns
gibt, was nicht „gut“ ist. Viele von uns
haben sogar Angst verlassen zu werden, wenn die Anderen sehen würden, wer wir auch
sind.
Wenn wir unsere
Schattenenergie unterdrücken, leben wir nicht alle Teile der Person, die wir
sind. Wir unterdrücken etwas Wesentliches und trennen uns von dem, was auch zu
uns gehört.
Wir schneiden es ab. Das kostet Kraft und der Schnitt schmerzt
dauerhaft. Er wird zu einer Wunde, die nicht heilen will. Jede Form
von Unterdrücken, ganz gleich welcher Qualität von Lebensenergie, wirkt wie
ein Störfeld, das unseren Organismus durcheinander bringt. Es kommt zu
psychischen und physischen Krankheiten.
Unsere Schatten hausen dort
wo unsere tiefsten Ängste sitzen, dort wo wir immer wieder mit Gefühlen von
Hilflosigkeit, Wut, Trauer, Verzweiflung, Ohnmacht oder brennender Sehnsucht konfrontiert
werden.
All das sind Gefühle, die wir vor uns selbst und anderen verbergen,
weil wir sie als schlecht empfinden und/oder weil wir glauben sie nicht
aushalten zu können. Sie stören das Bild, welches das Ego von uns hat, sie
stören die Rolle, die wir uns selbst und anderen vorspielen, sie stören das
Leben in dem wir uns eingerichtet haben, ein Leben von dem wir glauben nur das
Gute, das Schöne, das Wahre, habe darin Platz. Aber das Leben schließt alles
ein. Ein Leben das ausschließt, schließt die Seele ein und damit das, was sie
erfahren will - und das ist weitaus mehr als ein funktionierender Alltag, der
in Gewohnheit, Pflicht und Routine vor sich hin plätschert und in dem
Unwägbarkeiten und Brüche nicht aufzutreten haben. Aber genau dort, wo wir
spüren, da ist etwas schmerzhaft, finden wir das Geheimnis intensiver
Lebendigkeit. Erst wenn wir verstehen,
dass wir auch, wie das Leben selbst, eine dunkle Seite haben und diese anerkennen, werden
wir ganz. Es ist wie mit dem Teufelchen auf der einen Schulter und dem Engelchen
auf der anderen, beide sitzen da, ob wir es wollen oder nicht. Und der
kleine Teufel bleibt sitzen, auch wenn wir ihn ignorieren.
Immer mehr Menschen fühlen
sich niedergeschlagen oder depressiv. Ihr ganzes Denken ist auf die Frage
ausgerichtet, wie sie ihr Leben oder sich selbst optimieren und so verbessern können.
Aber genau mit diesem
sich „verbessern wollen“ mit diesem Selbstoptimierungswahn, geschieht oft das Gegenteil - sie fühlen sich schlechter als vorher, weil sie ja besser sein wollen. Sie kommen gar nicht auf die Idee dorthin zu schauen, wo das Bessere
ist, nämlich dort wo etwas in ihnen selbst fehlt, weil es nicht entwickelt wurde. Auf dieses Weise schneiden
sich Menschen von ihrer Ganzheit ab. Sie klammern sich an ein
illusionistisches Sicherheitsdenken, das durch Verbesserung noch sicherer werden soll, und nehmen sogar Situationen als Probleme
wahr, die sich ihnen als Lösungen präsentieren. Was wir suchen ist bereits
da. Und das können wir dann erst sehen, wenn wir uns
von der Idee lösen, dass wir uns ständig verbessern müssen.
Wer ständig „besser“ werden
will, mag sich selbst nicht, so wie er ist - mit allem, was ihn ausmacht.
Was ist denn, wenn ich besser werden will, der Gedanke?
Der Gedanke ist: Ich bin so wie ich bin, nicht gut genug.
Wenn ich das glaube, gebe ich mir selbst nicht die Wertschätzung und die Liebe, nach der ich mich sehne. So kann das nicht
funktionieren. Wir werden nicht besser,
wenn wir im Außen nach Etwas suchen was uns verbessern soll, um unsere Defekte nicht
spüren zu müssen. Denn genau dort, im Außen, begegnen sie uns, so lange bis wir sie anerkannt und als Teil unseres Wesens integriert haben.
Das Problem, das wir
haben, ist der Widerstand gegen das, was in uns selbst lebendig werden will.
Das Außen folgt immer dem
Inneren. Was wir im Außen wahrnehmen und erfahren, sind die
Manifestationen unseres Unterbewussten und mitsamt all unserer Verdrängungen.
Somit ist jeder äußere Widerstand, der
sich uns in den Weg stellt, sei es eine Krankheit, eine berufliche oder private
Krise, immer ein Träger eines ungelebten, verdrängten Teils in uns, der uns
zeigen will – schau hin: hier gilt es etwas zu entwickeln und zu (er)lösen, udn zwar in dir. Der Ruf zur
Wandlung zeigt sich immer in einer Krise. Er ist Ausgangspunkt der Krise und er kommt dann, wenn die Dinge, so wie sie sind, nicht mehr heilsam sind.
Die Krise will einen Prozess in Gang
setzen - zu unserem Besten. Aber das verstehen viele Menschen nicht, sie sehen
in der Krise nur eine Bedrohung gegen die man ankämpfen muss, damit sie schnell verschwindet. Daher sträuben sich viele Menschen immer
dann, wenn sich Lösungsprozesse in Gang setzen wollen. Dann müssen sie ihren Schatten nicht
ins Gesicht schauen. Dann werden sie aber auch nicht entdecken, was ihnen wirklich fehlt um ein besseres Leben zu leben .
Nichts macht mehr Angst als
etwas aufzugeben, was scheinbar Halt verspricht, auch wenn es in Wahrheit eine
wacklige Konstruktion ist, auf die da gebaut wird oder sogar die Hölle auf Erden, die man sich schön redet.
Wenn wir Wandlungsrufe
mit aller Macht verdrängen, kann sich das auf allen Ebenen des Organismus
ausdrücken. Darum ist es reine Energieverschwendung gegen einen Wandlungsruf
anzukämpfen.
Je mehr Aufmerksamkeit wir
dem Widerstand schenken, je drängender unser Wille ist – das soll weggehen –
desto stärker wird der innere Widerstand. Er wächst genau in dem Maße wie wir
unsere Kraft und unsere Energie gegen ihn wenden. Diese Energie fehlt uns dann
auf allen anderen Ebenen unseres Lebens. Es ist wie mit einer Pflanze, die
gedeiht, wenn wir ihr Aufmerksamkeit schenken. In Falle des Widerstandes wächst eine Giftpflanze wachsen, die uns langsam von Innen heraus zersetzt.
Gelingt es uns aber den äußeren Widerstand als einen Spiegel unseres inneren
Widerstandes zu erkennen, werden wir dazu fähig uns unsere Schatten bewusst
zu machen und sie als Teil unseres Soseins anzunehmen.
Das ist das Ja zu uns
selbst.
Sich selbst erkennen heißt der
eigenen Wahrheit ins Gesicht zu blicken und sie sich selbst gegenüber ehrlich
auszusprechen.
Das Ego mag das alles nicht sehen und es mag das auch nicht
hören, es wird versuchen gegen uns zu arbeiten, es wird mit aller Macht die
alten Denkmuster, Überzeugungen und Lebensumstände festhalten wollen, denn es fürchtet sich vor
nichts mehr, als seine Macht zu verlieren. Was wenn das Bild, das ich
über all die Jahre von mir aufgebaut habe, zusammenbricht? Dann bin ich
erledigt, sagt das Ego. Ja, dann sind wir erledigt und zwar als der, der wir
nicht sind. Aber wir werden dann zu dem was wir wirklich sind – unser eigenes
Hell und unser eigenes Dunkel, wir werden ganz. Der Schweinehund darf endlich
los von der Leine, er darf leben, er darf sein. Damit wird gestockte Energie frei. Der Weg der
Schattenintegration ist lang und er ist mitunter auch schmerzhaft. Ich weiß aus eigener
Erfahrung, es tut weh zu sehen, was wir in uns selbst auch haben und was wir
gegen uns selbst richten. Aber nicht jeder Schatten ist ungut. In jedem Schatten steckt
zugleich auch großes ungenutztes Potenzial, wenn wir es nur sehen wollen. In jedem Schatten steckt immer das Potenzial zur Transformation.
Viele Menschen suchen ihr
Heil in der Meditation.
Sie begeben sich auf den spirituellen Pfad,
sie hoffen auf inneren Frieden und die Fähigkeit ihr Gedankenkarussell zu
stoppen, manche erhoffen sich sogar damit seelische und körperliche Krankheiten
zu heilen. Das ist an sich gut und schön, ich liebe es auch zu meditieren, aber
die Meditation trägt die Gefahr in sich, sich in eine neue Illusion zu
verhaften, sie hat das Potenzial die Verdrängung aufrechtzuerhalten oder sie
sogar zu manifestieren.
"Wenn Sie versuchen,
zu meditieren, ohne Ordnung in Ihrem Leben geschaffen zu haben, werden Sie in
die Falle der Illusionen tappen“, sagt der weise Krishnamurti.
Er hat Recht, weil das
Leben ein Erkenntnisprozess ist, der sich mit der Zeit entfaltet. Wir können
diesen Prozess nicht beschleunigen und schon gar nicht herbeimeditieren, nicht
bevor wir den Kanal von Innen gereinigt haben, nicht bevor die eigenen Schatten
erkannt und integriert wurden. Ignorieren wir die Dynamik dieses Prozesses indem wir den Weg der Abkürzung nehmen, bestätigen wir nur wieder das Ego,
das will und nicht warten kann, das keine Geduld besitzt, das verbessern will ohne vorher aufzuräumen und
aus dem Keller zu holen, was gesehen werden will.
Das Ego ist unfassbar
trickreich, wenn es seinen Machtverlust spürt und es ist so schlau, dass es
sogar spirituelle Konzepte dazu benutzt, sich zu stabilisieren und weiter zu
„verbessern“.
Die wahre spirituelle Reise führt uns wie die Helden im Märchen
immer auch durch die Schattenwelt und zwar durch die eigene. Die spirituelle
Reise unseres Lebens bedeutet nicht, dass wir an einen anderen Ort gelangen, wo
etwas auf uns wartet, was besser ist als das, was ist und was wir glauben nicht
zu haben. Sie führt dahin uns in unserer ganzen Person zu begreifen und uns
unserer Selbst und damit unserer Bestimmung bewusst zu werden. Und diese liegt nicht im friedlichen
Nirwana eines idealen Ortes irgendwo da Vorne, wie wir es gern hätten, sie zu
finden ist ein Prozess der nach Innen geht und zwar nach Hinten in die
Erinnerung an unsere wahres Wesen mitsamt dem, was wir verdrängen.
Jeder der
diese Reise macht, weiß, der Weg geht zuerst einmal durch die dunkle Nacht
der Seele, denn nur an deren Ende beginnt ein neuer Morgen.
Sich selbst erkennen heißt,
sich an sich selbst erinnern und zwar an das, was von Beginn an in uns ist. "Was
du nicht lebst, lässt dich nicht leben", sagt eine alte Therapeutenweisheit. Ist
diese Frage beantwortet, kann die Wandlung beginnen.
Ein sehr guter und wichtiger Text!!
AntwortenLöschen"Der Schweinehund darf endlich los von der Leine, er darf leben, er darf sein."
Das finde ich ein wenig missverständlich. Ein weiser Mann in meinem Umfeld zu Zeiten einer Krise sagte dazu mal "JA heißt nicht: Ja prima!"
Nehmen wir als Beispiel die innere Genusssucht, die Gier nach Kicks, den Hedonismus, der über Schäden in der Umwelt und bei Anderen hinweg sieht.
Dies als Teil des eigenen Charakters zu erkennen, ist natürlich desillusionierend und tut weh. Die "Lösung" ist jedoch nicht, diesen Aspekt nun einfach kritiklos auszuleben. Statt dessen ist "Kultivierung" bzw. "Zivilisierung" angesagt: Ja, es gibt diesen Aspekt, er kann und soll nicht vernichtet werden. Es gibt sogar Umstände und Blickwinkel, unter denen er nicht bloß negativ zu bewerten ist - er hat also eine Funktion und Berechtigung, darf aber dennoch nicht das Handeln dominieren.
Also tut man gut daran, ein Regime zu etablieren, das diesem Aspekt einen kleinen Freiraum lässt, möglichst wenig schädlich. Dafür lässt er uns den großen Rest der Zeit in Ruhe... in der wir ihn aber nicht wieder leugnen dürfen, nicht vor uns selbst und nicht vor Nahestehenden.
Auch ein Anwendungsfall: Lust auf Fleisch.
Warum ändert sich nichts bzw. nur sehr sehr langsam an den Zuständen in der Massentierhaltung? Warum sind alle empört und kaufen trotzdem das nächste Billigfleicht?
Ganz einfach: "Weil es so lecker ist" (und einfach zuzubereiten, vergleichsweise).
Manche werden Veganer und vermeiden nun alle tierischen Produkte, sind also selbst auf der ethisch korrekten Seite, das Selbstbild stimmt, Denken und Handeln sind im Einklang.
ABER: Viele entwickeln dann echten Hass gegen "Carnivoren" und bekämpfen so im Noch-Fleisch-Konsumenten die eigene, verdrängte Lust auf Fleisch. Das ist für die Sache kontraproduktiv, denn die Fleischkonsumenten drängt es in die Reaktanz. Und an jeder Ecke zu hassen, wo gegrillt und Fleisch konsumiert wird, ist auch kein schönes Leben.
Besser ist es, möglichst weitgehend pflanzlich zu essen, aber dem "inneren Schweinehund" ab und an Auslauf zu gönnen und ein fleischiges Traditionsgericht zu essen, an dem man in Wahrheit hängt.
Würden das alle so machen, würde der Fleischmarkt, wie er jetzt ist, bald nicht mehr existieren. Es ginge weit schneller, als darauf zu warten, dass die Mehrheit vegan wird.
Liebe Claudia, was das jetzt mit meinem Text zu tun hat, erschließt sich mir nicht wirklich ;)
AntwortenLöschenDas wundert mich, denn ich habe eingangs den Satz zitiert, auf den ich mich beziehe. Und insgesamt gehts um Schattenintegration, in deinem Text und in meinem Kommentar.
AntwortenLöschenIch muss ja nicht alles verstehen ;)
AntwortenLöschen