Sonntag, 5. Juli 2020

"Besser" werden beginnt Innen



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C. G. Jung schrieb einmal: „Einen Menschen seinen Schatten gegenüberstellen heißt, ihm auch sein Licht zu zeigen. Er weiß, dass dunkel und hell die Welt ausmachen. Wer zugleich seine Schatten und sein Licht wahrnimmt, sieht sich von zwei Seiten, und damit kommt er in die Mitte.“ Aus Erfahrung weiß ich, er hat Recht. Die meisten von uns sind nicht in ihrer Mitte. Viele Menschen sind zerrissen in sich selbst, sie sind sich ihrer selbst nicht sicher und je selbstunsicherer sie sind, desto fester versuchen sie sich an das Bild zu klammern, das sie von sich selbst haben. In diesem Bild aber fehlt etwas, nämlich das, was sie an sich selbst nicht sehen wollen oder können.

Alles was wir an uns selbst nicht sehen wollen nennt man Schatten. 
Man könnte auch der innere Schweinhund dazu sagen. Wenn wir keine Schattenarbeit machen, sprich - unseren inneren Schweinehund aufspüren und uns ihm stellen, desto mehr besteht die Gefahr, dass uns der Schatten im Außen begegnet. Jeder äußere „Bösewicht“ ist ein Repräsentant des Schattens, den wir abspalten. Er ist der äußere Träger des fehlenden, unausgelebten oder verdrängten Prinzips unseren vollständigen Wesens.

Je massiver ein Mensch verdrängt, desto massiver werden die projizierten Träger seines fehlenden Prinzips im Außen sichtbar. 
Mit anderen Worten: Je mehr und je öfter uns im Außen Menschen begegnen oder Erfahrungen zuteil werden, die wir verurteilen oder zutiefst ablehnen und auf die wir Eigenes projizieren, desto massiver ist der Hinweis auf das, was es in uns zu entwickeln gilt um ganz zu werden.
Je beharrlicher wir versuchen, unsere Schatten zu unterdrücken, desto wahrscheinlicher wird sich diese geballte unterdrückte Energie gegen unsere Lebendigkeit wenden. Wir werden starr, weil wir uns beherrschen und kontrollieren, weil wir glauben, das, was da als innerer Schweinhund in uns lebt, kann uns nur schaden. Also halten wir ihn fest an der Leine und damit binden wir nicht nur das, was wir auch sind, sondern kostbare lebendige Energie. Wir tun das, weil wir Angst haben die Kontrolle zu verlieren, ins Chaos zu stürzen, orientierungslos zu werden, den Halt zu verlieren oder weil wir uns schämen, dass es etwas in uns gibt, was nicht „gut“ ist. Viele von uns haben sogar Angst verlassen zu werden, wenn die Anderen sehen würden, wer wir auch sind.

Wenn wir unsere Schattenenergie unterdrücken, leben wir nicht alle Teile der Person, die wir sind. Wir unterdrücken etwas Wesentliches und trennen uns von dem, was auch zu uns gehört. 
Wir schneiden es ab. Das kostet Kraft und der Schnitt schmerzt dauerhaft. Er wird zu einer Wunde, die nicht heilen will. Jede Form von Unterdrücken, ganz gleich welcher Qualität von Lebensenergie, wirkt wie ein Störfeld, das unseren Organismus durcheinander bringt. Es kommt zu psychischen und physischen Krankheiten.

Unsere Schatten hausen dort wo unsere tiefsten Ängste sitzen, dort wo wir immer wieder mit Gefühlen von Hilflosigkeit, Wut, Trauer, Verzweiflung, Ohnmacht oder brennender Sehnsucht konfrontiert werden. 
All das sind Gefühle, die wir vor uns selbst und anderen verbergen, weil wir sie als schlecht empfinden und/oder weil wir glauben sie nicht aushalten zu können. Sie stören das Bild, welches das Ego von uns hat, sie stören die Rolle, die wir uns selbst und anderen vorspielen, sie stören das Leben in dem wir uns eingerichtet haben, ein Leben von dem wir glauben nur das Gute, das Schöne, das Wahre, habe darin Platz. Aber das Leben schließt alles ein. Ein Leben das ausschließt, schließt die Seele ein und damit das, was sie erfahren will - und das ist weitaus mehr als ein funktionierender Alltag, der in Gewohnheit, Pflicht und Routine vor sich hin plätschert und in dem Unwägbarkeiten und Brüche nicht aufzutreten haben. Aber genau dort, wo wir spüren, da ist etwas schmerzhaft, finden wir das Geheimnis intensiver Lebendigkeit. Erst wenn wir verstehen, dass wir auch, wie das Leben selbst, eine dunkle Seite haben und diese anerkennen, werden wir ganz. Es ist wie mit dem Teufelchen auf der einen Schulter und dem Engelchen auf der anderen, beide sitzen da, ob wir es  wollen oder nicht. Und der kleine Teufel bleibt sitzen, auch wenn wir ihn ignorieren.

Immer mehr Menschen fühlen sich niedergeschlagen oder depressiv. Ihr ganzes Denken ist auf die Frage ausgerichtet, wie sie ihr Leben oder sich selbst optimieren und so verbessern können. 
Aber genau mit diesem sich „verbessern wollen“ mit diesem Selbstoptimierungswahn, geschieht oft das Gegenteil - sie fühlen sich schlechter als vorher, weil sie ja besser sein wollen. Sie kommen gar nicht auf die Idee dorthin zu schauen, wo das Bessere ist, nämlich dort wo etwas in ihnen selbst fehlt, weil es nicht entwickelt wurde. Auf dieses Weise schneiden sich Menschen von ihrer Ganzheit ab. Sie klammern sich an ein illusionistisches Sicherheitsdenken, das durch Verbesserung noch sicherer werden soll, und nehmen sogar Situationen als Probleme wahr, die sich ihnen als Lösungen präsentieren. Was wir suchen ist bereits da. Und das können wir dann erst sehen,  wenn wir uns von der Idee lösen, dass wir uns ständig verbessern müssen.

Wer ständig „besser“ werden will, mag sich selbst nicht, so wie er ist -  mit allem, was ihn ausmacht.  
Was ist denn, wenn ich besser werden will, der Gedanke? 
Der Gedanke ist: Ich bin so wie ich bin, nicht gut genug.
Wenn ich das glaube, gebe ich mir selbst nicht die Wertschätzung und die Liebe, nach der ich mich sehne. So kann das nicht funktionieren. Wir werden nicht besser, wenn wir im Außen nach Etwas suchen was uns verbessern soll, um unsere Defekte nicht spüren zu müssen. Denn genau dort, im Außen, begegnen sie uns, so lange bis wir sie anerkannt und als Teil unseres Wesens integriert haben.

Das Problem, das wir haben, ist der Widerstand gegen das, was in uns selbst lebendig werden will.
 Das Außen folgt immer dem Inneren. Was wir im Außen wahrnehmen  und erfahren, sind die Manifestationen unseres Unterbewussten und mitsamt all unserer Verdrängungen. 
Somit ist jeder äußere Widerstand, der sich uns in den Weg stellt, sei es eine Krankheit, eine berufliche oder private Krise, immer ein Träger eines ungelebten, verdrängten Teils in uns, der uns zeigen will – schau hin: hier gilt es etwas zu entwickeln und zu (er)lösen, udn zwar in dir. Der Ruf zur Wandlung zeigt sich immer in einer Krise. Er ist Ausgangspunkt der Krise und er kommt dann, wenn die Dinge, so wie sie sind, nicht mehr heilsam sind.
Die Krise will einen Prozess in Gang setzen - zu unserem Besten. Aber das verstehen viele Menschen nicht, sie sehen in der Krise nur eine Bedrohung gegen die man ankämpfen muss, damit sie schnell verschwindet. Daher sträuben sich viele Menschen immer dann, wenn sich Lösungsprozesse in Gang setzen wollen. Dann müssen sie ihren Schatten nicht ins Gesicht schauen. Dann werden sie aber auch nicht entdecken, was ihnen wirklich fehlt um ein besseres Leben zu leben .
Nichts macht mehr Angst als etwas aufzugeben, was scheinbar Halt verspricht, auch wenn es in Wahrheit eine wacklige Konstruktion ist, auf die da gebaut wird oder sogar die Hölle auf Erden, die man sich schön redet.

Wenn wir Wandlungsrufe mit aller Macht verdrängen, kann sich das auf allen Ebenen des Organismus ausdrücken. Darum ist es reine Energieverschwendung gegen einen Wandlungsruf anzukämpfen.
Je mehr Aufmerksamkeit wir dem Widerstand schenken, je drängender unser Wille ist – das soll weggehen – desto stärker wird der innere Widerstand. Er wächst genau in dem Maße wie wir unsere Kraft und unsere Energie gegen ihn wenden. Diese Energie fehlt uns dann auf allen anderen Ebenen unseres Lebens. Es ist wie mit einer Pflanze, die gedeiht, wenn wir ihr Aufmerksamkeit schenken. In Falle des Widerstandes wächst eine Giftpflanze wachsen, die uns langsam von Innen heraus zersetzt. Gelingt es uns aber den äußeren Widerstand als einen Spiegel unseres inneren Widerstandes zu erkennen, werden wir dazu fähig uns unsere Schatten bewusst zu machen und sie als Teil unseres Soseins anzunehmen. 
Das ist das Ja zu uns selbst.

Sich selbst erkennen heißt der eigenen Wahrheit ins Gesicht zu blicken und sie sich selbst gegenüber ehrlich auszusprechen.  
Das Ego mag das alles nicht sehen und es mag das auch nicht hören, es wird versuchen gegen uns zu arbeiten, es wird mit aller Macht die alten Denkmuster, Überzeugungen und Lebensumstände festhalten wollen, denn es fürchtet sich vor nichts mehr, als seine Macht zu verlieren. Was wenn das Bild, das ich über all die Jahre von mir aufgebaut habe, zusammenbricht? Dann bin ich erledigt, sagt das Ego. Ja, dann sind wir erledigt und zwar als der, der wir nicht sind. Aber wir werden dann zu dem was wir wirklich sind – unser eigenes Hell und unser eigenes Dunkel, wir werden ganz. Der Schweinehund darf endlich los von der Leine, er darf leben, er darf sein. Damit wird gestockte Energie frei. Der Weg der Schattenintegration ist lang und er ist mitunter auch schmerzhaft. Ich weiß aus eigener Erfahrung, es tut weh zu sehen, was wir in uns selbst auch haben und was wir gegen uns selbst richten. Aber nicht jeder Schatten ist ungut. In jedem Schatten steckt zugleich auch großes ungenutztes Potenzial, wenn wir es nur sehen wollen. In jedem Schatten steckt immer das Potenzial zur Transformation.

Viele Menschen suchen ihr Heil in der Meditation.  
Sie begeben sich auf den spirituellen Pfad, sie hoffen auf inneren Frieden und die Fähigkeit ihr Gedankenkarussell zu stoppen, manche erhoffen sich sogar damit seelische und körperliche Krankheiten zu heilen. Das ist an sich gut und schön, ich liebe es auch zu meditieren, aber die Meditation trägt die Gefahr in sich, sich in eine neue Illusion zu verhaften, sie hat das Potenzial die Verdrängung aufrechtzuerhalten oder sie sogar zu manifestieren.

"Wenn Sie versuchen, zu meditieren, ohne Ordnung in Ihrem Leben geschaffen zu haben, werden Sie in die Falle der Illusionen tappen“, sagt der weise Krishnamurti.
Er hat Recht, weil das Leben ein Erkenntnisprozess ist, der sich mit der Zeit entfaltet. Wir können diesen Prozess nicht beschleunigen und schon gar nicht herbeimeditieren, nicht bevor wir den Kanal von Innen gereinigt haben, nicht bevor die eigenen Schatten erkannt und integriert wurden. Ignorieren wir die Dynamik dieses Prozesses indem wir den Weg der Abkürzung nehmen, bestätigen wir nur wieder das Ego, das will und nicht warten kann, das keine Geduld besitzt, das verbessern will ohne vorher aufzuräumen und aus dem Keller zu holen, was gesehen werden will.

Das Ego ist unfassbar trickreich, wenn es seinen Machtverlust spürt und es ist so schlau, dass es sogar spirituelle Konzepte dazu benutzt, sich zu stabilisieren und weiter zu „verbessern“.  
Die wahre spirituelle Reise führt uns wie die Helden im Märchen immer auch durch die Schattenwelt und zwar durch die eigene. Die spirituelle Reise unseres Lebens bedeutet nicht, dass wir an einen anderen Ort gelangen, wo etwas auf uns wartet, was besser ist als das, was ist und was wir glauben nicht zu haben. Sie führt dahin uns in unserer ganzen Person zu begreifen und uns unserer Selbst und damit unserer Bestimmung bewusst zu werden. Und diese liegt nicht im friedlichen Nirwana eines idealen Ortes irgendwo da Vorne, wie wir es gern hätten, sie zu finden ist ein Prozess der nach Innen geht und zwar nach Hinten in die Erinnerung an unsere wahres Wesen mitsamt dem, was wir verdrängen. 
Jeder der diese Reise macht, weiß, der Weg geht zuerst einmal durch die dunkle Nacht der Seele, denn nur an deren Ende beginnt ein neuer Morgen.
Sich selbst erkennen heißt, sich an sich selbst erinnern und zwar an das, was von Beginn an in uns ist. "Was du nicht lebst, lässt dich nicht leben", sagt eine alte Therapeutenweisheit. Ist diese Frage beantwortet, kann die Wandlung beginnen.




4 Kommentare:

  1. Ein sehr guter und wichtiger Text!!


    "Der Schweinehund darf endlich los von der Leine, er darf leben, er darf sein."

    Das finde ich ein wenig missverständlich. Ein weiser Mann in meinem Umfeld zu Zeiten einer Krise sagte dazu mal "JA heißt nicht: Ja prima!"

    Nehmen wir als Beispiel die innere Genusssucht, die Gier nach Kicks, den Hedonismus, der über Schäden in der Umwelt und bei Anderen hinweg sieht.

    Dies als Teil des eigenen Charakters zu erkennen, ist natürlich desillusionierend und tut weh. Die "Lösung" ist jedoch nicht, diesen Aspekt nun einfach kritiklos auszuleben. Statt dessen ist "Kultivierung" bzw. "Zivilisierung" angesagt: Ja, es gibt diesen Aspekt, er kann und soll nicht vernichtet werden. Es gibt sogar Umstände und Blickwinkel, unter denen er nicht bloß negativ zu bewerten ist - er hat also eine Funktion und Berechtigung, darf aber dennoch nicht das Handeln dominieren.

    Also tut man gut daran, ein Regime zu etablieren, das diesem Aspekt einen kleinen Freiraum lässt, möglichst wenig schädlich. Dafür lässt er uns den großen Rest der Zeit in Ruhe... in der wir ihn aber nicht wieder leugnen dürfen, nicht vor uns selbst und nicht vor Nahestehenden.

    Auch ein Anwendungsfall: Lust auf Fleisch.
    Warum ändert sich nichts bzw. nur sehr sehr langsam an den Zuständen in der Massentierhaltung? Warum sind alle empört und kaufen trotzdem das nächste Billigfleicht?

    Ganz einfach: "Weil es so lecker ist" (und einfach zuzubereiten, vergleichsweise).

    Manche werden Veganer und vermeiden nun alle tierischen Produkte, sind also selbst auf der ethisch korrekten Seite, das Selbstbild stimmt, Denken und Handeln sind im Einklang.

    ABER: Viele entwickeln dann echten Hass gegen "Carnivoren" und bekämpfen so im Noch-Fleisch-Konsumenten die eigene, verdrängte Lust auf Fleisch. Das ist für die Sache kontraproduktiv, denn die Fleischkonsumenten drängt es in die Reaktanz. Und an jeder Ecke zu hassen, wo gegrillt und Fleisch konsumiert wird, ist auch kein schönes Leben.

    Besser ist es, möglichst weitgehend pflanzlich zu essen, aber dem "inneren Schweinehund" ab und an Auslauf zu gönnen und ein fleischiges Traditionsgericht zu essen, an dem man in Wahrheit hängt.

    Würden das alle so machen, würde der Fleischmarkt, wie er jetzt ist, bald nicht mehr existieren. Es ginge weit schneller, als darauf zu warten, dass die Mehrheit vegan wird.




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  2. Liebe Claudia, was das jetzt mit meinem Text zu tun hat, erschließt sich mir nicht wirklich ;)

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  3. Das wundert mich, denn ich habe eingangs den Satz zitiert, auf den ich mich beziehe. Und insgesamt gehts um Schattenintegration, in deinem Text und in meinem Kommentar.

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