Donnerstag, 3. Juni 2021

Es tut so weh – wie wir seelischem Schmerz achtsam begegnen können

 

                                                                       Foto: A.W.
 
 
Seelischer Schmerz tut weh. „Es fühlt sich an wie sterben“, sagte gestern eine Klientin zu mir. Seelischer Schmerz kann so weh tun, dass wir ihn im ganzen Körper spüren. Alles in und an uns fühlt sich wund an. Wir können an nichts anderes mehr denken als an diesen Schmerz, weil er so unüberfühlbar und alles ausfüllend ist. Wir sind dieser Schmerz.
Das soll aufhören, sagt meine Klientin weiter, ich will, dass das endlich aufhört.
Ich sage ihr, dass ich sehr gut weiß wie es sich anfühlt. Ich sage ihr auch, dieser Schmerz hört nicht auf, weil sie das wollen.
Und sie sagt: Das kann nicht sein, es muss doch ein Heilmittel geben.
 
Wir wollen heilen, immer wenn etwas weh tut, sei es im Körper oder in der Seele. Wir wollen schnell heilen, damit wir uns wieder normal fühlen und zu unserem normalen Leben zurückkehren können, das der Schmerz auf Pause gestellt hat.
Aber leider gelingt das nicht immer so schnell wie wir es uns wünschen. Und manchmal geling es nicht mehr, dann zum Beispiel, wenn wir eine chronische Krankheit haben, die mit Schmerzen verbunden ist. Viele Menschen leben mit chronischen körperlichen oder seelischen Schmerzen. Für sie gibt es keine Heilung. Sie müssen mit den Schmerzen leben, die man allenfalls nur kleiner machen kann.
Ein Leben mit Schmerzen ist ein schweres Leben. Ich habe den tiefsten Respekt vor Menschen, die so leben müssen. Fragt man diese Menschen wie sie das aushalten, kommt oft die Antwort: Ich habe gelernt damit zu leben. Was bedeutet: Sie haben den Schmerz angenommen, als Teil ihrer selbst.
 
Den Schmerz annehmen. Das ist nicht Heilung, aber es ist Linderung.
Und so können wir im ersten Schritt unseren seelischen Schmerz annehmen. Wir können aufhören, ihn weghaben zu wollen, aufhören uns selbst anzuklagen, dass wir nicht stark genug sind ihn auszuhalten, dass wir leiden und uns so nicht haben wollen, weil das Leid doch die Freude einsperrt. Wir können aufhören etwas von uns zu erwarten, was wir gerade nicht können.
Das lindert den Schmerz ein wenig.
Wir können unseren Schmerz sogar umarmen und sagen – ja, du gehörst zu mir, jetzt in diesem Moment in der Zeit und ich weiß, warum du da bist, du bist ein Zeichen dafür, dass ich ein fühlender, lebendiger Mensch bin. 
 
Wir Menschen besitzen erstaunliche Selbstheilungskräfte und je mehr wir ihnen vertrauen, desto größer sind sie. 
Wunden können heilen. Schmerz kann heilen. Wie eine tiefe körperliche Wunde, kann auch der seelische Schmerz heilen. Und wie bei einer offenen Wunde braucht es Zeit. Manchmal viel Zeit, manchmal sehr viel Zeit. Wir müssen geduldig sein. Aber wir können die Heilung und unser Wohlbefinden unterstützen. Wir können unsere Selbstheilungskräfte aktivieren indem wir in Kontakt mit dem kommen, was wir brauchen. 
 
Wir können uns Heilungsräume schaffen in denen wir liebevoll für uns da sind.
„Immer dann, wenn wir unsere liebevolle Aufmerksamkeit auf etwas richten, findet Heilung statt“, sagt der weise Thich Nhat Hanh. Wir dürfen uns diese Aufmerksamkeit selbst geben, uns trösten und uns um uns selbst kümmern, so gut wir es können. Immer nur von einem Moment zum anderen ohne die ganze Strecke vor Augen zu haben. In diesem Moment tue ich mir Gutes. Nur in diesem Moment. Das genug. 
 
Wir können uns Hilfe suchen, einen Menschen, der uns seine freundliche, uneingeschränkte und nicht wertende Aufmerksamkeit schenkt.  
Jemand, der mit ganzem Herzen präsent für uns da ist. Der uns mit allem was wir fühlen und aussprechen wirklich zuhört und nichts beschönigt, nichts klein redet, nichts verdreht und uns nicht mit Ratschlägen schlägt, die wir sowieso nicht umsetzen können. Alle weisen Worte und Ratschläge helfen uns nicht, sie machen den Schmerz nicht kleiner, sie klingen alle gleich und in Anbetracht unseres Schmerzes ungeheuer banal. Sie erreichen uns nicht, denn was wir fühlen ist nicht banal. Es tut so weh. Es will ernst genommen werden. Ja, das ist so. Und ja, das ist okay. Jetzt ist so wie es ist und es kann anders werden.
Sarva anitya (Alles ist unbeständig). 
 
Seelischer Schmerz braucht Raum.
Er braucht einen geschützten Raum in den wir nur Menschen hineinlassen, die uns Schutz geben, indem sie uns ganz annehmen so wie wir jetzt sind. Er braucht Raum, in dem wir uns selbst Fürsorge schenken und diese beginnt damit, uns nicht zu verurteilen und dem, was uns weh tut, Aufmerksamkeit schenken, freundliche, liebevolle, gütige Aufmerksamkeit.
Danke, dass du für mich sorgst, könnte unser Schmerz dann antworten. Und vielleicht ist es ja genau das, was uns unser Schmerz lehren will – gut zu uns selbst zu sein. Achtsam und liebevoll mit uns selbst umzugehen. Uns selbst Heilsames zu tun. 
Unsere Selbstheilungskräfte dankbar anzuerkennen, sie zu nutzen und darauf zu vertrauen.
Wir sind viel stärker als wir denken, wenn wir auf uns vertrauen. Und je mehr wir uns selbst wieder vertrauen, desto heiler werden wir. Wir kommen nicht unverwundet durch dieses Leben. Wir müssen alle Federn lassen, aber es bedeutet nicht, dass wir das Fliegen verlernen.

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