Dienstag, 15. Juni 2021

Aus der Praxis - Die Wucht der Kränkung

 

                                                             Zeichnung: A. Wende

Man kann nicht, nicht gekränkt sein.

Niemand von uns kann sich gegen Kränkungen schützen. Kränkungen gehören zum Leben. Sie sind quasi an der Tagesordnung, besonders in engen Beziehungen. Wir alle wurden schon gekränkt und wir alle haben schon andere gekränkt. Die einen von uns machen ein Pokerface und stecken die Kränkung weg oder sie tun so als gingen sie cool damit um. Was aber nicht bedeutet, dass die Kränkung im Unterbewusstsein nicht weiter schwelt. Sie sind sich dessen nur nicht bewusst. 


Nicht jeder reagiert auf diese Weise auf eine Kränkung.

Kränkungen können für manche Menschen eine derart große Wucht haben, dass es sie vollkommen umhaut. Und nein, das sind nicht nur die Sensiblen unter uns, es sind sogar oft sehr selbstbewusste Menschen, die sonst nichts so leicht umhaut und die in ihrem Leben viele Krisen gemeistert haben.

Es ist also wichtig, bevor wir mit Sprüchen kommen wie: „Jetzt nimm das mal nicht so schwer!“, genau hinzusehen, was mit einem Menschen, der gekränkt ist, wirklich los ist. Aus Erfahrung weiß ich – er geht durch eine emotionale Hölle. 

 

Eine Kränkung ist eine ernstzunehmende seelische Verletzung. Aus der Hirnforschung weiß man, dass sie den gleichen Effekt hat wie eine körperliche Verletzung.  

Eine Kränkung ist die Verletzung eines anderen Menschen in seiner Würde, seinen Werten, seinen Gefühlen und seiner Selbstachtung.

Aus Kränkungen werden Kriege, aus Kränkungen heraus morden Menschen, gekränkte Menschen laufen Amok. 

Kränkungen sind sehr ernst zu nehmen.

Wenn Kränkungen sich manifestieren sind sie eine zersetzende Kraft.

Es heißt nicht umsonst: Was kränkt, macht krank.

 

Tief gekränkte Menschen brauchen Hilfe. Sie erleben einen Cocktail destruktiver Gefühle wie Ohnmacht, Wut, Hass, Trauer, Scham, Schuld u.v.m.

Spätestens dann, wenn die Kränkung in den Mittelpunkt des Lebens gerückt ist, ist der Mensch in einem Käfig gefangen aus dem er ohne Hilfe von außen nicht mehr herauskommt. Anstatt zu versuchen irgendwie alleine damit fertig zu werden, sollte  unbedingt professionelle Hilfe gesucht werden. 

 

Ist die Kränkung tief, aber beherrscht sie nicht unsere ganzes Denken und Fühlen, können wir lernen damit umzugehen und sie zu bewältigen.

Aber wir geht das?

 

Anerkennen

Der erste Schritt ist, sich selbst einzugestehen, das man gekränkt ist und nicht drüber steht. Es nicht herunterspielen, weil wir cool sein wollen oder so etwas nicht in unser Selbstbild passt. Die Kränkung geht dadurch nicht weg und kann weiter wirken wie ein Schwelbrand in der Seele. Es ist also wichtig die Kränkung ernst zu nehmen und uns ihrer bewusst werden. Und es ist wichtig zuzugeben, dass wir darunter leiden.

 

Reden

Die Kränkung ansprechen und zwar der Person gegenüber, die uns gekränkt hat. 

Das erfordert Mut, denn man will ja nicht schwach erscheinen, aber – zum einen ist es keine Schwäche zu sagen, was man empfindet, sondern es zeugt vielmehr von Selbstbewusstsein und Stärke – und zum anderen hat der, der die Kränkung verursacht hat, so die Möglichkeit sich zu erklären oder sich zu entschuldigen. 

Tut er das nicht, ist die Beziehung zerstört.

 

Wir brauchen jemand anderen zum Reden. 

Einen empathischen Menschen, der uns ernst nimmt, uns achtsam zuhört und uns tröstet um über die Kränkung hinwegzukommen. Einen Menschen, der uns in unserem Verletztsein, unserer Fassungslosigkeit, unserem Schmerz, unserer Scham, unserer Wut und unserer Trauer annimmt und ernst nimmt.

 

Kränkung als Chance

Eine Möglichkeit, die nur sehr wenigen Menschen gelingt ist: Die Kränkung als hilfreiche Kritik anzunehmen um daran zu wachsen. Und zwar in dem Sinne, dass wir etwas über uns erfahren, was uns vielleicht nicht bewusst war. 

 

Jede Kränkung trifft auf einen wunden Punkt – sie trifft also auf eine Wunde, die zuvor schon da war und nicht verheilt. Das zeigt uns wo wir noch heilen dürfen.

Wir können uns fragen:

Warum genau bin ich so gekränkt?

Was genau hat mich so tief verletzt?

Was in meinem Selbstbild ist verletzt?

Welche meiner Werte wurden verletzt?

Was habe ich bisher nicht gesehen?

Welche alten schmerzhaften Erfahrungen kommen durch die Kränkung nach Oben?

 

Diese Fragen führen uns zu uns selbst hin und weg von dem, der uns gekränkt hat. Geben wir diesem Menschen keine Macht über uns, dann wachsen wir an der Lektion.

 Aber wie gesagt: Es ist schwer eine tiefe Kränkung zu überwinden und es kann lange dauern. Eine Kränkung ist ein Verlust von vielem, manchmal sogar von einem Menschen, den wir geliebt oder dem wir vertraut haben.

Sie zu verarbeiten braucht Zeit und Geduld mit uns selbst. Im Grunde ist es wie Trauern. Aber diese Trauer hilft uns letztlich nicht zu verbittern.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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