Es ist mir unverständlich, wie viele Menschen, die längst nicht mehr können, sich selbst weiter antreiben. Am Ende ihrer mentalen, körperlichen und emotionalen Kräfte angelangt, halten sie nicht inne. Noch in der Erschöpfung motivieren sie sich mit Sätzen wie: Du kannst! Mach weiter! Du schaffst das! Ausruhen kannst du dich irgendwann, jetzt geht das nicht. Hauptsache nicht schwächeln.
Manch einer kommt sich dabei sogar noch heldenhaft vor und blendet aus, dass auch Helden irgendwann scheitern, wenn sie sich selbst und ihre Kräfte überschätzen - und zwar an sich selbst.
Irgendwie hat das für mich etwas von Hochmut. Der ist bekanntlich unheilsam, denn er kommt oft vor dem Fall. Dieser Hochmut nimmt bisweilen solche Ausmaße an, dass er den Menschen antreibt, sich selbst zu beweisen, dass er nicht schwach ist. Es ist also nicht immer der Innere Antreiber, der uns weiter machen lässt, wenn wir bereits auf dem Zahnfleisch gehen, sondern auch die hochmütige Selbstüberschätzung des Egos, die uns erheblichen Schaden zufügen kann.
Wir sind ja so toll, so stark, so hilfsbereit, immer da, wenn man uns braucht. Wir sind Kämpfer!
Wir geben und geben und bedenken nicht, wenn das Fass leer ist, haben wir nichts mehr zu geben.
Nicht aufgeben. Keine Hilfe suchen und keine annehmen, den Märtyrer spielen - unheilsam.
Das füttert zwar das Ego und gibt uns kurzzeitig wieder einen Schuss Adrenalin um uns aufzulehnen gegen das, was wirklich ist: Wir sind längst am Ende und können nicht mehr. Wir sind ausgebrannt.
Diese Haltung macht krank auf allen Ebenen des Organismus. Und dann wehrt sich als letzter Hilferuf der erschöpften Seele der Körper und knockt uns aus. Pause. Zwangspause, weil der Zwang stark bleiben zu müssen, den Stecker gezogen hat.
Es wäre weitaus gesünder auf unser Gefühl zu hören, wenn wir sagen:
Ich kann nicht mehr!
Und dazu zu stehen.
Für uns einzustehen.
Nur wer auf sich selbst hört, kann spüren und erfahren, was für ihn wichtig ist, seine Bedürfnisse wahrnehmen, die Zeichen der Seele und des Körpers ernst nehmen und gut für sich sorgen.
Die meisten Menschen können das nicht, auch wenn sie noch so viele Ratgeber über Selbstfürsorge und Selbstliebe lesen. Sie lesen und machen weiter wie bisher. Sie machen vielleicht sogar ein Seminar oder ein Coaching in Sachen Selbstfürsorge und wundern sich warum sich nichts Wesentliches in ihrem Leben ändert. Ganz einfach, weil sie das Gelernte nicht konsequent üben und umsetzen. Oder nur mal kurz und dann lassen sie es wieder, weil sich kein sofortiger Erfolg einstellt.
Was die meisten Menschen nicht können, ist Geduld mit sich haben.
Geduld haben verlangt ein tiefes Verständnis für sich selbst und die Situation in der man sich befindet. Geduld verlangt sich ernst zu nehmen und sich Zeit zu geben für eine heilsame Veränderung. Weil sich Menschen nicht ernst nehmen, keine Geduld und wenig Wohlwollen für sich selbst empfinden, gibt es für sie nur schnelle Lösungen um den unheilsamen Zustand in dem sie sich befinden zu beenden, damit alles wieder so ist wie immer. Längerfristige Prozesse taugen ihnen nicht. Darum schlucken viele Menschen wenn sie krank sind bereitwillig Tabletten um schnell wieder zu funktionieren. Ihnen ist dabei nicht bewusst, dass sie damit nur die Symptome betäuben und weiter an der Ursache kranken.
Jede Krankheit, auch die des Gemütes, ist ein Alarmsignal innezuhalten, genau hinzuschauen und das zu tun, was es braucht um wieder zu gesunden. Dazu gehört auch zu lassen, was krank gemacht hat.
„Ich kann nicht mehr!“, ist ein Alarmsignal.
Es ist der Hilferuf der überforderten Seele, sich nicht mehr zu verausgaben und sich Zeit zu geben, Ruhe, Selbstfürsorge und Pflege, sich Raum zu geben für eine Veränderung der alten Denkweisen und Muster um nicht mehr an die eigenen Grenzen zu gehen oder sogar drüber.
Und das dauert.
Dem sich selbst überschätzenden Hochmut des Egos gefällt das natürlich nicht, es wehrt sich vehement, wenn wir versuchen es in die Schranken zu weisen. Es macht uns Druck. Aber es gibt es ein Gegenmittel: Einsicht und Klarheit und das achtsame Bewusstsein für unsere Gefühle – und sie ernst nehmen.
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