Donnerstag, 10. Juni 2021

Aus der Praxis – Was bringt es in der Vergangenheit zu graben?

                                                          Foto: www
 
 
Sätze wie: Lass doch die Vergangenheit endlich ruhen! Hör auf die Eltern verantwortlich zu machen, für alles, was in deinem Leben schief läuft!, haben durchaus ihre Berechtigung.
Ja, es ist gut nicht in der Vergangenheit zu leben, denn tun wir das ständig, verpassen wir das Erleben im Jetzt oder unsere Gegenwart ist zumindest mit den belastenden früheren Erfahrungen unserer unguten Erfahrungen eingefärbt und wir handeln aus alten Mustern und inneren Überzeugungen heraus, derer wir uns nicht bewusst sind. Damit verpassen wir vieles was uns glücklicher machen könnte und machen vieles kaputt, was gut sein könnte.
Und ja, es ist nicht hilfreich, den Eltern die Verantwortung für alles zu geben, was uns belastet, oder wie ich immer sage: Eine beschissene Kindheit ist kein Grund ein beschissenes Leben zu leben. 
 
Aber ...
Es macht Sinn sich mit der eigenen Geschichte, denn das ist unsere Vergangenheit, ein Teil unserer Geschichte, aueinanderzusetzen um sich besser zu verstehen. Sich aus der Vergangenheit heraus zu verstehen, heißt nicht Verantwortung abzugeben oder Schuld zuzuweisen - es heißt: Zu verstehen, warum man der Mensch geworden ist, der man heute ist. Es bedeutet: sich tiefer zu verstehen. Und dazu ist die Vergangenheit der Schlüssel.
Wenn wir wissen, wie gewisse Überzeugungen und Muster, Verhaltensweisen, Gedanken und Gefühle entstanden sind, die zu unseren Neurosen geführt haben, dann bedeutet das nicht, dass wir die Vergangenheit verteufeln oder den Eltern die Schuld dafür geben. Es heißt auch nicht, dass wir all das Unheilsame emotional noch einmal durchleben müssen.
Es geht um uns selbst - um das Verstehen eigenen Denkens, Fühlens und Verhaltens und nicht um Entlastung indem wir die Vergangenheit für alles was schief läuft und uns blockiert, verantwortlich machen. 
 
Es geht auch nicht darum alles, was man uns an Unheilsamen angetan hat, zu verstehen und zu verzeihen. Wenn es gelingt, schön, wenn nicht, auch okay.
Es geht allein darum hinzuschauen und uns selbst Verständnis, Liebe und Mitgefühl zu schenken. Es geht um das Verstehen und Begreifen all dessen, was wir bisher nicht verstanden und begriffen haben. Es geht allein um die Aussöhnung mit der eigenen Biografie und um die Versöhnung mit uns selbst. 
 
Uns selbst aus unserer Geschichte heraus zu verstehen bedeutet: Wir kommen uns selbst nah.
Wir entzerren das verzerrte Bild, das wir von uns selbst haben, wir korrigieren die Haltung, die wir uns selbst gegenüber haben, wir begreifen uns selbst, wir nehmen uns selbst in Besitz, unabhängig von den anderen und dem, was sie uns getan haben - wir werden selbstabhängig. Wir befreien uns von Selbstanklagen, Schuld, Scham und Selbstvorwürfen, wir befreien uns von Gedanken wie: Ich habe es nicht besser verdient, weil ich nicht okay bin, nicht gut genug, anders als andere, und und und ...
Damit ergreifen wir bewusst unsere Verantwortung für ein besseres Jetzt.

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