Selbstmitgefühl bedeutet fürsorglich, wohlwollend, sanft und freundlich mit uns selbst umzugehen. Es ist eine Sache der Bereitschaft und der Übung. Dabei geht darum innerlich eine Haltung des Wohlwollens, der liebenden Güte und der Geduld uns selbst gegenüber zu kultivieren. Es geht darum uns hinreichend gut zu behandeln, besonders dann, wenn wir uns nicht gut fühlen, wenn wir verletzt wurden, traurig sind oder krank. Wir aber wollen immer schnell wieder funktionieren und da stört eine solche Haltung. Also ignorieren wir die Güte uns selbst gegenüber und leben drüber, auch wenn wir längst auf dem Zahnfleisch gehen.
Ich bin auch so jemand, besonders mit der Geduld habe ich es als Widder nicht so. Geduld, besonders wenn ich krank bin, ist eine meiner schwersten Übungen. Ich komme mit vielem klar mit Kranksein ganz schlecht. Ich ertrage es nur schwer, wenn mein Körper nicht will wie mein Geist will, wenn er mich stoppt, mich quält und ich etwas aushalten muss, was ich überhaupt nicht beeinflussen kann, zumal ich keine Schmerztabletten schlucke und den Schmerz dann so richtig fühle. Aber ich weiß auch, je größer der Widerstand, desto größer der Schmerz. Und trotz meines Wissens steht er dann vor mir, ganz groß, der innere Widerstand und ich ganz klein und mit viel Aua und viel Wut, weil ich es nur schwer schaffe loszulassen von meinem gesund sein Wollen. Dann geht es mir noch schlechter, weil ich gegen mich selbst ankämpfe, anstatt mich zu fügen in mein Kranksein und alles zu tun um zu genesen und zwar geduldig und nicht mit dem Druck, es muss schnell wieder gut sein.
In diesen letzten Tagen habe ich viel über Kranksein und körperliche Schmerzen nachgedacht. Es kann jedem von uns passieren kann, auch mir, dass wir so schwer krank werden, dass wir nicht mehr gesund werden, dass wir mit Schmerzen, Schwäche und Einschränkungen leben lernen müssen. Ich habe an meine siebzigjährige Freundin gedacht, die ohne Schmerzen nicht mehr laufen kann, für die jede kleine Anstrengung eine große Kraftanstrengung ist und an eine Klientin, die unheilbar krank ist, für die ein „normales“ Leben nicht mehr möglich ist und ich konnte beide nach einer Woche Dauerschmerzen fühlen. Ich kann jetzt fühlen wie es ist, wenn man will und nicht kann, weil die Schmerzen einen ganz ausfüllen. Und ich habe gefühlt wie es ist, zu dem körperlichen Schmerz begreifen zu müssen – das hört nicht auf, weil ich das will.
Man muss damit leben. Man muss damit leben nicht mehr der Mensch zu sein, der man war, denn eine schwere Krankheit verändert alles, innen wie außen und damit auch die Seele und das eigene in-der-Welt-sein. Damit klar zu kommen ist eine existenzielle Herausforderung. Ich bin auf dem Weg der Genesung, jetzt ist es so, aber vielleicht ist es irgendwann nicht mehr so, denn das Alter bringt im Zweifel auch chronisch und schwer Kranksein mit sich. Und dann ist plötzlich alles anders. Da hilft kein Widerstand. Da hilft nur Akzeptanz. Hört sich cool an, ist aber nicht cool, wenn man das so sagt oder denkt oder es einem empfohlen wird. Etwas akzeptieren was chronisch schmerzt und nicht aufhört zu schmerzen ist eine so große Herausforderung, dass es uns an unsere Grenzen bringen kann.
Wenn das Leben zur Last wird, was dann? Wenn der Körper uns derart einschränkt, dass ein normales Leben nicht mehr möglich ist, was dann? Wenn wir die Kontrolle über den Körper verlieren, wenn wir der eigenen Machtlosigkeit und Hilflosigkeit gegenüberstehen, was dann? Dann wird uns gefühlt bewusst wie klein wir doch sind, wie verletzbar, wie zerbrechlich und wie vergänglich und vor allem wie viel von dem, was wir für wichtig halten, absolut unwichtig ist. Dann sind wir nur noch wir selbst, wir sind so sehr bei uns selbst in diesem Schmerz, das alles andere, was wir an Rollen und Masken so mit uns herumtragen, abfällt. Mir ging es jedenfalls so. Eine kleine Ahnung von Sterben lag in diesem Zustand und das ich dem letztlich entgegengehe, denn ich bin angezählt. Ich muss noch besser auf mich aufpassen und langsamer machen, noch mehr Grenzen ziehen wenn ich spüre, das ich mir zu viel zumute.
Aber was wenn ich, trotz aller Selbstfürsorge, einmal nicht mehr gesund werde?
Meine siebzigjährige Freundin sagte zu mir: „Ich schaue nicht mehr auf das, was ich nicht mehr kann, ich schaue nur auf das, was ich noch kann und das mache ich dann.“
Wie groß, wie weise und demütig.
Ob ich das wäre?
Ich weiß es nicht.
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