Foto: Angelika Wende
Ich denke an
meine Klienten, an die, denen auch mulmig ist, an die mit der
großen Angst, die zu mir kommen und mich bitten: Nehmen sie mir die
Angst. Das kann ich nicht, sage ich dann. Die Angst kann man
nicht wegnehmen. Es wäre schön, wenn man das könnte. Was man kann ist
damit umgehen lernen. Im Umgang mit der Angst geht es immer um das Gelingen von Gelassenheit. Es geht darum über der Angst stehen
zu lernen. Es ist Zeit die Angst zu enttabuisieren, denke im
Wartezimmer und versuche das Husten zu ignorieren. Wir müssen drüber
reden, sie aussprechen, miteinander reden über unsere Angst. Und
aufhören uns dafür zu schämen, denn das macht sie nur größer. Ich
spreche mit dem Arzt. Ich frage ihn, ob er Angst hat. Ja, sagt er, seit
Corona jeden Tag.
„Die Angst besiegt mehr Menschen als irgendetwas anderes in der Welt", schrieb Ralph Waldo Emerson. So ist es jetzt. Die Angst scheint uns besiegen zu
wollen. Uns immer kleiner machen zu wollen. Wenn Angst autorisiert wird,
wird sie bedrohlich und sehr gefährlich. So ist es jetzt. Man macht uns
Angst, legt immer mehr nach. Wir müssen auf uns achten, sonst sind wir
verloren. Angst ist eine Erlebens- und Verhaltensweise, die der
Bewältigung äußerer und innerer Bedrohung dient. Und jeder Mensch geht
anders damit um. Manche haben mehr Angst, manche weniger. Aber jeder
kennt sie. Und jeder empfindet sie mehr oder weniger stark. Angst ist
eine der vielen BewohnerInnen im unendlichen Land unserer Seele. Sie
kann schreckliche Abgründe haben, dann wenn sie ganz groß wird, so groß,
dass sie das Leben zum Gefängnis macht. Dann wird sie zu einem
reißenden Wolf, der die Seele auffrisst. „Angst essen Seele auf“, lautet ein afrikanisches Sprichwort.
Wenn
das geschieht empfinden wir den totalen Weltverlust, es reißt uns ins
Bodenlose – wir trudeln ins Nichts. Die Daseinsangst führt geradewegs
ins existenzielle Vakuum. Kommt es soweit braucht der Mensch dringend Hilfe. Er kommt an eine Grenze, in der alle Selbsthilfe versagt. So weit soll es nicht kommen. Wir müssen auf uns achten.
Um die Angst nicht größer als uns selbst werden zu lassen gibt es Hilfen.
Beginnen wir mit der Wahrnehmung.
Wie
gehe ich mit meiner Angst um? Immer dann wenn unbekannte Situationen
auftreten. Immer dann, wenn die Erinnerung mich triggert. Immer dann
wenn ich in die nicht fassbare Zukunft blicke.
Ich kann wählen.
Mich fragen: Wähle ich Angst oder Neugier?
Sehe ich die Gefahr oder die Chance?
Welche Selbsthilfemöglichkeiten habe ich?
Ich kann die Angst abatmen. Durch Atemübungen, die ich lerne und anwende, wenn die Angst kommt.
Ich kann mich bewegen, wenn sie kommt. Ich kann laufen, singen, tanzen.
Ich kann den Realitätscheck machen, wenn sie kommt.
Ich kann Mediation erlernen, Achtsamkeit, Progressive Muskelentspannung, Autosuggestion und vieles mehr.
Das Elementarste aber ist: Ich muss meine Angst um ihr auf Augenhöhe begegnen zu können, radikal akzeptieren. Ja
ich habe Angst! Und so ist es. Und das ist okay. Und das heißt nicht,
das ich meine Angst BIN. Ich habe Angst, ein Teil in mir hat vielleicht
sogar große Angst, aber andere Teile sind mutig und bewältigen das
Leben. Und das ganze bin ich. Und wieder: Ich bin okay auch mit der
Angst. Und jetzt gebe ich der Angst einen Namen. Meine heißt Frau Klein.
Und
ich gehe mit ihr. Aber ich gehe nicht dahin, wohin die Angst will,
sondern ich gehe dahin wo ich hin will, trotz und mit der Angst. Und
wenn ich gegangen bin, belohne ich mich, dann bin ich stolz auf mich,
weil ich es wieder geschafft habe.
Jeden Tag. Schritt für Schritt. Und ich nutze meine Selbsthilfemöglichkeiten. Angst, die nicht zum Wolf geworden ist, damit lässt sich leben. Ist
sie dabei die Seele aufzuessen, ist sie krankhaft und das ist sie dann,
wenn sie den Boden des Nachvollziehbaren verlässt, brauchen wir
professionelle Hilfe.
Aber bis dahin gilt: Es ist okay Angst zu haben.
„Wer keine Angst hat, hat keine Fantasie.“ (Erich Kästner).
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