Malerei: Angelika Wende |
Wenn wir über alle Maßen wütend sind ist das ein sehr inhaltsschwere Emotion. Wir haben das Gefühl für unsere unsere Größe, unsere Kraft und unsere Eigenmacht verloren, wir erleben uns klein, schwach, hilflos und nichtig. Wir fühlen uns ohnmächtig.
Ohnmacht hat viele Gesichter. Alle sind unschön und bedrückend. Wir unterdrücken die Ohnmacht, sobald wir sie fühlen oder wir flüchten vor diesem schwer aushaltbaren Gefühl und wehren es ab. Wir konsumieren Dinge, die wir nicht brauchen, wir stopfen zu viel Essen in uns hinein, trinken zu viel Alkohol, kiffen, rauchen und all das wohl wissend, dass es unsere körperliche und seelische Gesundheit schädigt. Wir ruinieren unser Hirn, unser Herz und unsere Seele, um die unguten Gefühle, die hochkommen zu unterdrücken, um sie nicht fühlen zu müssen. Das gesamte Repertoire des Ausagierens unserer Abwehr in Form von suchtgleichen Handlungen steht unter dem unbewussten Motto: Bloß nicht wieder ohnmächtig sein!
Die Wurzel aller Wut ist das Gefühl von Ohnmacht.
Immer wenn wir uns ohnmächtig fühlen sind wir in Wahrheit „mächtig“ vor Wut, wir haben nur noch nicht erkannt wie wir sie, anstatt sie nach Innen zu drücken, und durch Substanzen oder unheilsames Verhalten, ins Außen fließen zu lassen, als kreativen Treibstoff sinnvoll und effektiv für uns nutzen zu können.
Wut, die an uns nagt, ist die Wut über unsere eigene Ohnmacht.
Wir bleiben solange in der Ohnmacht stecken, bis wir für uns selbst eintreten.
Wut dagegen fordert uns auf vorzutreten, uns ernst zu nehmen, unsere Gefühle zuzulassen, uns auszudrücken und so groß und stark zu werden, wie wir es sind.
Wie oft hassen wir uns selbst für unsere Unfähigkeit Klartext zu reden, auszusprechen was wirklich ist, wie oft schämen wir uns vor uns selbst, dafür, dass wir nicht tun, was wir wirklich wollen und ständig tun, was andere von uns wollen. Stattdessen kompensieren wir, lenken uns ab oder tun so, als sei alles in Ordnung.
Wenn wir auf jemanden wütend sind, wenn wir auf eine Situation wütend sind, ist das ein Zeichen. Es zeigt auf uns selbst, es be"deutet": Wir lassen etwas zu, obwohl wir genau spüren - wir sollten uns wehren, wir sollten handeln und der eigenen Wahrheit eine kraftvolle Stimme geben.
Wenn wir uns darüber aufregen, dass ein anderer uns nicht achtet, nicht ernst nimmt und uns verletzt, klagen wir im Grunde darüber, dass wir das selbst nicht tun, dass wir uns selbst nicht genug achten, dass wir uns selbst nicht ernst nehmen. Wir wählen Ohnmacht.
Wir alle haben als Kind auf mehr oder weniger massive Weise Ohnmacht erlebt und in vielen von uns steckt es noch, dieses Gefühl aus Kindertagen, in denen wir auf Gedeih und Verderb den Erwachsenen hilflos ausgeliefert waren.
Während der Entwicklung auf der emotionalen Ebene haben wir als Kind emotionale Bedürfnisse. Das Bedürfnis nach emotionaler Bindung ist groß, so groß, dass wir als Kind alles nehmen, was wir bekommen können: Im besten Falle Liebe, Wärme und Geborgenheit; im schlimmsten Falle Misshandlungen oder Missbrauch. Letzteres sind Ohnmachtserfahrungen die uns ein Leben lang unbewusst beeinflussen. Ohnmacht, das ist der totale Kontrollverlust, die absolute Starre, die sich einbrennt in jede Faser unseres Seins. Das greift tief und bleibt stecken, tief in der Seele, bis hinein ins Erwachsenenleben.
Wer massive Ohnmachtserfahrungen gemacht hat, will als Erwachsener in die Macht. Er wird immer ein Thema mit Kontrolle haben. Je massiver der Kontrollverlust empfunden wurde, desto stärker ist die Angst die Kontrolle wieder zu verlieren, also kontrollieren wir - auch die Wut, die in der Ohnmacht steckt - und unterdrücken sie.Und dann ploppt sie hoch, dort wo sie nicht angemessen ist.
Es kann uns keiner wütend machen wenn wir mit uns selbst im Reinen sind. Und um mit uns selbst ins Reine zu kommen ist es hilfreich unsere alten Ohnmachtserfahrungen anzuschauen und sie zu bereinigen.
Solange wir uns selbst nicht die Wertschätzung, die Achtung und die Liebe geben, die wir so dringend brauchen, sind wir angreifbar. Wenn wir nicht selbst für uns handeln, handeln andere für uns. Wir werden zum Spielball, den andere hin und her werfen, anstatt den Ball selbst zu werfen.
So wie als Kind. Wir erfahren im Außen das, was wir von uns selbst denken, denn so wie wir über uns denken, so fühlen wir uns, so geben wir uns. So wie wir über uns selbst denken, behandeln wir uns – und dann wundern wir uns, warum die anderen uns genauso behandeln.
Wenn wir unsagbar wütend sind, ist etwas „ungesagt".
Wir sagen nicht was wir denken, wir sagen nicht, was wir wollen und was wir fühlen. Wir ergreifen nicht die Macht der Worte um das Auszusprechen, was raus will. Wir erfahren keine Selbstwirksamkeit.
Wo innen keine Wut ist kann sie von außen nicht entzündet werden.
Ein Mensch der mit sich im Reinen ist, der selbstbestimmt und selbstwirksam lebt, ein Mensch, der in der eigenen Macht ist, empfindet keine Wut. Darum ist es so heilsam unsere Wut zu fühlen, sie fühlen zu dürfen und sie auszudrücken, um an die wahren Gefühle heranzukommen, die sich hinter der Wut verbergen. Wenn die Wut gefühlt wird, wenn sie sein darf, nehmen wir uns selbst ernst. Dann nehmen wahr, was wir versäumt haben für uns zu tun. Wir für uns, denn die, die uns ohnmächtig gemacht haben, werden nichts für uns tun, sei es, weil sie sich dessen nicht bewusst sind oder weil sie es einfach nicht können oder wollen. Das zu erkennen macht oft noch wütender und noch ohnmächtiger.
Solange wir die Wut verleugnen, anstatt sie anzunehmen und ihr zuzuhören was sie uns sagen will, riskieren wir, dass wir in der Ohnmacht festsitzen - wir sind blockiert für das, was fließen will - nämlich Energie, unsere Lebensenergie.
Wut will gefühlt werden wie alle anderen Gefühle auch – sie ruft uns auf in unsere Kraft zu kommen von der wir oft nicht einmal mehr wissen, dass wir sie haben.
Ohnmacht bindet Kraft. Wut ist Energie, kraftvolle Energie, die in die richtigen Bahnen geleitet, dazu führt, dass wir aus der Opferrolle aussteigen.
Wir sind dann nicht mehr länger Opfer unserer ohnmächtigen Wut, sondern wir suchen nach einer Lösung für das, was verändert werden will.
Wir fragen uns: Was kann ich für mich tun, damit ich diese Wut nicht mehr brauche?
Der erste entscheidende Schritt ist das Anerkennen der Ohnmacht. In sie müssen wir hineinspüren. Dann erst kann es gelingen den Knoten, der uns innerlich verschließt, zu lösen.
Sie darf sein, die Wut. Wut ist nichts Schlechtes, wenn wir bewusst in sie hineingehen für uns, in uns, sie zulassen, sie wandeln in die Kraft, die uns wieder selbstmächtig macht.
Dann ist Wut transformiert in die heilsame Quelle kreativen Treibstoffs.
Wut hat wie alles gute und schlechte Seiten. Schlecht, weil Wut Gefahr und Zerstörung schaffen kann - gut, weil Wut den Antrieb in uns wecken kann, kreativ zu sein, Lösungen zu finden und zu überleben.
Vielen Dank für diesen wunderbaren Text. War sehr hilfreich für mich.
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