Samstag, 13. Juni 2020

Es hört jeder nur, was er versteht ...


Malerei: A.Wende
 

Wir hören nehmen etwas wahr, wir sehen etwas, wir lesen etwas und schon geht es los: Die Denkmaschine da Oben fängt an zu interpretieren. Zack – und dann ist da kein Raum mehr zwischen Reiz und Reaktion. Der Reiz, der das Gehirn über die Sinnesorgane erreicht, findet sofort eine Zuordnung in einen Kontext. Er wird gedeutet und ihm wird automatisch ein Sinn zugeschrieben. Es wird, ohne zu reflektieren was eigentlich ist, nur das wahrgenommen, was mit der eigenen Wahrnehmung zu tun hat, alles andere wird ausgeblendet. Vielmehr wird bewertet, durch den Filter der eigenen Sicht der Dinge, und die hat im worst case mit dem was es ist, nicht mehr viel oder gar nichts mehr zu tun.

Elementar wichtig für die menschliche Kommunikation ist die Interpretation von Sprache. Mittels Sprache, mittels Worten, teilen wir uns einander mit.  

Dies führt oft dazu, dass nur eine Sprache, die dem eigenen Denken entspricht, als wahre Deutung empfunden wird. Worte enthalten Informationen. Wir sprechen sie, wir schreiben sie um uns anderen mitzuteilen. Jedoch zeigt die Erfahrung, dass wir nicht davon ausgehen können so verstanden zu werden, wie wir es meinen. Daher ist es gut sich darüber bewusst zu sein, dass der eigene Erfahrungs- und Wissensstand mit dem des Gegenübers nicht gleichzusetzen ist. Wir senden und der Empfänger empfängt und interpretiert. Oft genügt schon ein Satz, der vom Empfänger aus dem Zusammenhang einer Aussage oder eines Textes herausgefiltert wird und die Interpretation nimmt ihren Lauf direkt ins eigene kleine Universum.

"Es hört doch jeder nur, was er versteht", schrieb Johann Wolfgang von Goethe einst und trifft es auf den Punkt.
Es werden unreflektiert sofort Schlussfolgerungen gezogen, die mit dem ursprünglich Wahrgenommenen nichts mehr oder nur wenig zu tun haben. Der Inhalt des Gesendeten wird in seiner Komplexität ausgeblendet. Empfangen wird nur das, was die eigene Denkmaschine verstehen kann und demzufolge deutet. Durch die individuelle Deutung ergibt sich daher nicht selten das Dilemma des Missverständnisses, weil unterschiedlich wahrgenommen wird.

Sind wir uns dessen bewusst, wissen wir: Ich bin verantwortlich für das, was ich sage, aber nicht für das, was der andere versteht und daraus machst.
Die Interpretation ist ein kognitiver Prozess. Als einer der Filter unserer Wahrnehmung sorgt sie dafür, dass wir Eindrücke und Situationen, die wir mit unseren Sinnen aufnehmen, in einen Kontext bringen und Schlussfolgerungen ziehen, abhängig von persönlicher Erfahrung, persönlichem Wissen und der Fähigkeit Reize richtig zuzuordnen. Die Interpretation ist demnach immer rein subjektiv und eng mit den Assoziationen verbunden, die ein Mensch macht.

Je weniger offen, je weniger reflektiert, je weniger achtsam, je weniger empathisch ein Mensch ist, desto mehr neigt er zu Interpretationen.  

Er landet bei allem, was er im Außen wahrnimmt, automatisch bei sich selbst und seiner Sicht von Welt. Er kann sich nicht oder nur begrenzt in die geistige und in die emotionale Welt anderer hineinversetzten. Er lebt in seinen eigenen Vorstellungen, Deutungen, Bewertungen und Urteilen, ohne anderes zulassen zu können bzw. überhaupt verstehen zu können. Sein Gehirn konstruiert anhand einzelner Elemente eine Auslegung der gesamten Situation, die seinen Erfahrungen, seinem Erleben, seinen Konditionierungen und seinen inneren Überzeugungen entsprichen. Er ist nicht fähig seine Interpretation der Dinge zu hinterfragen. Was letztlich dazu führt, dass er sich selbst und Welt immer auf die gleiche Weise sehen wird und für geistiges, wie seelisches Wachstum wenig bis gar nicht empfänglich ist. Er ist ein Gefangener seiner Interpretation.

Auch in der Praxis sind diese Menschen eine Herausforderung. Es braucht viel Empathie, Zeit und Geduld sie aus dem eigenen kleinen Universum in dem sie gefangen sind, behutsam herauszuholen um ihren Blick auf das Meer von Möglichkeiten, abseits ihrer Interpreationen, zu lenken.

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