Samstag, 19. Januar 2013

Bitter





dieses bittere, das manche leute im gesicht tragen wie einen giftigen auswurf, der ihnen aus den mundwinkeln tropft und scharfe vertikale linien nach unten ätzt - hätte er eine farbe, wäre er eine mischung aus gelb und giftgrün - hat mich schon immer abgestoßen.

jedes mal, wenn mir ein solches gesicht begegnet weiß ich nicht, wie ich darauf reagieren soll. erst einmal stößt es mich ab, aber da ich weiß, dass alles, was mich extrem abstößt mir etwas von mir selbst nicht gelebtes oder verdrängtes zeigen will, wende ich mich nicht ab, obwohl das mein erster impuls ist. falsch! mein erster impuls ist, laut zu sagen, was ich denke. das würde etwa so klingen: wer hat dir denn so viel angetan, dass du diese leichenbittermine zur schau trägst?

ich mache es nicht, aber irgendwann, das weiß ich, mache ich es, dann sage ich, was ich denke, mitten in diese gesichter hinein. ich sage oft nichts, weil ich niemanden verletzen will und verletze mich selbst und wer das tut, wird mit der zeit bitter. es ist mir schon klar wie leicht ein gesicht seine unverarbeiteten verletzungen wie eine maske vor sich her tragen kann -  nämlich so lang bis die maske das wahre gesicht wird.

ab einem gewissen alter sind wir für unser gesicht selbst verantwortlich. aber ich habe den eindruck, die bitteren schert das nicht im geringsten. sie sind so verbittert und von so wenig milde gegenüber anderen und sich selbst, dass ihnen das ab einem gewissen zeitpunkt - der liegt irgendwo zwischen den fünfzigern und den sechzigern - absolut wurscht ist.

der ganze selbsthass, der ganze unmut, der ganze frust über das leben, das nicht gut zu ihnen war, wird mimisch festgeschrieben um es dem leben und den menschen so richtig zu zeigen. die rache des kleinen menschen am großen leben. tja, nur dass sich das große leben dafür nicht interessiert, vielmehr wendet es sich ab und mit ihm die menschen, die bittersüßes zwar ab und an mögen, aber eben mit der süsse und nicht ausschließlich bitter.

bitteres ist gut für eine kranke leber, aber für sonst auch nichts. und die kranke leber verlangt nach bitterem, weil sie ein pathologisches symptom derer ist, deren geist und seele bitter sind. man nennt das in der homöopathie simili prinzip, was so viel heißt wie -  ähnliches mit ähnlichem heilen.

die wirklich bitteren sind unheilbar. bedauerlicherweise. bitteres, egal ob ins gesicht geschrieben oder im organ gespeichert, wird immer bitterer mit den jahren.  es ist bitter den schleichenden prozess mit anzuschauen. wer will das schon? ich nicht. aber die frage ist ja, warum stößt mich das so ab? weil ich dieses bitterkeitspotential rein gedanklich in manchen momenten in mir trage. besonders wenn ich wieder mal enttäuscht bin von der falschheit und scheinheiligkeit mancher mitmenschen. schluss, aus, ent - täuscht, ende der täuschung! ich weiß. weh tut es trotz wissen.

das ist echt bitter und ich bin dann eben auch augenblicksbitter. dann sind meine mundwinkel auch nicht da, wo sie sich sonst befinden. ich habe die eitle angewohnheit, dass ich ziemlich oft in den spiegel schaue, in meinen eigenen. deshalb sehe ich das bittere, wenn es sich anschleicht und dann ziehe ich meine mundwinkel mit einem bittersüßen lächeln nach oben. weil ich weiß, die bittere wahrheit ist: mit einem bitteren gesicht darf man sich nicht wundern, wenn das leben genauso bitter zurückschaut und giftigen auswurf en masse produziert.
und das ist bitter. 

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