Sonntag, 20. Januar 2013

Kleine Vergnügen - Die Bilder des Malers Michel Meyer

Kleine Vergnügen




"Nicht der Mensch bewohnt diesen Planeten, sondern Menschen. Die Mehrzahl ist das Gesetz der Erde“, schrieb die Philosophin Hannah Ahrendt. Wie wahr - das Leben spielt sich zwischen Individuen ab und es zeigt gleichzeitig die Einzigartigkeit, die Verschiedenheit, das sich Ähnelnde und die Pluralität der Menschen.

Der Maler und Grafiker Michel Meyer interessiert sich für das Leben und damit für die Menschen. Und es ist ihm mehr als ein kleines Vergnügen. Einer, der in jungen Jahren neben Kunstgeschichte Philosophie studiert hat wie er, hat den inneren Drang Menschliches zu beobachten und zu verstehen.

Philosóphia, wörtlich die „Liebe zur Weisheit“ versucht, die Welt und die menschliche Existenz zu deuten, um sie zu verstehen. Von jeder anderen wissenschaftlichen Disziplin unterscheidet sich das philosophische Denken dadurch, dass es sich nicht auf ein spezielles Gebiet oder eine bestimmte Methode begrenzt - vielmehr charakterisiert es sich durch die Art der Fragestellungen an die vielfältigen Gegenstandsbereiche unseres Daseins - und durch seine besonderen Herangehensweisen. 

Warum also nicht auch in der Malerei? Und gerade in der Malerei.

Ist philosophieren nichts anderes als der stille Dialog mit uns selbst, so ist diese innere Zwiesprache die unabdingbare Vorraussetzung um schöpferisch zu werden. Schöpferisch im Sinne von ins Außen treten, im Sinne von Abbilden des im inneren Dialog gedankliche Erfahrenen und Erkannten über Welt und Menschen.

Sich ein Bild machen.

Michel Meyer macht sich Bilder im Kopf. Oft schon ist da der Titel, der Anfang einer Geschichte, die er erzählen wird, bevor der erste Bleistift – oder Pinselstrich getan ist. Der Maler reflektiert in seinen Bildern sein Menschenbild, ohne portraithaft zu sein. Er geht in die Abstraktion, zitiert allenfalls in Mimik und Gestik seiner menschenähnlichen Protagonisten. Er verfremdet und verzerrt die Figuren ins skurril Groteske, vereinfacht und reduziert, bis hin zu einer fast kindlich anmutenden Naivität.

Scheinbar.
Denn das, was hier so naiv, bunt und wild bewegt in seinen Erscheinungsformen und Ausmaßen daherkommt, hat Tiefe. Denken hat mit Tiefe zu tun. Ernsthafte Malerei ohne tiefes Denken, gibt es nicht. Ernsthafte Malerei holt, wie das philosophische Denken, immer das nach oben, was unter der Oberfläche ist, oder holt es in die Tiefe.  Die Tiefe ist ihre Dimension. Die Dinge aus der Tiefe in die Höhe zu heben, ist Antrieb aller Kunst.

Meyers Werke aus über einem Jahrzehnt künstlerischen Schaffens führen uns in das tiefe Reich der Humanitas. Seine Bilder sprechen von einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Menschlichen, seiner Wesenhaftigkeit, den Normen und den Verhaltensweisen, die den Menschen überhaupt erst ausmachen.

Ohne Botschaft, ohne bewerten zu wollen. Diesen Drang, so sagt Michael Meyer, verspüre er nicht. Er weiß, die „Natur“ des Menschen ist begrifflich nicht zu definieren und menschlicher Erkenntnis wohl nie in voller Gänze zugänglich. Alle Versuche, sie zu bestimmen, enden „zumeist mit irgendwelchen Konstruktionen eines „Göttlichen“. Davon ist Meyer weit entfernt. Seine Figuren erscheinen als reine „Personhaftigkeit“. Die expressiv abstrakten Kompositionen erzählen Geschichten, lassen Befindlichkeiten spürbar werden und transportieren Affekte. Und unter allem liegt eine Tönung von Unruhe. Pralles Leben vibriert in diesen Leinwänden und ergießt sich in den Raum.

Was sich öffnet ist ein schier unendlicher malerisch verdichteter
und im wahrsten Sinne des Wortes reizvoller Bildraum, der dem Betrachter selbst Raum anbietet in den Dialog zu treten, ein inneres Zwiegespräch zu führen, zu suchen, sich abzugleichen, sich selbst und sein Denken über Menschen zu erspüren, zu reflektieren und zu überdenken.

Wie tausende kleine Spiegel springen uns diese Gesichter mit Vergnügen an, wecken Sympathie und Antipathie, Verstehen und Ablehnung, Widererkennen und Befremdung. Sie reißen uns mit einem lachenden Mund freudig zu sich oder stoßen  uns mit einem schiefen Grinsen vor den Kopf. Welch eine Fülle von Assozationsmöglichkeiten auf diesen Leinwänden, die uns zum Abgleich mit gemachten Erfahrungen und persönlichen Wahrheiten über das eigene und das Fremde geradezu mit Wucht auffordern.

Wir sehen, was wir sehen können. Wir sehen unseren eigenen Denkrahmen über den Rahmen des jeweiligen Bildes hinaus. Das macht Staunen, das weckt vielleicht sogar Gedanken und Gefühle, die wir tief in den eigenen inneren Schattenraum verbannen. Die Schatten, jene Aspekte und Teile in uns, die wir nicht in unser Bewusstsein integrieren. Für die wir keine Verantwortung übernehmen wollen, oder können und die wir gern auf andere projizieren.

Auf diese Bilder? Sie bieten sich an.

Sie sind nicht lieblich diese stark vereinfachten menschlichen Darstellungen, sie sind niemals ebenmäßig und klar. Nichts in der narrativen Welt dieser Protagonisten ist be- oder verschönt. Das Explosive und Heitere der Farben täuscht, die tänzerische Leichtigkeit des spontanen kraftvollen Malduktus trägt den Aspekt von Aggressivität in sich, das Verzerrte in der fratzenhaften Physiognomie und die oft starr wirkende Körperhaftigkeit der Figuren verraten innere Spannung, deuten auf Zerrissenheit. Hinter Humorigem blitzt gar bisweilen das Böse auf. Mit großem Vergnügen versteckt es sich in all dem Bunt - erfolglos.

Immer ist es beides oder sogar mehr, was Meyer uns sehen lässt. Oder es ist Etwas, das uns antwortlos zurücklässt.

„Im Grunde genommen“, so Michel Meyer, „sind diese Gesichter Platzhalter für alles, was man wahrnimmt und nicht versteht.“

Erinnern wir uns an den Anfang: "Nicht der Mensch bewohnt diesen Planeten, sondern Menschen. Die Mehrzahl ist das Gesetz der Erde.“ Ein Gesetz, dem wir uns weder entziehen, noch es in seiner ganzen Tiefe jemals begreifen können. Blicken wir aus der Perspektive der Pluralität auf unser In-der-Welt-sein, so ist das wohl die einzige Wahrheit der Menschen: Trotz allen Denkens -  wir werden niemals wirklich verstehen. 

Warum auch? Denn wäre es möglich, würden wir aufhören mit dem Vergnügen des Philosophierens und Michel Meyer würde wohl kein weiteres vergnügliches Bild mehr malen.






 Gemälde: Michel Meyer

© Angelika Wende
Vernissage Michel Meyer, Galerie Mainzer Kunst! 19. Januar 2013

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