Kleine Vergnügen
"Nicht der
Mensch bewohnt diesen Planeten, sondern Menschen. Die Mehrzahl ist das Gesetz
der Erde“, schrieb die Philosophin Hannah Ahrendt. Wie wahr - das Leben spielt
sich zwischen Individuen ab und es zeigt gleichzeitig die Einzigartigkeit, die
Verschiedenheit, das sich Ähnelnde und die Pluralität der Menschen.
Der Maler und
Grafiker Michel Meyer interessiert sich für das Leben und damit für die
Menschen. Und es ist ihm mehr als ein kleines Vergnügen. Einer, der in jungen
Jahren neben Kunstgeschichte Philosophie studiert hat wie er, hat den inneren
Drang Menschliches zu beobachten und zu verstehen.
Philosóphia,
wörtlich die „Liebe zur Weisheit“ versucht, die Welt und die menschliche
Existenz zu deuten, um sie zu verstehen. Von jeder anderen wissenschaftlichen
Disziplin unterscheidet sich das philosophische Denken dadurch, dass es sich
nicht auf ein spezielles Gebiet oder eine bestimmte Methode begrenzt - vielmehr
charakterisiert es sich durch die Art der Fragestellungen an die vielfältigen
Gegenstandsbereiche unseres Daseins - und durch seine besonderen
Herangehensweisen.
Warum also nicht auch in der Malerei? Und gerade in der Malerei.
Ist philosophieren
nichts anderes als der stille Dialog mit uns selbst, so ist diese innere
Zwiesprache die unabdingbare Vorraussetzung um schöpferisch zu werden.
Schöpferisch im Sinne von ins Außen treten, im Sinne von Abbilden des im
inneren Dialog gedankliche Erfahrenen und Erkannten über Welt und Menschen.
Sich ein Bild
machen.
Michel Meyer macht
sich Bilder im Kopf. Oft schon ist da der Titel, der Anfang einer Geschichte,
die er erzählen wird, bevor der erste Bleistift – oder Pinselstrich getan ist.
Der Maler reflektiert in seinen Bildern sein Menschenbild, ohne portraithaft zu
sein. Er geht in die
Abstraktion, zitiert allenfalls in Mimik und Gestik seiner menschenähnlichen
Protagonisten. Er verfremdet und verzerrt die Figuren ins skurril Groteske,
vereinfacht und reduziert, bis hin zu einer fast kindlich anmutenden Naivität.
Scheinbar.
Denn das, was hier
so naiv, bunt und wild bewegt in seinen Erscheinungsformen und Ausmaßen daherkommt,
hat Tiefe. Denken hat mit Tiefe zu tun. Ernsthafte Malerei ohne tiefes Denken,
gibt es nicht. Ernsthafte Malerei holt, wie das philosophische Denken, immer
das nach oben, was unter der Oberfläche ist, oder holt es in die Tiefe. Die Tiefe ist ihre Dimension. Die Dinge
aus der Tiefe in die Höhe zu heben, ist Antrieb aller Kunst.
Meyers Werke aus
über einem Jahrzehnt künstlerischen Schaffens führen uns in das tiefe Reich der
Humanitas. Seine Bilder sprechen von einer intensiven Auseinandersetzung mit
dem Menschlichen, seiner Wesenhaftigkeit, den Normen und den Verhaltensweisen,
die den Menschen überhaupt erst ausmachen.
Ohne Botschaft, ohne
bewerten zu wollen. Diesen Drang, so sagt Michael Meyer, verspüre er nicht. Er
weiß, die „Natur“ des Menschen ist begrifflich nicht zu definieren und
menschlicher Erkenntnis wohl nie in voller Gänze zugänglich. Alle Versuche, sie
zu bestimmen, enden „zumeist mit irgendwelchen Konstruktionen eines
„Göttlichen“. Davon ist Meyer weit entfernt. Seine Figuren erscheinen als reine
„Personhaftigkeit“. Die expressiv
abstrakten Kompositionen erzählen Geschichten, lassen Befindlichkeiten spürbar
werden und transportieren Affekte. Und unter allem liegt eine Tönung von
Unruhe. Pralles Leben vibriert in diesen Leinwänden und ergießt sich in den
Raum.
Was sich öffnet ist
ein schier unendlicher malerisch verdichteter
und im wahrsten
Sinne des Wortes reizvoller
Bildraum, der dem Betrachter selbst Raum anbietet in den Dialog zu treten, ein
inneres Zwiegespräch zu führen, zu suchen, sich abzugleichen, sich selbst und
sein Denken über Menschen zu erspüren, zu reflektieren und zu überdenken.
Wie tausende kleine
Spiegel springen uns diese Gesichter mit Vergnügen an, wecken Sympathie und
Antipathie, Verstehen und Ablehnung, Widererkennen und Befremdung. Sie reißen
uns mit einem lachenden Mund freudig zu sich oder stoßen uns mit einem schiefen Grinsen vor den
Kopf. Welch eine Fülle von Assozationsmöglichkeiten auf diesen Leinwänden, die
uns zum Abgleich mit gemachten Erfahrungen und persönlichen Wahrheiten über das
eigene und das Fremde geradezu mit Wucht auffordern.
Wir sehen, was wir
sehen können. Wir sehen unseren eigenen Denkrahmen über den Rahmen des
jeweiligen Bildes hinaus. Das macht Staunen,
das weckt vielleicht sogar Gedanken und Gefühle, die wir tief in den eigenen
inneren Schattenraum verbannen. Die Schatten, jene Aspekte und Teile in uns,
die wir nicht in unser Bewusstsein integrieren. Für die wir keine Verantwortung
übernehmen wollen, oder können und die wir gern auf andere projizieren.
Auf diese Bilder?
Sie bieten sich an.
Sie sind nicht
lieblich diese stark vereinfachten menschlichen Darstellungen, sie sind niemals
ebenmäßig und klar. Nichts in der narrativen Welt dieser Protagonisten ist be-
oder verschönt. Das Explosive und
Heitere der Farben täuscht, die tänzerische Leichtigkeit des spontanen
kraftvollen Malduktus trägt den Aspekt von Aggressivität in sich, das Verzerrte
in der fratzenhaften Physiognomie und die oft starr wirkende Körperhaftigkeit
der Figuren verraten innere Spannung, deuten auf Zerrissenheit. Hinter
Humorigem blitzt gar bisweilen das Böse auf. Mit großem Vergnügen versteckt es
sich in all dem Bunt - erfolglos.
Immer ist es beides
oder sogar mehr, was Meyer uns sehen lässt. Oder es ist Etwas, das uns
antwortlos zurücklässt.
„Im Grunde
genommen“, so Michel Meyer, „sind diese Gesichter Platzhalter für alles, was
man wahrnimmt und nicht versteht.“
Erinnern wir uns an
den Anfang: "Nicht der Mensch bewohnt diesen Planeten, sondern Menschen.
Die Mehrzahl ist das Gesetz der Erde.“ Ein Gesetz, dem wir uns weder entziehen,
noch es in seiner ganzen Tiefe jemals begreifen können. Blicken wir aus der
Perspektive der Pluralität auf unser In-der-Welt-sein, so ist das wohl die
einzige Wahrheit der Menschen: Trotz allen Denkens - wir werden niemals wirklich verstehen.
Warum auch? Denn wäre
es möglich, würden wir aufhören mit dem Vergnügen des Philosophierens und
Michel Meyer würde wohl kein weiteres vergnügliches Bild mehr malen.
Gemälde: Michel Meyer
© Angelika Wende
Vernissage Michel
Meyer, Galerie Mainzer Kunst! 19. Januar 2013
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