Foto. A.Wende
In der Stille der frühen Morgenstunden, wenn die Welt noch schläft, sitze ich mit einem Kaffee auf meinem Lieblingsplatz vor dem Fester und denke über das Alter nach, ein Thema, das viele von uns mit Angst erfüllt, denn es läutet den langen Abschied vom Leben ein. Ich weiß nicht, wie viel Zeit mir noch bleibt und ich weiß nicht, wie diese Zeit aussehen wird. Ich weiß nicht, ob ich gesund alt werde, was noch an Herausforderungen auf mich zukommt, was mich noch an Verlusten und Abschieden erwartet, bevor ich selbst Abschied nehmen muss von diesem wundervollen Leben. Es wird mir fehlen. Und das macht mich an diesem Morgen melancholisch.
Doch es gibt auch eine tiefgreifende Schönheit in diesem Prozess.
Das Altern ist wie ein gewebter Teppich, der aus den Fäden unserer Erfahrungen, Erinnerungen und Träume besteht. Jeder einzelne Faden erzählt eine Geschichte – von der Kindheit, der ersten Liebe, den Herausforderungen, die wir überwunden haben, den Menschen und den Beziehungen die unser Leben geprägt haben. Diese Geschichten sind nicht immer leicht und schön, manche sind traurig und schwer, doch sie sind es, die uns formen und uns zu dem Menschen machen, der wir sind.
Die Linien und Falten in meinem Gesicht sind nicht nur Zeichen der Zeit, sie sind auch Spuren des Lachens, des Glücks, der Tränen, des Kummers und der Kämpfe. Sie sind Zeugen meiner Reise. Sie erzählen von Mut und Resilienz, von der Fähigkeit nach dem Fallen immer wieder aufzustehen und weiterzugehen, auch wenn der Weg steinig ist.
Das Altern macht mich fragiler, und zugleich lehrt es mich, die kleinen Dinge zu schätzen – den Duft von frisch gebrühtem Kaffee, die Farben eines Sonnenaufgangs, die Stille an diesem Morgen, die nur das Zwitschern der Vögel im Garten durchbricht. Es lässt mich die Langsamkeit entdecken, es fordert mich auf innezuhalten, den Moment wahrzunehmen und bewusst zu leben, denn ich weiß, mehr als jemals zuvor, meine Zeit ist kostbar und flüchtig.
Das Altern bringt so viele Veränderungen mit sich, wir verlieren die körperliche Kraft, die wir einst hatten, es kommen immer mehr Zipperlein und manchmal auch Krankheiten. Wir verlieren die Unbeschwertheit und die Naivität. Wir verlieren Menschen, die wir lieben. Es werden mehr, je älter wir werde. Mit diesen Veränderungen und Verlusten kommt auch eine tiefere Einsicht. Ich weiß, was für mich wirklich zählt: Liebe, Familie, Beziehungen, Verbundenheit, Ehrlichkeit, Wahrhaftigkeit, Geduld, Demut, Dankbarkeit, Empathie und Mitgefühl. Ich erkenne, dass es nicht die Jahre sind, die das Leben ausmachen, sondern das, was ich aus dem Leben mache und jene Momente, die mich tief berühren und die ich nie verlieren werde, denn sie sind aufbewahrt in der Schatztruhe meiner Erinnerung.
Ich trinke den letzten Schluck meines Morgenkaffees, nehme einen tiefen Atemzug und beschließe dem Alter mit Neugier und einem offenen Herzen entgegen zu gehen. Ich stelle mich den Herausforderungen, die es mit sich bringt, und vertraue auf die Erfahrung, das Wissen und die Weisheit, die ich erlangt habe und die ich noch erlangen darf. Immer, solange ich lebe, ist da die Möglichkeit, weiter zu wachsen, zu lernen und zu lieben.
Das Alter ist nicht das Ende, es ist ein neuer Anfang – eine Einladung, das Leben in seiner vollen Tiefe zu erleben und die Schönheit des Seins zu erkennen. Darin finde ich an diesem Morgen Trost in meiner Melancholie. Das Altern ist nicht nur mein Weg, es ist der Weg von uns allen. Ein Weg, der uns verbindet, der uns zeigt, dass wir, egal wie alt wir werden, immer die Fähigkeit haben zu träumen, zu hoffen und zu lieben.
"Das Maß der Weisheit eines Menschen ist das Maß seiner Liebe."
James Allen
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