Samstag, 4. November 2023

Co-abhängig: Zwischen Angst, Schmerz, Scham, Ohnmacht und Wut

 

                                                     Malerei: Angelika Wende

 
Ein Mensch, den du liebst, trinkt oder nimmt andere Drogen. Dieser Mensch verändert sein Wesen, je weiter die Sucht fortschreitet. Du willst ihm helfen, du denkst, er müsste es doch nur sein lassen, dann wäre wieder alles gut. Du denkst, wenn du ihm wichtig wärst, wenn die Kinder ihm wichtig wären, würde er alles tun um aufzuhören.
Du musst erkennen, er hört nicht auf.
 
Er wird immer verantwortungsloser, unzuverlässiger und unberechenbarer, du erreichst ihn nicht mehr, wenn er zugedröhnt ist, er wird vielleicht sogar aggressiv und behandelt dich mies, oder du hast Angst um ihn, ob den Folgen seines Verhaltens. Er bagatellisiert seine Sucht, fühlt sich unverstanden, macht dir Vorwürfe, greift dich an, demütigt, kränkt und beleidigt dich, gibt dir die Schuld für seine Sucht und seine Probleme.
Er verdreht deine Wahrnehmung, manipuliert dich und findet hundert Gründe und Erklärungen, warum er trinkt und keinen einzigen, warum er aufhören kann.
Er hat keine Krankheitseinsicht und übernimmt keine Verantwortung für seine Sucht, die sein und dein Leben und das Leben deiner Familie, nach und nach zerstört.
 
Du hast Angst.
Jeden Moment Angst vor dem Moment wo er anfängt sich zuzudröhnen und was dem folgt. Angst, dass es zum Streit kommt, zu Übergriffen, zu Ausrastern. Angst, dass er seinen Job verliert, einen Unfall baut, dass er sich und dich ruiniert und und und...
In deinem Kopf ist nur noch Angst und was als nächstes passieren wird. Du lebst ständig in Angst. Diese Angst kann traumatisch werden.
 
Du fühlst Schmerz.
Es schmerzt zu sehen wie sich ein geliebter Mensch verändert, wenn er unter Stoff steht, wie er sich nach und nach zugrunde richtet und dich und euer Leben mit. Es schmerzt diesen lallenden, debil wirkenden, unattraktiven, nicht mehr ernst zu nehmenden, aggressiven, weinerlichen, sich selbst bemitleidenden, erbärmlichen, jammernden, hilflosen, dunklen Schatten des Menschen zu erleben, der mit dem, den liebst, nichts mehr zu tun hat.
Es schmerzt immer wieder zu hoffen und dann enttäuscht zu werden durch nicht eingehaltene Versprechen, Täuschungs- und Betrugsmanöver.
Es schmerzt zu erleben wir dieser Mensch nichts mehr auf die Reihe bekommt und du immer mehr die/der bist, der für alles die Verantwortung übernimmt, der kämpft, damit noch irgendwas bleibt, von dem, was ihr einmal hattet, obwohl du selbst emotional und körperlich am Anschlag bist.
Es schmerzt dich einsam, ohnmächtig und hilflos zu fühlen.
Es schmerzt, dass du nichts, aber auch nichts tun kannst um das ändern zu können, egal was du tust. 
 
Du fühlst Wut.
Wut, weil der andere alles kaputt macht, was gut war.
Niemand kann das aushalten. Niemand kann sich an der Seite eines Süchtigen gut fühlen.
Die Wut wächst mit jedem Rausch. Angestaute Wut, die durch das Schlucken von Angst, Schmerz, Ohnmacht und Verzweiflung einen Punkt erreicht, an dem sie explodiert. Sie ist stark, vehement, sie muss sich entladen, sonst platzt du. Und dann kommt das Begreifen wie sinnlos der Ausbruch ist, weil er nichts ändert. Du schämst dich.
Aber es hört nicht auf.
Die Wut speist sich aus dem, was war und dem Wissen, dass es nicht besser wird. Weil die Sucht nicht aufhört. Nicht durch Wut, nicht durch Verstehen, nicht durch Liebe.
Wieder gibt es Ausfälle, Angriffe, Beleidigungen, Demütigungen und schreckliche Stunden während und nach dem Rausch. Wieder sammelt sich Wut.
Du beginnst dich selbst zu verachten.
Du fragst dich, was du da überhaupt machst, ob das ein Leben ist, das du dir wünscht. Du fragst dich, warum du das aushälst. Ob das überhaupt Liebe ist.
 
Liebe, die weh tut, ist keine Liebe. Du weißt das. Du weißt, es geht schon lange nicht mehr um Liebe. Du bist abhängig von der Sehnsucht zu lieben und geliebt zu werden. Du findet dich nicht damit ab nicht geliebt zu werden, stattdessen findet du dich damit ab gebraucht zu werden. Du bist abhängig vom Gebrauchtwerden. Du bist selbst in eine Abhängigkeit geraten - in eine co-abhängige Verstrickung. An einem bestimmten Punkt hast du deine Bedürfnisse völlig aufgegeben um dich um den Süchtigen zu kümmern. War es dir bis zu diesem Punkt noch möglich, dein Selbstwertgefühl und andere positive Gefühle aus verschiedenen Aspekten und Bereichen deines Daseins zu beziehen, empfindet du nur noch dann eine Bedeutung, wenn du das Gefühl hast, vom Süchtigen gebraucht zu werden. 
 
Du fühlst Scham.
Du schämst dich für den Süchtigen und vor dir selbst, du machst dir Vorwürfe, dass du in dieser Hölle bleibst. Du fühlst dich klein und schwach und mies und schuldig wegen der Wut, die nicht weggeht. Du schämst dich, dass du so schawch bist, dich so unwürdig behandeln lässt. Du fragst dich, wie du so weit kommen konntest. Ob du das bist, dieses verzweifelte Etwas. Du erkennst dich selbst nicht mehr. Du schluckst. Immer wieder schluckst du den Schmerz, die Wut, die Scham. Das schwächt, macht müde und das Leben schwer.
Du weißt, du musst loslassen. Und weißt nicht wie.
Um die Wucht an negativen Gefühlen, nicht mehr spüren zu müssen, machst du etwas Ähnliches wie der Süchtige: Du manipulierst deine Gefühle, indem du sie unterdrückst, kompensierst oder abstellst. „Frozen feelings“ ist der amerikanische Ausdruck dafür. Deine Gefühle sind zwar noch da, aber du spürst sie nicht mehr. Du spürst dich nicht mehr.
Dieses Leben bedeutet Stress, und zwar Dauerstress. Dein Körper befindet sich in einem permanenten Alarmzustand, von dem es keine Erholung gibt. Viele Angehörige von Süchtigen haben stressbedingte Folgeschäden. Sie werden im Zusammenhang mit der Sucht eines nahestehenden Menschen krank. Spätestens an diesem Punkt, wenn der Körper oder die Seele Alarm schlagen denken Co-abhängige zum ersten Mal ernsthaft darüber nach den Süchtigen zu verlassen.
Und dann kommen Schuldgefühle.
Er/ sie ist doch krank. Ich darf doch einen kranken Menschen nicht verlassen. Er geht kaputt ohne mich. Nein, er geht auch kaputt mit dir, wenn er nichts ändert.
Kranksein bedeutet nicht, dass man es als naturgegeben ertragen muss. Wer krank ist, kann sich entscheiden, etwas dagegen zu tun.
Wenn Co-abhängige sagen: Er/sie ist doch schwer krank und deshalb kann er nichts dafür, geraten sie in eine Falle. 
 
Der Glaube ein suchtkranker kann Mensch könne sein Verhalten nicht mehr steuern oder gar entscheiden, was er tut und man deshalb nichts mehr von ihm erwarten kann, ist ein fataler Irrtum. Süchtige können sehr wohl vieles steuern – dich zum Beispiel, indem sie dich manipulieren!
Sie können steuern wie und wo sie Ihr Suchtmittel herbekommen, wo sie es verstecken und vieles mehr.
Sie können auch steuern, ob sie an ihrer Krankheit dahinsiechen wollen oder ob sie die Verantwortung übernehmen und sich Hilfe suchen um die Sucht zu stoppen.
Diese Hilfe können sich Co-abhängige auch suchen, bevor sie an der Seite eines krankheitsuneinsichtigen Süchtigen zugrunde gehen.
 
 
Wenn Du Hilfe suchst um dich aus der co-abhängigen Verstrickung zu befreien, bin ich für Dich da. Egal wo du bist – das Internet macht es online möglich.
Kontakt: aw@wende-praxis.de

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