Montag, 20. November 2023

Affirmieren: Risiken und Nebenwirkungen

 



Dein Leben läuft nicht so wie du es gerne hättest?
Dann musst du nur positiv affirmieren!
Du möchtest dein wahres Selbst finden, den Traumjob, den Seelenpartner, mehr Liebe, Licht und Leichtigkeit?
Dann musst du nur positiv affirmieren! 
 
Die verkaufsträchtige Illusion des „Du bist der Schöpfer deiner Realtität! Wünsch es dir und dein Wunsch wird wahr!" hat sich in der spirituellen Szene längst wie ein Virus verbreitet.
Instagram & Co machen es möglich. Dort präsentieren sich dauerlächelnde, glückliche, vom Leben reich beschenkte Coaches, die ein erleuchtetes Luxusleben führen und behaupten, dass jeder das haben kann, komme er denn in seine Schöpferkraft. Es kommt nur darauf an intensiv zu wünschen, zu affirmieren, zu manifestieren und fest daran zu glauben.
 
Aber was, wenn du affirmierst und affirmierst und es trotzdem nicht klappt?
Tja, dann stimmt dein Mindset nicht! Dann ist dein Glaube nicht stark genug. Dann bist du nicht mit dem Universum verbunden und hast deine innere Göttlichkeit noch nicht gespürt.
Im Klartext heißt das: Wenn es nicht funktioniert bist du selbst schuld, dann machst du definitiv etwas falsch!
Wahr ist: Solche Behauptungen sind falsch. Und nicht du. 
 
In der spirituellen Szene sind positive Affirmationen als Allheilmittel für alle Probleme sehr beliebt. Man kann sogar für teures Geld Kurse kaufen um das Affirmieren zu lernen, sich die Affirmationen allein oder in der Gruppe mehrfach reinziehen, sie täglich im Stillen nachsprechen und auf ihre Erfüllung warten, die – so das Versprechen - garantiert kommt, wenn man es denn richtig macht. Dann gelingt wie durch Zauberhand alles. Dein Leben wird mega, du wirst der machtvolle Schöpfer deines Seins, du bist Licht und Liebe usw.
Wer´s glaubt wird selig. 
 
Fakt ist: Affirmationen helfen den wenigsten Menschen in ihrem Leben nachhaltig etwas zum Besseren zu wenden, geschweige denn ihre Psyche zu heilen.
Aus einem einfachen Grund: Positives Affirmieren ist in etwa so, als würde man einen Teppich über einen schmutzigen Boden legen. Dann sieht man zwar den Dreck nicht mehr, aber er ist immer noch da. Wenn wir affirmieren ohne den Boden sauber gemacht zu haben, betrügen wir uns selbst.  Was in unserem Unterbewusstsein haust, was wir nicht gelöst haben, lässt sich nicht wegaffirmieren. Auch unsere tiefen inneren Überzeugungen und Glaubensmuster, unsere Erfahrungen, unsere Traumata, unsere Gefühle lassen sich nicht wegaffirmieren.
Warum?
Das, was wir positiv affirmieren passt in den meisten Fällen nicht zusammen mit dem, was an Negativem da ist. Wir reden gegen uns selbst an und zwar gegen unser inneres Empfinden.  
Dies führt zu einem inneren Konflikt. Die Psyche gerät in Schieflage. Die Realität der Psyche lässt sich nicht austricksen. Sie geht in den Widerstand. Sie erhebt ihre Stimme gegen das, was wir ihr voraffimieren und fühlt sich nicht ernst genommen. Sie rebelliert gegen die Gaukelei und sagt: Das fühlt sich nicht gut an und richtig schon gar nicht. Die Seifenblase Selbstbetrug zerplatzt an der Realität.
Was wir im Tiefsten nicht glauben, wird nicht wahr, egal wie oft wir uns etwas suggerieren.
Affirmieren ist nichts weiter als der Versuch dem, was zu lösen ist und zwar durch intensive Arbeit an uns selbst, auszuweichen und eine Abkürzung zu nehmen, die nur weiter auf den Holzweg führt. Autosuggestionen können nur dann funktionieren, wenn es keine inneren Hemmnisse gibt, die eine positive Wirkung verhindern.
In einer Studie, die 2009 an der University of Waterloo in Kanada durchgeführt wurde, untersuchte man die Wirkung positiver Affirmationen auf Menschen mit dem Ergebnis, dass sie für die wenigsten Teilnehmer etwas Positives bewirkten. Fazit der leitendenden Wissenschaftlerin Joanne Wood, Professorin für Psychologie: „Es scheint, dass positive Selbstaussagen trotz ihrer weit verbreiteten Anerkennung für Menschen, die sie am meisten brauchen, nach hinten losgehen.“
 
Wenn wir etwas in unserem Leben verändern oder etwas erreichen wollen, müssen wir uns dem bewusst zuwenden und es eben nicht einfach nur weg haben wollen. Wir müssen uns damit auseinandersetzen. Und das ist ein Prozess. Es hilft absolut nichts eine Makulatur drüber zu kippen, die nur dazu führt, dass die Verdrängung weiter aufrechterhalten wird.
 
Affirmieren als Heilmittelchen kann zudem unheilsame Nebenwirkungen haben. Wenn es nicht klappt, fühlen wir uns schlecht. Wir erleben neuen Frust, neue Enttäuschung, wieder das Gefühl nichts auf die Reihe zu kriegen, wieder negative Gedanken - unserer negatives Selbstbild und unser Selbstwertgefühl gehen weiter in den Keller. Anstatt uns zu stärken kann Affirmieren ins Gegenteil umschlagen: Zur Stärkung der negativen Selbstwahrnehmung.

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