Freitag, 6. September 2013

Verlassen

wir menschen brauchen andere menschen. ganz besonders brauchen wir menschen auf die wir uns verlassen können. aber nicht alle von uns haben diese menschen. die intensität des gefühls des verlassenseins ist ein seismograph dafür, wie allein wir sind. dieses gefühl ist keine täuschung.  unsere gefühle täuschen uns nicht, es sind menschen, die uns täuschen und es sind unsere gedanken, die uns täuschen, wenn wir unsere gefühle überdenken, weil wir sie nicht fühlen wollen.

jeder ist allein. das schreibt herman hesse so eindringlich in seinem gedicht "im nebel". und genauso fühlt es sich an, das verlassensein, wie der gang auf dem einsamen weg durch einen dicken, dunstigen nebel. wenn wir diesen weg gehen, weil uns ein mensch, dem wir vertraut haben, verlassen hat begreifen wir, dass wir uns getäuscht haben, wie so oft, wenn wir enttäuscht sind. aber wir vergessen in unserer trauer, dass andere uns nur dann enttäuschen können, wenn wir uns täuschen lassen. wir menschen lassen uns gern täuschen, genauso gern wie wir uns halten lassen in einem zustand, der uns das leben leichter zu machen scheint, weil wir uns sicher fühlen wollen im gefühl aufgefangen zu sein. genau das ist der urgrund jeder enttäuschung, das uns selbst abgeben in die hände anderer, im glauben damit weniger verlassen zu sein. anstatt uns auf uns selbst zu verlassen schaffen wir immer wieder zwischenmenschliche konstrukte, deren halbwertzeit absehbar ist.

die meisten begegnungen zwischen menschen finden statt, weil einer den anderen in einem moment in der zeit braucht um weiter zu gehen, um die nächste stufe auf seinem lebensweg zu erreichen. manche begegnungen sind von dauer. andere nicht. sie lösen sich auf oder wir selbst lösen uns, weil wir intuitiv spüren, dass der gemeinsame weg am ende angelangt ist. im besten falle haben wir unser bestes gegeben und dankbar genommen, was der andere uns zu geben bereit war. und niemals war es verlorene zeit.


beziehungen zwischen menschen basieren auf dem harmonischen ausgleich von geben und nehmen, außer der beziehung zu unseren kindern, die, wenn wir sie wahrhaftig lieben, was nicht selbstverständlich ist, denn es gibt auch menschen, die ihre kinder nicht lieben, die verlässlichste, die bedingungsloseste und beständigste aller menschlichen beziehungen ist. wenn alle unsere beziehungen so bedingungslos wären, würden wir uns wohl niemals verlassen fühlen. aber so sind sie nicht. ein fremder bleibt ein fremder. auch wenn wir ihn in unser leben eingeladen haben und ihn uns vertraut gemacht haben, so bliebt er doch ein gast. die meisten gäste gehen irgendwann, sie verlassen unser haus, wenn die zeit gekommen ist. schön, wenn unsere gäste beim abschied sagen können: es war gut bei dir und wenn wir sagen können: ich danke dir für deinen besuch und für all das, was du mir geschenkt hast, was wir teilen durften und was du mir an erfahrungen ermöglicht hast. aber es gibt auch gäste, die gehen, wenn es nichts mehr gibt was sie bereichert, was sie für sich als gewinn, egal auf welchen ebenen, herausziehen können. sie wenden sich ab, weil das narzisstische lustprinzip des nehmens nicht mehr funktioniert. wenn uns solche gäste den abschied geben tut sich ein riesiges loch vor uns auf in das wir hineinblicken im gefühl tiefen verlassenseins. wir fragen uns: warum ist da diese leere?

sie ist da, weil sie schon die ganze zeit da war, weil sie nur durch das gefüllt wurde, was wir dem anderen zu geben hatten. das ist der moment in dem wir wieder begreifen, was wir nicht wahr haben wollten: jeder ist allein.


nachtrag: in jedem verlassen auf einen anderen, verlassen wir damit den einzigen menschen auf den wir uns verlassen können und das sind wir selbst. wenn wir die illusion verlassen, dass es jemals anders sein könnte, geschieht das wunder: wir fühlen uns nicht mehr verlassen.




Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen