es riecht nach zirkus. dieser erdige geruch nach holzspänen, der meine nase mit erinnerungen an kindertage kitzelt. ich betrete das zelt, suche mir einen platz ganz vorn an der manege. ich will es sehen alles, will es spüren hautnah das wunderbare spektakel, das mich erwartet und hinaustragen wird aus der wirklichkeit für einen nachmittag in der zeit.
ich mag den zirkus. ich mag ihn, weil ich die menschen mag, die in und für ihn leben mit ihrem herzblut. ich mag den dummen clown, der nur tut als sei er dumm und den kindern mühelos das lachen entlockt, das laut mein herz berührt. ich bewundere die körperbeherrschung und den todesmut der trapezkünstlerin hoch oben am seil unter der zirkuskuppel, jene letzte membran, die sie von der schwerelosen freiheit des nachthimmels trennt. immer ist sie in gefahr zu fallen, ein einziges falsches fassen und sie kann stürzen ohne ein netz, das sie auffängt.
aber am liebsten mag ich den pierrot in seinem stillen schwarz weiß. ich kann mich gar nicht satt sehen an seiner grazilen schlanken figur, seinem nahezu regungslosen gesicht mit lippen rot wie blut, haut weiß wie schnee und augenbögen schwarz wie ebenholz. mein blick verfolgt jede seiner majestätischen bewegungen, meine ganze hochachtung gilt seinem wohl gesetzten stolzen gang wenn er die manege betritt, in der er stumm und doch voller worte sprachlosen raum einnimmt. ja, ihn mag ich am liebsten.
als kind wollte ich in den fastnachtstagen immer der pierrot sein. niemals dufte ich es sein. mutter zog mir das rosafarbene prinzessinnenkleid an, malte mir ein rosa lippenrot, setzte mir das krönchen auf das kurzgeschorene haar und erlaubte keine widerrede. ich sah mich im spiegel, eine prinzessin an der nichts passte, schon gar nicht der bubikopf, den ich trug, weil ich ein junge sein wollte. das war nicht mein kostüm, das war nicht meine maske, da gehörte ich nicht hinein, mein kopf nicht und meine seele nicht. traurig lief ich an der hand der mutter zum kinderkarneval und die ganze zeit über suchte ich den pierrot unter den anderen maskierten.
und jetzt begegne ich ihm wieder, nach all der zeit und ich darf ihn bewundern in seiner ganzen schönheit im weißen scheinwerferlicht der manege. und das kleine mädchen in mir will aufstehen und ihn begleiten, will mit ihm seine grazilen schritte gehen, seite an seite, ganz nah. es will ihn berühren, seinen stolz, seine melancholie und seine unnahbarkeit und ihm zuflüstern: ich fühle dich, weil du in mir bist. und er wird mir ein kaum sichtbares lächeln schenken und mit leiser stimme antworten: du darfst sein, was du sein willst. er wird mich sanft in den armen halten und wiegen zu den klängen der musik, die sein spiel untermalen und wir werden einander zunicken und uns eine träne schenken.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen