Freitag, 23. Februar 2024

Bewerten, beurteilen, verurteilen

 

                                                                 Foto: pixybay


"Urteile nie über einen anderen, bevor du nicht einen Mond lang in seinen Mokassins gelaufen bist“, lautet eine indianische Weisheit.
Urteilen und bewerten ist menschlich. Wir müssen bewerten und urteilen um Entscheidungen in allen Lebensbereichen zu treffen. Da ist werten und beurteilen notwendig und wichtig. Viele Menschen neigen aber dazu ständig alles und jeden zu bewerten. Das ist nicht notwendig und nicht wichtig, außer für diejenigen, die das tun.
Unsere Gesellschaft verführt regelrecht zum Bewerten.
Likes, Kommentare auf Facebook, Instagramm und Co, Sternchen für Produkte, Dienstleistungen etc.. das Bewerten boomt. Wir orientieren und richten uns mehr und mehr nach Bewertungen, statt nach eigenen Erfahrungswerten und vergessen dabei: Jeder bewertet anders.
Was dem einen gefällt oder gut tut, was für den einen wahr und richtig ist, was für den einen hilfreich ist, muss es für den anderen längst nicht sein. Und nein, nicht die Masse entscheidet was gut ist oder ungut, richtig und falsch. Die Masse ist niemals ein vertrauenswürdiger Seismograf, was die menschliche Geschichte hinreichend bewiesen hat und beweist. Wozu das führt, wenn die Massen entscheiden, haben wir in der jüngsten Vergangenheit erlebt. Zu einem globalem Trauma, das bis heute nicht bewältig ist. Das nur nebenbei. 
 
Wir sind ein Mensch unter Menschen. Jeder Mensch ist eine eigene Persönlichkeit, er ist einzigartig.
Das Bewerten und Veruteilen ist ein Weg dahin, genau das zu vergessen. Ein Weg, der wegführt von der Weisheit, dem anderen sein anderssein zu lassen, es zu achten und zu respektieren, denn nur so gelingt ein wertschätzendes, wohlwollendes Miteinander. Das vermisse ich in dieser Welt mehr und mehr. 
 
Aber warum bewerten manche Menschen ständig ihre Mitmenschen, ihre Erscheinung, ihre Gedanken, ihre Worte, ihre Gefühle, ihr Verhalten, ihren Wert?
Dafür gibt es einige Motive und Gründe.
 
Zum Beispiel ein geringes Selbstbewusstsein.
Wer sich seiner selbst nicht bewusst ist, wer sich nicht erkennt, mag und akzeptiert, wer selbstunsicher ist, ist nicht fähig andere in ihrem Sein zu akzeptieren wie sie sind. Wer häufig bewertet udn verurteilt, nutzt dieses Verhalten dazu, sich selbst zu erhöhen und in eine kontrollierende Position zu bringen. Es wird projiziert, heißt: die Bewertung anderer trifft meist auf den Bewertenden selbst zu. So werden eigene Unsicherheiten und ungelöste Themen ins außen verlagert, um sich selbst besser, klüger, wissender, größer, etc., zu fühlen.
Apropos Fühlen, ein weiterer Grund: Es wird bewertet anstatt sich mit den eigenen Gefühlen auseinanderzusetzen.
Wer seine eigenen Gefühle nicht fühlt, nicht fühlen will, sie verdrängt oder abspaltet, kann mit schmerzhaften Situationen nicht angemessen umgehen. Er ist emotional taub oder blockiert. Alles was seinen Schmerz triggert wird bewertet und zwar negativ. Das muss weg, das will er nicht sehen, nicht hören und eben - nicht fühlen. Als Abwehrreaktion wird dann bewertet, attackiert und verurteilt. Alles zum Selbstschutz, der zu nichts gut ist, außer die emotionale Rüstung weiter zu verpanzern.
 
Besonders Neid, Verbitterung, Groll und Missgunst sind emotionale Zustände, die Menschen dazu bringen ständig andere zu bewerten und zu verurteilen.
Die Bewertung fungiert auch hier als Selbstschutz. Nichts wird emotional herangelassen und alles, was den Neid, die Missgunst oder den Groll triggert, und das kann alles sein, was besser scheint als das eigene Leid, wird gnadenlos verurteilt, um im eisernen Käfig der destruktiven Weltsicht sitzen bleiben zu können, denn ihn öffnen könnte bedeutet: ich öffne mich neuen Kränkungen, was unbedingt vermieden werden muss.
Verbitterung macht bitter, nicht nur uns selbst sondern auch anderen gegenüber. Sie macht hart, ungerecht, wütend und aggressiv. Neid und Missgunst sind giftig, sie vergiften nicht nur uns selbst, sondern auch andere und unsere Beziehungen.
Groll macht rachsüchtig und böse. „Groll mit uns herumtragen ist wie das Greifen nach einem glühenden Stück Kohle in der Absicht, es nach jemandem zu werfen“, sagt Buddha und genau so agiert der Groll: er wirft seinen eigenen Dreck auf andere. Der Grollende ist ein Miesmacher, der anderen das Leben vermiesen will, mit der Absicht sich selbst besser zu fühlen. 
 
Wer viel bewertet, dem fehlt Empathie
Menschen, die immer von sich selbst auf andere schließen, haben eine geringe oder keine Fähigkeit sich in andere hineinzuversetzen. Das eigene Denken und Empfinden ist Gesetz, der eigene Denkrahmen die Welt. Diese Menschen kommen gar nicht darauf, dass andere anders ticken, mit den Dingen anders umgehen, sie anders verarbeiten. Wenn sie damit konfrontiert sind wird bewertet, anstatt sich empathisch in den anderen einzufühlen oder sich auch nur im Geringsten dafür zu interessieren was im Mitmenschen vorgeht. Der eigene Narzissmus steht über allem und jedem und wird empathielos ausagiert. Wer unfähig ist, sich in andere hineinzuversetzen, ist nicht fähig den anderen auch nur im Ansatz zu erkennen, seine die Bedürfnisse, seine Gefühle, sein Weltbild überhaupt wahrzunehmen. Er kann und er will es auch nicht. Da fällt das Bewerten und Abwerten viel leichter als einem anderen Menschen gegenüber Achtung und Respekt zu erweisen. 
 
Bevor wir andere bewerten und verurteilen, macht es also durchaus Sinn uns zu fragen, warum wir das tun. Denn jede Bewertung, jede Verurteilung sagt viel über uns selbst und wenig über den anderen.
Wir könnten uns fragen, ob wir mit uns selbst im Reinen sind und uns als den Menschen akzeptieren, der wir sind. Erst dann können wir andere in ihrem Anderssein akzeptieren. Wir könnten uns mit unseren Mitmenschen wohlwollend verbinden und achtsam ihre Wahrheiten hören und sie achten.
By the way … wer nur die eigene Wahrheit glaubt, lernt nichts dazu.

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