Aquarell: Alexander Szugger
„Ich habe Kummer. Ich hab so großen Kummer, dass ich es nicht mehr aushalte. Ich traue mich kaum es zu sagen, aber ich habe das Gefühl, das Leben ist gemein. Es behandelt mich unfair. Ich weiß, das klingt undankbar, aber ich fühle es so. Das habe ich nicht verdient. Alles kaputt. Beziehung kaputt, Vertrauen kaputt, niemand mehr mit dem ich mich verbunden fühle. Es vergeht kein Tag, an dem ich mich nicht frage: Was habe ich getan, dass mich Gott verlassen hat?“
Was meine Klientin sagt, kann ich nachfühlen. Ich kenne Kummer und ich kenne auch diese Gedanken, die dann hochkommen. Das Gefühl selbst schuld zu sein, dass mir das passiert. Das Gefühl von Gott verlassen zu sein, wenn zerbröselt, was mir lieb ist. Das Gefühl vom Leben ungerecht behandelt zu werden.
Aber es hilft nichts, wenn wir glauben, dass uns Ungerechtigkeit wiederfährt. Es hilft nichts, wenn wir glauben von Gott verlassen zu sein oder, dass wir selbst Schuld daran sind wennn uns Leid widerfährt. Wenn wir aus dem Tal der Tränen mit klarem Blick auf das schauen was ist, dann wissen wir das tief drinnen. Dinge geschehen. Auch leidvolle Dinge geschehen, jedem von uns. Das ist Leben. Wissen heißt nicht glauben. Wissen heißt nicht: Ich komme damit super klar. Wissen heißt auch: Ja, es gibt Dinge, mit denen komme ich nicht klar. Jedenfalls nicht ohne weiteres.
Das ist okay.
Wie oft dachte ich, ich bin stärker, als ich es war. Ich habe mir etwas vorgemacht um meine eigene Schwäche nicht spüren zu müssen.
Ich habe mir gesagt, mein Anspruchsdenken und meine Erwartungen an das Leben führen mich in die Falle des Egos. Stimmt auch. Aber mein Ego ist auch ein Teil von mir. Und dann ist da noch dieses Kind in mir, das will, dass es endlich glücklich sein darf, das es satt hat zu leiden, das sich als ewiges Opfer fühlt. Wenn beide Kummer haben, ist all mein gescheites Rationalisieren erst einmal wirkungslos, dann tut es einfach verdammt weh.
Und das ist okay.
Mein Ego darf jammern und wollen, mein Inneres Kind darf sich mutterseelenallein und verlassen fühlen. Die Erwachsene darf sich schwach fühlen. All das darf sein.
Ich darf meine Gefühle fühlen und sie ausdrücken, den Kummer und die Enttäuschung zulassen. Ich darf weinen. Tränen sind ein heilsamer Regen, der die verkümmerte innere Landschaft zu neuem Leben erweckt.
Und es wird sein – Neues in meinem Leben. Bis dahin bin ich am wachsen. An allem kann ich wachsen. Wir alle können wachsen. Wie groß der Verlust auch sein mag.
Aber ich wachse nicht, wenn ich krampfhaft an der Auffassung festhalte, dass das Leben ungerecht zu mir ist und mich all den anderen Gedanken, die mich in den emotionalen Sumpf ziehen festkralle. Irgendwann darf ich loslassen. Tue ich es nicht, lastet der Alpdruck weiter auf meiner Brust und hindert mich daran frei zu atmen. Irgendwann darf ich die Opferhaltung aufgeben, mein Jetzt, egal wie beschissen es gerade ist, wieder in die Hand nehmen und die Verantwortung übernehmen für meinen Anteil. Ich bin kein Opfer, ich bin eine Heldin unterwegs auf dem Weg meines Lebens. Und eines Tages, wenn der Kummer kleiner geworden ist, werde ich auf diese Erfahrung zurückblicken und wissen: Auch das ging vorüber. Ich bin da durch gegangen. Ich kann mich auf mich verlassen. Wenn ich das erfahren habe, bin ich niemals verlassen.
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