Samstag, 7. Januar 2023

Aus der Praxis: Wenn du dich machtlos fühlst

 


Hast du einen schmerzlichen Verlust erfahren? Eine tiefe Enttäuschung? Eine bittere Kränkung? Hat man dich mies behandelt oder dich nicht wertgeschätzt? Fühlst du dich für irgendetwas schuldig oder glaubst du in deinem Leben eine Entscheidung getroffen zu haben, die dich oder andere auf einen unheilsamen Weg gebracht hat? Weißt du nicht wer du bist, was du wirklich willst, kennst deine Bedürfnisse nicht, traust dir zu wenig zu und zweifelst ständig, ob du das Richtige zu tust? Fühlst du dich fragil, traurig, vom Glück vernachlässigt? Leidest du unter starken Ängsten, die dazu führen, dass du vieles vermeidest, was du eigentlich gern tun würdest? Dann geht es dir wie vielen anderen Menschen – du fühlst dich machtlos.

 

Machtlosigkeit ist das Erleben von Hilflosigkeit und mangelnden Einflussmöglichkeiten im Verhältnis zu den eigenen Wünschen, subjektiv angenommenen und objektiven Notwendigkeiten oder dem Überlebenswillen. Machtlosigkeit führt zu Ohnmachtsgefühlen, die mit Angst, Wut und Frustration einhergehen. Machtlosigkeit stellt sich ein, wenn sich etwas unserer Kontrolle entzieht. Beim einen geht das schnell, schon der kleineste Kontrollverlust macht ihn ohnmächtig und hilflos. Ein anderer kann mit dem Verlust der Kontrolle gelassener umgehen und akzeptieren, dass es Dinge, Situationen, Erfahrungen und Menschen gibt, auf die er keinen Einfluss hat.

 

Je größer die Ängste eines Menschen, desto größer ist sein Bedürfnis Situationen und andere zu kontrollieren um die Macht zu behalten.

 

Das Gewahrsein: „Ich habe die Kontrolle verloren!“, ist für diesen Menschen nur sehr schwer aushaltbar, es triggert seine tiefste Angst. Kontrollverlust bedeutet dann: Das innere Ordnungssystem, das sich bemüht die Zustände in Schach zu halten, funktioniert nicht mehr. Es kommt zu einem Gefühlt traumatischen Ausgeliefertseins. Was die Angst durch das zwanghafte Kontrollieren in Schach gehalten hat, fällt weg. Halt und Sicherheit zerbröseln. Das innere System der Selbstregulation, das auf Kontrolle setzt, schaltet sich ab.

Verbaut in dem starken Bedürfnis nach Kontrolle sind immer innere Zustände, Affekte, traumatische Erlebnisse und Gefühle, die so in Schach gehalten werden sollen. Meist geschieht das unbewusst. Im Kern geht es um die Angst vor dem Ich-Verlust, wenn all dies nach Oben kommt. Der Zwang zur Kontrolle ist quasi der Behälter für das Unaushaltbare, das man in sich trägt. Er fungiert als Selbstschutz vor dem befürchteten Zusammenbruch. Löst sich dieser Schutz auf, kommt Machtlosigkeit und mit ihr frei flottierende Angst.

 

Kein Mensch will „ohne Macht“ sein. Um uns diesem Gefühl von Machtlosigkeit nicht aussetzen zu müssen, haben wir schon als Kind unterschiedliche Strategien entwickelt mit dem das Gefühl der eigenen Machtlosigkeit abgewehrt wird.

Aber es gibt im Leben Situationen, in denen sind wir einfach machtlos. Dann dürfen wir uns ehrlich eingestehen, dass wir nichts machen können. Es gilt das zu akzeptieren und angemessen damit umzugehen. Das ist schwer für jeden Menschen. Wie schwer es ist hängt aber maßgeblich von unserem Bedürfnis zu kontrollieren ab.

 

Anstatt zu kontrollieren dürfen wir kapitulieren.  

So wie der Alkoholiker, der im ersten Schritt des Zwölf Schritte Programms der AAs anerkennt: „Wir gaben zu, das wir dem Alkohol gegenüber machtlos sind.“

Das Bekenntnis des absoluten Kontrollverlustes. Das Ende eines hoffnungslosen Kampfes. Dieses Annehmen ist notwendig. Erst dann gelingt ein Anfang, der bedeutet: Die Verantwortung dafür zu übernehmen, das, was im eigenen Einflussbereich liegt (hier die Bereitschaft trocken zu werden) zu wandeln - im Vertrauen auf sich selbst und eine Höhere Macht.

 

Wir sind niemals vollkommen machtlos, auch wenn es sich so anfühlt. Macht ist die Fähigkeit die Dinge mit Hilfe unseres Willens und unserer Bereitschaft zu beeinflussen, oder wie Viktor Frankl sagt: „Es gibt etwas, was ihr mir nicht nehmen könnt: meine Freiheit, zu wählen, wie ich auf das, was ihr mir antut, reagiere.“ 

 

Hier einige Fragen, die ich mir selbst stelle, wenn ich mich machtlos fühle.

Kann ich es ändern?

Gibt es eine Änderungsmöglichkeit, die in meinem Einflussbereich liegt?

Kann ich meine Haltung zu dem was ist, ändern?

Was muss ich tun um meine Haltung zu verändern?

Kann ich das, was ist, anders bewerten? So, dass es einen Sinn macht?

 

Wenn nichts davon geht, mache ich mir klar, dass ich absolut nichts tun kann – ich muss das jetzt hinnehmen. Und dann fühle ich bewusst meine Ohnmacht. Ich lasse sie zu. Ich gehe da durch, auch wenn es verdammt schmerzt. Ich halte sie aus, ich weine sie raus, ich schreie sie raus, ich tanze sie raus, ich schreibe sie raus.

Ich weiß, Gefühle wandeln sich, wenn sie da sein dürfen.

 

 

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