Mittwoch, 25. Januar 2023

Aus der Praxis: Krankheitsangst

 

                                                                       Foto: A. Wende
 

Angst steht am Beginn vieler neurotischer Störungen wie z.B. Phobien, soziale Ängste, Zwangserkrankungen, Krankheitsangst, Hysterie, Borderline u.a.

Die Reduktion der Angst durch Vermeidungsverhalten hält diese Störungen aufrecht.

Dasselbe gilt für psychosomatische Störungen, deren gemeinsame Ursache eine lang anhaltende erhöhte Aktivierung durch unkontrollierbare und/oder belastende Lebensbedingungen- und Ereignisse darstellt. Auch am Beginn vieler Süchte, besonders der Alkoholsucht, steht die angstreduzierende Funktion. Im Rahmen der Verhaltensmodifikation wurden einige Behandlungsverfahren zur Reduktion verschiedener Formen der Angst entwickelt. Allgemein geht dabei vom Konzept der Angst als Reaktion auf psychologischer, physiologischer und der Verhaltensebene aus. Ziel jeder Angstbehandlung ist das Herunterfahren des erhöhten zentralnervösen vegetativen Erregungsniveaus. Bei vielen Angsterkrankungen gelingt das. Schwer behandelbar allerdings sind Zwänge und Krankheitsangst. Letztere, auch Hypochondrie genannt, wird oft verlacht. Dabei leidet jeder Mensch irgendwann einmal unter der Angst krank zu werden. Man denke an die Corona-Pandemie, die eine nahezu zwanghafte Massenkrankheitsangst ausgelöst hat. 

 

Angst vor Krankheit ist ein normales gesundes Phänomen. Erst wenn diese Angst über mindestens ein halbes Jahr bestehen bleibt und trotz ärztlicher Untersuchungen und positiver Rückversicherung weiter anhält, es also aus medizinischer Sicht keinen akuten Grund gibt, dass der Betroffene krank ist, spricht man von Krankheitsangst.  

Wer sie  kennt, weiß, sie ist die ganz und gar nicht zum Lachen. Sie ist eine ernstzunehmende psychische Störung, die das ganze Leben beherrschen und destruktiv beeinflussen kann.  Typische Gedanken bei Krankheitsangst sind beim kleinsten Unwohlsein oder einer körperlichen Missempfindung: „Es könnte etwas Schlimmes sein. Ich könnte ernsthaft krank sein oder es werden.“ Je bedrohlicher die angenommene Erkrankung scheint, desto mehr steigert sich die Angst der Betroffenen. Das geht bis hin zum Katastrophisieren, das mit den Gedanken an ein qualvolles Leiden, Sterben und Tod endet. Das Fatale ist, Betroffene können die Gedanken nicht abstellen. Es gelingt ihnen nicht gelassen das Verschwinden der Symptome abzuwarten oder der Diagnose eines Arztes zu vertrauen, dass es nichts Schlimmes ist, sie zweifeln und grübeln weiter. Sie fühlen ja etwas im Körper, was sonst nicht da ist. Sie haben eine kleine Verletzung, Magenprobleme oder Herzrythmusstörungen und sie wissen nicht, was daraus entstehen kann.  Sie fühlen sich ohnmächtig und hilflos bei der Vorstellung, es könnte so kommen wie sie befürchten.

Die Angst ist ja nicht ausgedacht, sie stellt sich bei dem meisten Betroffenen als emotionale Reaktion auf ein unbekanntes oder ein schmerzhaftes Körpergefühl ein.

Nur, die Angst ist meist nicht angemessen, was aber einem Menschen mit Krankheitsangst, auch wenn er das kognitiv weiß, nicht hilft die Angst herunter zu regulieren oder die Überzeugung schlimm krank zu sein rational zu entkräften.

Manche Betroffene haben diese Ängste ständig, bei anderen treten sie in belastenden Lebenssituationen, in Phasen von emotionalem Stress und/oder in seelischen Krisen auf.

 

Das typische Verhalten bei der Krankheitsangst ist die Suche nach absoluter Sicherheit.  

Was wir wissen: Der tiefe Grund der Krankheitsangst ist, ähnlich wie bei der Zwangsstörung, das Verlangen nach absoluter Sicherheit und eine niedrige Toleranzschwelle gegenüber Unsicherheit. Darum ist die Sicherheitssuche für Betroffene so wichtig. Diese besteht darin: Zum Arzt gehen, eine Bezugsperson um Versicherung bitten, dass es nicht so schlimm ist, in der Recherche der Symptome bei Dr. Google und in Selbstuntersuchungen.

Krankheitsangst beinhaltet ein komplexes System der Selbstbeobachtung. 

In der Folge kommt es bei vielen Betroffenen zu Angst, Zwängen, Rückversicherung, Vermeidung, Rückzug und gar zu Isolation. Alle Aufmerksamkeit wird auf den Körper gelenkt und von den eigenen äußeren Empfindungen und inneren Zuständen absorbiert. Es ist ein ständiger Versuch den Körper im Gleichgewicht zu halten. Immer ist da das diffuse Gefühl der Bedrohung von Leib und Leben, verbunden mit dem Erleben von Ohnmacht, Hilflosigkeit und Kontrollverlust über den eigenen Körper. Die Körperwahrnehmung verändert sich. Das sympathische Nervensystem ist dauerhaft auf einem hohen Erregungsniveau und bildet dann tatsächlich körperliche Symptome aus. Daraus folgt die Überzeugung, dass wirklich etwas nicht stimmt. Alle Aufmerksamkeit wird für Stunden darauf ausgerichtet, getreu dem Motto: Alles, dem wir Aufmerksamkeit widmen, wächst, wachsen die Symptome. Es wird recherchiert bis eine passende Diagnose gefunden ist. Dabei geraten Betroffene in einen Sog mit dem Ziel sich von der Angst zu befreien, werden dabei aber immer weiter in das Angstsystem verstrickt. Die Selbstdiagnose z.B. Darmkrebs bei häufigen Darmproblemen, so erschreckend sie ist, hat paradoxerweise eine angstbindende ordnende Funktion, indem sie für den Moment das Gefühl von Kontrolle herstellt. Das diffuse Gefühl hat jetzt einen Namen. Die Selbstbeobachtung und die Diagnose wirken wie ein inneres Ordnungssystem, das die befürchtete Katastrophe in Schach hält, der letzte Versuch noch irgendwie Kontrolle und Sicherheit zu erlangen und so das innere psychische Gleichgewicht, angesichts einer existentiellen Bedrohung zu halten. Das Gefühl von Sicherheit („Ich weiß jetzt, was es ist“) wirkt dann für den Moment angstreduzierend. Genau diese Sicherheit wird bei der Recherche gesucht. Ein Teufelskreis, der aufgrund der momentanen angstlösenden Wirkung nicht aufgegeben werden kann und wiederholt werden muss. In selteneren Fällen kann Krankheitsangst auftreten, wenn überhaupt keine körperlichen Probleme vorliegen. Es reicht allein die Vorstellung einer Erkrankung aus, um Ängste zu erzeugen. Dann spricht man von einer Krankheitsphobie.

Die Ursachen der Krankheitsangst

Die Forschung zum Thema Krankhietsangst ist noch nicht ganz dahintergekommen, wodurch sich eine solche Störung entwickelt. Vermutlich spielen Persönlichkeitsmerkmale wie hohe Ängstlichkeit sowie die Erziehung eine Rolle. Viele Therapeuten sind davon überzeugt, dass Krankheitsangst etwas Übernommenes oder Erlerntes ist, z.B. von der Mutter, die ständig krank war, oder durch einen Todesfall, der nicht verarbeitet werden konnte, das Aufwachsen in einem Umfeld, das ein unangemessenes Umgehen mit Krankheiten hatte, überbehütende Eltern oder alles zusammen. Eine weitere Annahme: Krankheitsangst ist eine Ablenkung von anderen Problemen und Gedanken an Bedrohliches. Mein Supervisor meinte neulich, als wir darüber sprachen: Wenn man sich damit beschäftigt, dass man möglicherweise schwer krank ist, muss man sich nicht mit anderen Problemen auseinandersetzen. Die Angst krank zu sein fungiert dann wie eine Art Abwehr oder Kompensation um nicht anschauen zu müssen, was wirklich schlimm im eigenen Leben ist. Auch von Langeweile könne man sich unterbewusst ablenken, indem man sich mehrere Stunden am Tag mit möglichen Krankheiten beschäftigt.

Bei jedem Betroffenen ist der Auslöser, sind die Gründe und Ursachen zur Entstehung der Störung andere. Weil jeder Mensch anders ist und keiner auf das gleiche Ereignis gleich reagiert und emotional darauf antwortet.

Eine typische allgemeingültige Ursache gibt es nicht um eine Krankheitsangst zu entwickeln. Aber es gibt eine sehr tief liegende, die die Psychoanalyse als solche erkennt. Die Annahme ist hier: Die befürchtete Krankheit ist der Behälter für das Unerträgliche, das ein Mensch sich trägt. Im Kern geht es bei der Krankheitsangst um die Angst vor der eigenen Auslöschung,  dem Ich-Verlust, um Todesangst. Eine Krankheit kommt bei Betroffenen dem psychischen Zusammenbruch gleich. In jedem Symptom, in jeder Befürchtung steckt gefühlt der Kern des totalen Ausgeliefertseins, des totalen Kontrollverlustes, der Auslöschung. Im Grunde ist die Angst und die Beschäftigung damit der untaugliche Versuch ein Gefühl von Sicherheit herzustellen, das nie erfahren wurde. Mit anderen Worten: Krankheitsangst ist, nach der psychoanalytischen Auffassung, der sich wiederholende Versuch der nachträglichen Bewältigung eines sehr frühen psychischen Zusammenbruchs.

Was Menschen mit starker Krankheitsangst in der Kindheit fehlte ist die Erfahrung einer Halt und Sicherheit gebenden Bindungsperson. Das, was in der Krankheitsangst befürchtet wird, ist längst passiert: Die Erfahrung existentieller, katastrophisch-traumatischer Verlassenheit, die Erfahrung von Auflösung und Todesangst. Die Erfahrung mit Bezugspersonen, die das Kind in seiner inneren Not alleingelassen haben, Bindungspersonen, die emotional abwesend und/oder emotional nicht erreichbar und haltgebend waren, oder im schlimmsten Falle - das Kind emotional vernichtet haben. 

 

Eine emotionale Regulierung über die Zuwendung einer Bindungsperson ist nie gelungen. Stattdessen - Verlassenheitserfahrung durch fehlenden Halt, mangelnde Zuwendung und Liebe.  

Die unbewusste innere Überzeugung ist: Ich bin ganz allein. Ich muss mich auf mich selbst verlassen können und dazu brauche ich einen gesunden, starken, funktionierenden Körper (als schützendes Gefäß für meine fragile Seele). Kann ich mich auf ihn nicht verlassen, kann ich mich auf nichts verlassen. Dann bin ich verloren. Ich muss gesund sein, sonst bin ich abhängig von Fremden, denen ich ausgeliefert bin und von denen ich nicht weiß, ob sie es gut mit mir meinen. Dann muss ich im Zweifel sterben. Wahr ist: Die Seele dieses Menschen ist als Kind längst gestorben. Sprich: Der Teil, der erfahren hat: Ich bin in meiner Not mutterseelenallein.

In der Krankheitsangst bildet sich dann als Bewältigungsversuch des kindlichen Traumas ein inneres System der Selbstregulation, das auf Autonomie setzt. Die Verlassenheitsängste sind quasi in die Krankheitsangst verbaut, wo Gefühle wie Ohnmacht, Hilflosigkeit und die existentiell bedrohliche Erfahrung von Getrenntsein und existentieller Vernichtung, mittels Selbstbeobachtung und Kontrolle in Schach gehalten werden. Der tiefe Grund der Krankheitsangst ist wie bei der Zwangsstörung, das Verlangen nach emotionaler Sicherheit, allerdings mit den falschen Mitteln. Was Menschen mit Krankheitsangst wieder und weder befürchten, ist längst geschehen, aber nicht verarbeitet worden.

Wenn Krankheitsangst als psychische Störung vorliegt, schaffen es Betroffene in den meisten Fällen nicht alleine sie zu überwinden. Was sie vor allem brauchen ist das Erleben einer sicheren, haltgebenden Beziehung, die ihnen als Kind gefehlt hat. Darum ist es empfehlenswert eine Therapie zu beginnen um im Nachhinein die Erahrung einer sicheren Bindung zu machen. Ziel jeder Art von Therapie ist: Einen angemessenernUmgang mit dem Körper und Körpersymptomen zu etablieren, um das Vertrauen in den eigenen Körper und in die eigenen Bewältigungsstrategien zu erlangen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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