„Atme deine Wut nicht tief in deine Brust ein“, schreibt die Holocaustüberlebende und Psychotherapeutin Dr. Eva Eger in ihrem Buch „In der Hölle tanzen.“ Ein Buch, das ich jedem empfehlen kann, denn es beschreibt wie es einem Menschen, der die Hölle überlebt hat, gelungen ist tiefste Erschütterungen und unfassbare Verletzungen in Kraft, Stärke und Mitgefühl zu verwandeln.
„Atme deine Wut nicht tief in deine Brust ein.“
Als ich diesen Satz las, spürte ich in mich hinein. Ich spürte nach, ob ich Wut in meiner Brust sitzen habe, die ich tief hineingeatmet habe? Und ich spürte: Ja, das habe ich. Da ist Wut in meiner Brust, alte und neue. Und sie sitzt dort fest. Puh, dachte ich, das war mir in diesem Ausmaß nicht bewusst. Natürlich weiß ich, dass ich manchmal wütend bin und warum und ich weiß auch, dass es vollkommen okay ist auch mal wütend zu sein, aber dass ich Wut in meiner Brust festhalte, war mir in dieser Tragweite nicht bewusst. Ich lerne immer dazu. Gut so.
Manchmal wissen wir nicht, ob und was wir festhalten. Da hat sich etwas in uns dermaßen festgesetzt und verklumpt, dass wir es gar nicht mehr spüren.
Es gehört zu uns, wir beachten es nicht, sind uns dessen nicht bewusst und leben damit als sei es selbstverständlich. Aber, woher wissen wir, dass wir etwas festhalten? Und woher wissen wir was genau das ist, was wir festhalten?
Darauf gibt es zunächst keine eindeutige Antwort. Das Problem ist, dass wir mit dem Kopf da nicht so einfach hinkommen. Wir kommen aber über unsere Körpergefühle dort hin. Generell üben alle unterdrückten Gefühle große Macht auf unseren Körper aus. Gefühle zu unterdrücken kostet unseren Körper Energie. Ich verwende in diesem Zusammenhang gern die Metapher, einen Ball unter Wasser zu drücken. Das geht, das geht sogar über Jahre, aber es erfordert enorme Anstrengung. Gefühle verschwinden nicht, wenn wir sie unterdrücken. Sie ploppen nach Oben, so wie der Ball, sobald wir den Druck nachlassen.
Auf lange Sicht machen unterdrückte Gefühle krank. Der Körper manifestiert und symptomatisiert, was die Seele nicht lösen kann.
Auf der körperlichen Ebene wird das Immunsystem geschwächt, wir werden anfälliger für Krankheiten. Wir haben häufig Infekte, hohen Bluthochdruck, Diabetes, Herz- Kreislaufkrankungen, Magen- Darmprobleme, Zahnprobleme. Auf der psychischen Ebene kann es zu Ängsten, Panikattacken, Zwängen, Depressionen und Süchten kommen. Bevor es soweit kommt, sollten wir in uns hineinspüren und den Ball, wenn er nach Oben ploppt, auf der glatten Oberfläche des Wassers liegen lassen und innehalten. Heißt: Neugierig Hinschauen was da vor uns liegt und negative Emotionen, die dabei hochkommen, zulassen. Es ist weitaus gesünder unsere Energie für die Auseinandersetzung mit belastenden Gefühlen zu nutzen, als dafür sie weiter zu unterdrücken.
Auch innere Wut muss sich Luft machen. Wir dürfen sie ausatmen. Wut, die tief in der Brust sitzt darf raus, muss raus, damit wir wieder frei atmen können.
Wut, die wir ausatmen, verhilft uns zur Beseitigung innerer Blockaden.
Unterdrückte Wut, die zu Angst geworden ist, die zu Resignation, zu Selbstanklage, Selbstabwertung und Selbstverurteilung geführt hat, gehört da hin, wo sie hingehört - nämlich zu der Situation, dem Erlebnis oder denen, die uns wütend gemacht haben. Damit meine ich nicht, dass wir austicken und unsere Wut anderen wahllos und unkontrolliert überkippen, sondern sie in kontrollierter Form freizusetzen, auf das wir freier atmen können.
Wut entsteht im Laufe unseres Lebens auf verschiedene Weise und meist ist sie so alt wie wir selbst. Zu dieser alten Wut kommt immer wieder neue. Jede Ungerechtigkeit, jede Respektlosigkeit, jeder Angriff, jede Kränkung, jede Verletzung unseres Selbstwertgefühls, Verluste, Lüge, Betrug, Vertrauensmissbrauch, Zurückweisung, Liebesentzug, Traumata, jede Art von Gewalterfahrung - all das und mehr kann uns wütend machen. Und wir atmen es tief in unsere Brust ein. Unser Gehirn speichert die Wut wie alle Emotionen, in der Amygdala. Mit der Zeit entsteht eine explosive Mischung, die in Aggression und Autoaggression münden kann und zu all dem Oben Beschriebenen, was krank macht.
Manchmal können wir uns selbst helfen um zu genesen.
Mir hilft es, indem ich meine Wut verschriftliche, indem ich mich bewege, die Wohnung putze, sie rausschreie, wo mich keiner hört, indem ich Atemübungen mache und wenn ich mit meinem Supervisor darüber spreche. Es gibt neuen Gesprächsstoff, weiß ich, seit ich den Satz von Dr. Eva Eger gelesen habe. Hat sich der Status unserer unterdrückten Wut bereits über Jahre manifestiert oder haben wir Angst, unsere Wut zuzulassen, brauchen wir professionelle Unterstützung um herauszufinden, wann sie entstanden ist, worauf sie sich richtet, welcher alte und neue Schmerz dahinter liegt und wovor sie uns schützen will.
Wenn wir uns die Erlaubnis geben die Wut zu fühlen und sie endlich zu Wort kommen lassen, gibt es eine gute Chance, dass wir sie endgültig ausatmen.
Was man nicht fühlt, kann man nicht heilen.
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