Mittwoch, 5. Mai 2021

Veränderung in einer veränderten Welt

 

 
Es sind nicht die äußeren Umstände, die das Leben verändern, 
sondern die inneren Veränderungen, 
die sich im Leben äußern.
 
Wilma Thomalla


„Wenn alles sich verändert, verändere alles“, heißt ein Buch von Neale Donald Walsch. Ich fand es gestern beim Aussortieren des Bücherregals. Ich erinnerte mich an die Zeit als ich es gekauft habe. Es war nach meinem schweren Autounfall, als ich im Rollstuhl saß und mein altes Leben zerbrochen war. Alles was mein Leben ausgemacht hatte, war verloren, meine Karriere beim Fernsehen, meine Beziehung, ich hatte ein Trauma, musste in eine Traumaklinik und mein geliebter Sohn zog mitsamt dem Hund zu seinem Vater. Ich dachte alles ist aus. Ich wollte nicht mehr leben.
Ich wollte nichts verändern, denn was ich vorher hatte, erschien mir als das perfekte Leben. Aber so sehr ich mich auch dagegen sträubte, ich musste erkennen, das war ein für alle Mal vorbei. Es gab kein Zurück. Ich brauchte lange um zu akzeptieren, dass sich mein Leben gegen meinen Willen verändert hatte. Ich war arbeitslos, ohne Beziehung und das Liebste, mein Sohn, war weit weg. Ich sah keinen Sinn mehr im Leben. Ich sah nicht, wozu ich jetzt noch da war. Keiner brauchte mich mehr.
Als ich aus der Klinik entlassen wurde, kam ich in ein leeres Haus.
Was jetzt? Wie weiter machen in der radikal veränderten Welt?
Dann las ich dieses Buch über die Veränderung. Und langsam, ganz langsam, begann ich zu akzeptieren, dass ich das Alte verabschieden musste, um nicht an der Veränderung zu zerbrechen. Ich musste nach Vorne schauen und mich neu erfinden. Es hat gedauert, es war schwer, aber ich habe es geschafft. 
 
Warum erzähle ich Euch das?
Ich erzähle es Euch, weil es sich für viele von uns im Moment genauso anfühlt - wir erleben eine Veränderung, die unser altes Leben mit einem Schlag beendet hat. Viele Menschen stecken fest, so wie ich damals im Rollstuhl. Und viele haben Vieles verloren, was ihnen wichtig war. Viele haben das Gefühl nicht mehr gebraucht zu werden und sehen keinen Sinn mehr im Leben. 
 
Die Welt hat sich verändert und wir wollen das nicht. Wir wollen es wieder haben, unser altes Leben und zugleich wissen wir – es ist endgültig vorbei. Wir wollen uns nicht verändern. Das ist zutiefst menschlich.
Veränderungen machen Angst. Wir wissen nicht was kommt und wir haben keine Ahnung, was wir tun sollen, damit unser Leben wieder gut wird oder sogar besser. Wir haben keine Vorstellung davon, weil wir das Alte so lange gelebt haben. Wir haben eine Vorstellung davon wer wir waren, aber wir wissen noch nicht wer wir jetzt sind oder sein wollen. Wir haben keine Vorstellung davon wie wir die Scherben zusammenfügen sollen, damit etwas stabiles Neues entsteht. Wir haben keine Vorstellung davon, was wir außer dem, worüber wir uns definiert haben, noch sein könnten. Wir haben keine Vorstellung davon, wo wir ohne das alte Ziel, ohne die alten Gewohnheiten, ohne das alt Vertraute hin kommen. 
 
Aber, Hand aufs Herz, war das Alte wirklich so toll?
War der alte Job wirklich der, den wir mit Liebe gemacht haben und hat er uns erfüllt?
Waren all die materiellen Dinge, die uns als lebensnotwendig erschienen wirklich so wichtig, oder haben wir viele Dinge nur gekauft, weil wir die innere Leere damit füllen konnten?
War die ganze Ablenkung im Außen nicht ein Ablenken von uns selbst, damit wir nicht spüren, was uns fehlt und was wir wirklich brauchen?
Waren unsere Beziehungen zu anderen wirklich echt, liebevoll, stabil und tragfähig oder hatten wir sie, weil man eine Beziehung, viele Bekannte und sogenannte Freunde hat, damit man nicht allein ist?
Haben wir uns wirklich aufmerksam und liebevoll um unsere Nächsten, unsere Familie, den Partner und die Kinder gekümmert?
Sind wir gut mit uns selbst umgegangen?
Haben wir gut für uns gesorgt oder sind wir wie Hamster im Rad immer schön rund gelaufen um am Abend völlig erschöpft zusammenzufallen?
Haben wir auf unsere Umwelt geachtet oder sind wir achtlos damit umgegangen?
Wie gut war unser Leben eigentlich wirklich vor der großen Veränderung?
Waren wir das, was man einen zufriedenen Menschen nennt?
 
Diese Fragen können helfen, wenn sich alles in uns gegen eine Veränderung sträubt.
Sie können helfen die Illusion, die wir uns vielleicht gemacht haben, zu entlarven und die Wahrheit über unser altes Leben zu entdecken.
Wenn wir sie erkennen, könnten wir zu dem Schluss kommen: Nein, so toll war das gar nicht, was wir da hatten. Und dann hören wir auf in beschönigenden Erinnerungen zu schwelgen, die uns davon abhalten, was jetzt ist, zu akzeptieren. Wenn wir das Jetzt akzeptieren, lösen wir den inneren Widerstand, der jeder Veränderung im Wege steht. 
 
Wenn wir das geschafft haben, könnten wir uns fragen:
Wie könnte es besser sein als es war?
Was kann ich dafür tun, damit es besser wird als es war und als es jetzt ist?
Was will ich in diesem Leben gestalten, damit es für mich ein sinnvolles Leben ist?
Was will ich neu gestalten?
Welche Vorstellungen von mir selbst darf ich verändern?
Welche Vorstellungen von einem gelingenden Leben darf ich verändern?
Was vom Alten ist tragfähig um es in das Neue mit hinüber zu nehmen?
Was hat Substanz?
Was blockiert meine Vorstellungen vom Möglichen?
Was darf ich lernen, damit es besser ist als es war und als es jetzt ist?
In dem Moment, wo uns klar wird, dass wir trotz allem, trotz aller äußeren Umstände nicht Opfer sondern Schöpfer sind, sind wir schon beim ersten Schritt in die Veränderung.
Und jedem ersten Schritt, der gelungen ist, darf der nächste folgen.
Vielleicht müssen wir nicht alles verändern, wenn sich alles verändert – aber das, was uns dabei hilft, damit es besser ist, als es jetzt ist. 
 

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