Self-compassion entails being warm and understanding toward ourselves when we suffer, fail, or feel inadequate, rather than ignoring our pain or flagellating ...
Kristin Neff
Es gibt sie immer wieder, diese Tage, an denen ich mich klein und machtlos fühle. Ich habe das Gefühl ich kann zu wenig tun, ich fühle mich ohnmächtig angesichts des Absurden, das die radikale Veränderung der äußeren Welt in unser aller Leben gebracht hat. Zwischen den Sitzungen sitze ich oft an meinem Schreibtisch und schaue auf den Fliederbaum dessen lila Blüten, kaum haben sie sich entfaltet, schon wieder verwelken. Diese gefühlt stillstehende Zeit vergeht zu schnell, so wie die Fliederblüten zu schnell ihre farbige Pracht verlieren. In diesen Momenten umfängt mich Trauer ob der Vergänglichkeit allen Lebens. Mehr denn je zuvor habe ich begriffen, wie kostbar die Zeit hier auf der Erde ist. Ich habe nur dieses eine Leben und dieses eine Leben ist zu kostbar, um darin nicht ganz lebendig und ich selbst zu sein.
Ich ertappe mich dabei wie ich manchmal die Hoffnung verliere, den Glauben an das Gute, an ein Besseres und wie die Zweifel an der längst überfälligen Einsicht der Menschen, dass wir so nicht weitermachen können, meine Zuversicht wegwischen. Ja, auch ich, die ich anderen Menschen Unterstützung und Kraft gebe, ertappe mich dabei, mich in solch dunklen Gedanke zu verlieren. Auch ich bin betroffen, getroffen von der Veränderung dessen, was einmal mein Leben war. Ich spüre wie stark mich das Ungesunde im Außen beeinflusst und meinen Alltag zu einer nie gekannten Anstrengung macht. Und zugleich spüre ich, in all den Gesprächen mit Menschen, wie sie immer erschöpfter, hoffnungsloser und müder werden. Ich spüre wie sie das Gefühl für sich selbst und den eigenen Lebenssinn verlieren und wie sie mit aller Anstrengung versuchen ihn doch aufrechtzuerhalten oder neu zu erfinden.
Da fehlt so viel. Und damit meine ich nicht die offenen Geschäfte, die Cafés, die Reisen. Da fehlt Kontakt, da fehlen Impulse, da fehlt gelebtes Leben inmitten von Menschen. Da fehlt Leichtigkeit, da fehlt was uns Inspiration schenkt, da fehlt lebendige Kunst, Höhen im Alltag, die uns aus der Monotonie erlösen. Da fehlen so viele vertraute Möglichkeiten einander zu sehen und gesehen zu werden, einander nahe zu kommen, einander zu berühren, natürlich, frei und unbeschwert. Das macht viele Menschen innerlich einsam, auch wenn sie nicht alleine leben. Ich habe in all den Jahren meiner Arbeit noch nie so viele Menschen, die sich einsam fühlen, erlebt. Egal ob jung oder älter. Und noch nie war es so schwer zu helfen, denn der Weg aus der Einsamkeit heißt: in Kontakt gehen. Ins Außen gehen, lebendige Begegnungen herstellen und sich verbinden. Miteinander reden, lachen, leben, teilen, lieben.
In der Verbindung mit anderen spüren wir uns selbst, wir werden gespiegelt, wir werden reflektiert und reflektieren uns selbst. Viele von uns schauen jetzt nur noch in den eigenen Spiegel und sehen immer dieses Selbst, das sich aufzulösen scheint in seinen Konturen, weil es zu lange schon sich selbst überlassen ist in der Selbstbespiegelung. Und dann höre ich Worte wie: Ich habe zu wenig Selbstwertgefühl, weil ich das nicht schaffe so allein mit mir selbst. Ich bin nicht stark genug, ich genüge mir nicht, ich liebe mich nicht genug. Ich bin undankbar weil ich doch ein Dach über dem Kopf habe und mich ernähren kann. Ich falle in ein Loch.
Und dann sage ich: Bullshit, das ist nicht wahr! Auch der selbstsicherste, stärkste und sich selbst liebende Mensch braucht Menschen, braucht Aufmerksamkeit, braucht Zuneigung und Nähe, braucht Interaktion die über einen Computerbildschirm hinausgeht ins sinnliche Erleben, braucht andere, um sich selbst zu spüren.
Es ist vollkommen normal und gesund auf das Absurde, das wir gerade erleben, auf diese Weise zu reagieren. Das Außen ist nicht gesund und Gesunde reagieren stark auf das Ungesunde. Je sensibler, je feinfühliger wir sind, desto stärker reagieren wir. Die Feinfühligen, die Empathen, die Hochsensiblen sind es, die leiden. Sie sehen und erleben sich nicht als getrennt von den anderen und der Welt. Sie empfinden sich als ein Teil des Ganzen und wenn ein Teil des Ganzen erkrankt, erkrankt mit ihm auch das ganze System. Das das spüren diese Menschen, manche sogar körperlich.
In ihrer Einsamkeit, geboren aus dem Gefühl erzwungenen Getrenntseins, liegt Trauer, ein tiefes Mitgefühl für all die, denen es jetzt gar nicht gut geht. Sie können sich nicht ablenken indem sie sich in ihren heimischen Kokon vergraben, es sich gut gehen lassen, und so tun als habe das Leid ihrer Mitmenschen nichts mit ihnen zu tun. Sie sind dazu einfach nicht fähig. Sie fühlen zu viel. Zu intensiv, zu sehr mit und sie wollen etwas tun, denn wahres Mitgefühl, will das Leid lindern. Es kann nicht einfach zusehen und bei sich bleiben. Aber das ist genau das, was mitfühlende Menschen jetzt lernen müssen. Das ist schwer. Weil es für sie die große Umkehr ihres Seelenweges ist, den sie immer verfolgt haben, instinktiv und ohne nachzudenken.
Jetzt müssen sie den Weg zu sich selbst gehen um zu seelisch und mental zu überleben. Sie müssen - und ja, jetzt sage ich „müssen“ – sich selbst schützen lernen um nicht zu resignieren ob der Ohnmacht und der Trauer, die sie spüren. Sie müssen lernen das Mitgefühl sich selbst in dem Maße zu schenken, wie sie es anderen schenken. Das heißt nicht, weniger mitfühlend zu sein, das bedeutet nicht innen kalt zu werden oder egoistisch – es bedeutet den Focus darauf zu legen, sich selbst gut zu versorgen, mit sich selbst zu fühlen. Als allererstes. Ganz bewusst.
Ich weiß das ist schwer, denn dadurch geht das Einsamkeitsgefühl, geht die Ohnmacht, geht die Trauer nicht weg. Aber diese Gefühle sind dann nicht mehr so belastend, dass sie die Energie für das eigene Leben wegfressen.
Wie das geht?
Neulich sagte ein weiser Mann zu mir: Da ist dieses Loch in all den Sensiblen und Feinfühligen – und weißt du, die Wahrheit ist, das geht nicht weg, denn es ist ein existentielles Gefühl, geboren aus einem frühen Trauma, aber um das Loch herum da ist etwas und darauf müssen wir schauen.
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