Dienstag, 23. Februar 2021

Aus der Praxis – Kognitive Dissonanz und wie wir sie auflösen

 

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Zwischen dem, was wir denken, und dem, wie wir handeln, besteht oft ein großer Unterschied. Wie oft machen wir etwas, obwohl wir wissen, dass es falsch oder sogar unheilsam ist. Wir machen es trotzdem, obwohl wir uns nicht gut dabei fühlen, wir haben vielleicht sogar ein ein schlechtes Gewissen, Schuldgefühle oder echte Probleme wie emotionales Leid und können es nicht sein lassen.

Was passiert da in uns?

Jeder vernünftige Mensch würde doch sagen, wieso machst du das, obwohl du genau weißt, dass es dir schadet? So genau können wir das dann auch nicht erklären, wir machen es eben, weil wir meinen nicht anders handeln zu können.

Ein Beispiel: Meine Klientin will sich aus ihrer co-abhängigen Beziehung zu einem Alkoholiker lösen.

Ihre Einstellung: Meine Co-Abhängigkeit schadet mir.

Ihr Verhalten: Sie bleibt in der Beziehung.

Nun passiert Folgendes: Einerseits weiß sie, dass das co-abhängige Verhalten ihr schadet. Andererseits legt sie sich eine „plausible“ Erklärung zurecht: „Aber ich bin nicht allein und werde geliebt und gebraucht“. Jetzt hat sie sich eine Brücke zwischen ihrer Einstellung und ihrem Verhalten gebaut und damit eine Konsistenz erreicht, um den Spannungszustand zu reduzieren und die Situation für sich erträglich zu machen. Diese konstruierte Konsistenz hält den inneren Spannungszustand zwischen Entscheidung und Verhalten einerseits und Überzeugung, Gefühlen und Werten andererseits, aufrecht. Wahr ist: Wir können uns selbst nur in zu einem bestimmten Maße täuschen, in unserem tiefsten Inneren wissen wir sehr genau was Sache ist. 

Wenn uns unsere Selbsttäuschung bewusst wird, springt sofort der Selbstschutzmechanismus „Rechtfertigung“ an. 

Rechtfertigung aufgrund der Selbsttäuschung. Man täuscht sich selbst und sieht nur noch das, was man sehen will, man legt sich eine Wahrheit zurecht und findet Gründe und Argumente um sie zu stützen. Man betreibt eine Scheinrationalisierung mit dem Ziel sich emotional zu entlasten. Ganz schön kompliziert diese Kognitive Dissonanz und Urgrund vieler menschlicher Dramen, die man doch eigentlich so einfach lösen könnte, indem Menschen wahrhaftig sind und tun, was sie als gut und heilsam erkannt haben. Aber die Psyche ist kompliziert und ein komplexes Phänomen.

Der Psychologe Leon Festinger nannte 1957 den unangenehmen emotionalen Spannungszustand, wenn unsere innere Einstellung nicht mit unserem Handeln übereinstimmt, kognitive Dissonanz. 

Jeder Mensch hat mehrere Kognitionen. Das sind Weltbild, Werte, Gedanken, Wahrnehmungen, Meinungen, Einstellungen, Wünsche, Motive oder Absichten, die in bestimmten Fällen, wie im Fall meiner Klienten, nicht miteinander vereinbar sind. Damit diese miteinander vereinbar werden, also konsistent sind, werden unterschiedliche Strategien benutzt, wie beispielsweise die oben beschriebenen Verhaltens- oder Einstellungsänderungen. Kognitionen sind immer mit einer Bewertung verbunden und zwischen diesen Kognitionen können Konflikte („Dissonanzen“) entstehen.

Eben diese innere Dissonanz vermindert unweigerlich unsere Fähigkeit klar und logisch zu denken, und so zu unserem Besten zu entscheiden und zu handeln. Je mehr wir in kognitive Dissonanzen verstrickt sind, desto sicherer geraten wir in ein dauerhaftes seelisches Ungleichgewicht. Wir verlieren die innere Balance und entwickeln einen Tunnelblick. Es kommt zur Selektiven Wahrnehmung, nach dem Motto: „Was nicht passt, wird passend gemacht.“  Fatalerweise machen uns innere Dissonanzen manipulierbar. Wir sind nicht mehr Herr im eigenen Haus. Wir sind gespalten. Sogar ein ganzes Land kann man auf diese Weise systematisch spalten. 

Dissonanz ist das Gegenteil von Harmonie, also ein Spannungszustand, der auf lange Sicht immer nach Auflösung verlangt. 

Die meisten Menschen streben generell nach einer möglichst großen Übereinstimmung zwischen Absichten und Handeln. Dieses Bestreben bezeichnen wir als Integrität. Handeln wir entgegen unserer persönlichen Werte und Absichten, kommt es zu Gewissensbissen und Schuldgefühlen. Wie sehr dieses Verlangen nach Integrität ausgeprägt ist, hängt wiederum individuell von der Persönlichkeit jedes Einzelnen ab. Kognitive Dissonanz erzeugt also die Motivation die entstandene Dissonanz zu reduzieren.

Nach Festinger gibt es drei verschiedene Arten die kognitive Dissonanz aufzulösen:

1.        1. Addition neuer konsonanter Kognitionen.

  1. Subtraktion dissonanter Kognitionen (Ignorieren, Verdrängen, Vergessen).
  2. Ersetzung von Kognitionen: Subtraktion dissonanter bei gleichzeitiger Addition konsonanter Kognitionen.

Die Dissonanzauflösung, bzw. Dissonanzreduktion kann an jedem der vier Entstehungsschritte ansetzen:

  1. Das zugrundeliegende Problem wird gelöst. Dazu ist notwendig den Blickwinkel zu ändern, um neue Lösungswege zu erkennen. Mit der Lösung löst sich die Dissonanz auf.
  2. Wünsche, Absichten oder Einstellungen werden aufgegeben oder auf ein erreichbares und somit konfliktärmeres Maß reduziert.
  3. Die physiologische Erregung wird gedämpft, z. B. durch Sport, durch ausgleichende Aktivitäten, durch Selbstberuhigung, Meditation, oder sie wird weiter verdrängt durch den Konsum von Alkohol, Beruhigungsmitteln oder anderen Drogen. All diese Lösungsansätze basieren auf einer möglichst großen Reduktion der kognitiven Dissonanz.  

Ein für mich hilfreicher Lösungsansatz ist der Realitätscheck.

Er hilft uns aus der Selbsttäuschungsfalle herauszufinden. Wir sind bereit zu sehen, zu erkennen und zu lernen zu uns selbst ehrlich und aufrichtig zu sein. 

Hier steht folgende Frage im Vordergrund:

Wie rechtfertige ich, dass meine Einstellung und mein Handeln nicht übereinstimmen?

Wie gesagt setzen wir alles daran, um das negative Störgefühl mit Rechtfertigungen aus der Welt zu schaffen. Je öfter wir jedoch eine Rechtfertigung wiederholen, desto mehr glauben wir selbst daran. So werden Rechtfertigungen zu festen Überzeugungen.

Genau diese Rechtfertigungen gilt es zu identifizieren, sie uns einzugestehen und zu überprüfen. Und uns dann zu fragen: Bin ich bereit mich selbst und damit auch andere weiter zu belügen und dafür meine persönlichen Werte und Einstellungen aufzugeben? Oder so gar meine seelische und körperliche Gesundheit, wie im falle meiner Klientin, die in der Beziehung zu dem alokoholkranken Partner Höllenqualen leidet.

Das erfordert schonungslose Ehrlichkeit uns selbst gegenüber und zudem eine große Portion Selbstdisziplin, die den meisten Menschen fehlt. Denn es bedeutet ja auch, dass wir etwas aufgeben müssen, das uns irgendwie einen Benefit gibt, auch wenn er noch so gering sein mag. Etwas aufgeben bringt eine Veränderung mit sich was, wie alle Veränderungen, verunsichert und Angst macht. Aber das sollte uns nicht mehr Angst machen als ein Leben indem wir gegen uns selbst agieren. Gehen wir klaren Geistes und ehrlichen Herzens mutig die Veränderung an, entscheiden wir uns für eine Verhaltensänderung im Wissen: Alles ist besser, als mich weiter selbst zu betrügen und mir damit dauerhaft zu schaden. 

Verhaltensänderung ist eine gute Strategie zur Dissonanzreduktion. 

Wir haben Ignorieren, Verdrängen, Vergessen oder Betäuben aufgegeben und ändern unser Verhalten entsprechend der Gegebenheiten zu unserem Besten. Das ist für mich der Königsweg. Im Grunde nichts anderes als die eigene Wahrheit anzuerkennen und ihr zu folgen. Die Wahrheit macht frei, sagt meine Erfahrung. Frei für ein wahrhaftiges und selbstbestimmtes Leben. 

 

 

 

 

 

 

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