Freitag, 8. Januar 2021

Aus der Praxis – Das Leiden des Egozentrikers

 
Malerei: A. Wende

 

Egozentrik: lateinisch ego „ich“ und centrum „Mittelpunkt“ bezeichnet die Eigenschaft des menschlichen Charakters, sich selbst stets im Mittelpunkt zu sehen. Egozentrismus ist die Unfähigkeit oder der Unwille, zwischen sich selbst und anderen zu unterscheiden. Genauer gesagt ist es die Unfähigkeit, subjektive Schemata aus der objektiven Realität zu entwirren; eine Unfähigkeit, irgendeine andere Perspektive als ihre eigenen zu verstehen oder zu übernehmen. 

 

Der egozentrische Mensch ist sich seiner selbst im Tiefsten unsicher und bezieht alles auf sich. 

 „Warum tun man mir das an? Warum passiert das immer mir? Warum sind die anderen so gemein zu mir? Warum nutzen mich alle nur aus?

Alles in ihm ist ein selbstsüchtiges „mir“.


 

Egozentrik ist Selbstsucht.

Bei allem was der Selbstsüchtige denkt, fühlt und tut, steht er mit seinen Bedürfnissen und Erwartungen im Mittelpunkt. Egozentrische Menschen halten sich selbst für außergewöhnlich oder sie verhalten sich außergewöhnlich, ohne sich um die Meinung anderer zu kümmern. Sie sind nicht in der Lage sich in andere Menschen hineinzuversetzen. Der Egozentriker sieht alles nur aus der eigenen Perspektive. Das geht so weit, dass seine Sicht der Dinge und seine Meinung die einzig wahre ist. Seine Wahrnehmung des Außen ist so stark reduziert, dass er unfähig ist, andere Blickwinkel einzunehmen. Er leidet am Mangel der Unterscheidung zwischen dem Ich und der äußeren Realität. Typische Denkmuster sind: Alles was die anderen auch immer tun, sie tun es für oder sie tun es gegen mich. Und: Die anderen haben für mich da zu sein.

Nach diesen Kriterien bewertet er seine Mitmenschen und seine Beziehungen.

Er ist weder großmütig, noch bei dem, was er für andere tut, uneigennützig. Er ist wenig einfühlsam, dafür auffallend aufdringlich, fordernd, penetrant und taktlos.  

 

Der Egozentriker ist ein Getriebener. Ständig jagt er der Aufmerksamkeit und der Anerkennung von anderen nach. 

Es ist der unbewusste endlose Versuch seine Defizite im Selbstwerterleben aufzufüllen, indem er ständig nach dem heischt, was in innerlich aufwertet. Er neigt dazu andere zu entwerten, um zu betonen, wie bewundernswert er selbst ist. Jedoch bewirkt er damit das Gegenteil von dem, was er beabsichtigt: die anderen wenden sich von ihm ab.

 

Egozentriker fürchten Verbindlichkeit und echte Nähe und können diese daher nur schwer zulassen. 

Die Beziehungen des Egozentrikers sind in der Regel disharmonisch, anstrengend, frustrierend, geprägt von Wettbewerb und Kampf und unbeständig.

Diesen Menschen fehlt vor allem die Fähigkeit, sich selbst zu reflektieren und eine gesunde Beurteilung von eigener Aktion und fremder Reaktion. Ein egozentrischer Mensch begreift nicht was sein Handeln anrichtet, sondern sieht nur die Reaktion anderer auf sein Handeln und deutet diese dann als Angriff auf seine Person. Er ist sich gar nicht bewusst, was er auslöst, weil er sich ja nur um sich selbst dreht.

Er jagt blind der Anerkennung hinterher. Entweder ist er sehr erfolgreich und wundert sich darüber, dass ein Gefühl von Mangel und innerer Leere nicht verschwindet, oder er ist frustriert, weil seine Bemühungen nicht ausreichend gesehen und honoriert werden und fühlt sich vom Leben und seinen Mitmenschen ungerecht behandelt.

 

Sicher, es ist gesund, wenn sich ein Mensch an die erste Stelle setzt in dem Sinne, dass er gut zu sich selbst ist und gut für sich sorgt, aber der Antrieb im Leben anderer Menschen oberste Priorität zu haben, ist nicht gesund.

 Egozentriker sind sehr unsicher und innerlich emotional instabil. Daher brauchen sie ständig die Bestätigung durch andere. Kritik aber können sie nicht ertragen. Sie fühlen sich sofort angegriffen und fangen an zu streiten oder wenden sich ab. Der Egozentriker wird prinzipiell alles als Angriff gegen sich selbst betrachten, auch wenn man es noch so gut mit ihm meint und es ihm noch so verständlich erklären mag, er fühlt sich immer bedroht. Sein Ego will Recht haben, es will Bewunderung, Lob, Einfluss und Macht. Es ist nie satt. Wenn es nicht bekommt, was es will, ist es gekränkt und der andere ist schuld daran. Es geht um Erfolg auf allen Ebenen, aber es existieren eben Bereiche im Leben, die durch Erfolg nicht kompensiert werden können. Das kann der Egozentriker nur schwer verkraften. Er fällt in ein tiefes Loch.

 

Obwohl Egozentrismus und Narzissmus sich in ihren Erscheinungsformen ähneln ähnlich erscheinen, sind sie nicht gleich. 

Ein Egozentriker glaubt zwar, er befindet sich im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, aber er besitzt nicht, wie der Narzisst, die Befriedigung durch die eigene Bewunderung. Ihm fehlt die, den Narzissten ausmachende Größenfantasie.

 

Wie wird ein Mensch egozentrisch?  

Auf Grund kindlicher Traumata hat der Egozentriker um sich vor Verletzung und Schmerz zu schützen , seine Wahrnehmung nicht nach außen gerichtet. Er nimmt sein Umfeld deshalb nur fragmentiert und oberflächlich war. Die ständige Sorge und Angst um sich selbst, die im Kindesalter aus Selbstschutz und um emotional zu überleben berechtigt war, lässt ein sich Hinwenden zum anderen und die Auseinandersetzung mit dem anderen nicht zu.

Was diesen verletzen Seelen fehlt ist Liebe und Wertschätzung durch die ersten Bezugspersonen. Wurden weitere bedürfnisrelevante Zustände in der Kindheit ersten Lebensjahren nicht erreicht, wenn z.B. die kindlichen Bedürfnisse keine Berücksichtigung fanden oder verlässliche Nähe nicht genügend hergestellt wurde, dann kann der Mensch auch in seinem späteren Leben kein sicheres Verhältnis zur eigenen Person und zu anderen herstellen. Er ist selbstunsicher und sucht die Sicherheit seiner selbst durch Bestätigung. Immer mehr, immer besser, immer höher, immer weiter ist die Maxime seines Lebens. Dahinter schreit das insich selbst verkapselt inner Kind: Bitte seht mich doch endlich. Und gebt mir doch endlich was mir zusteht.

 

Eine ewige Suche

Wer als Kind keine echte Liebe und keine Zuwendung erfahren hat, wird im späteren Leben genau das immer suchen. Er wird anderen immer Liebesbeweise abverlangen. Er kann diese aber nicht wirklich empfangen werden, weil er unter der Distanz leidet, die ihn an die kindliche Frustration erinnert, nämlich fehlende Zuwendung. Er sitzt im inneren Käfig, der ihn einst schützte und geht automatisch immer wieder in Distanz. Die Klaquere sollen besser draußen bleiben, denn kommen sie mir zu nahe, wird es gefährlich. Dann könnten sie an meinem Universum kratzen und es kommt ins Wanken.

 

Gesunde echte Beziehung bedeutet auch Auseinandersetzung und diese fordert auch immer Auseinandersetzung mit sich selbst. 

Wird ein Egozentriker zu einer Auseinandersetzung gezwungen, kann das bei einer ausgeprägten egozentrischen Störung zur Gleichgültigkeit gegenüber dem Partner oder anderer Bezugspersonen führen. 

Aber genau diese Auseinandersetzung mit sich selbst ist für den Egozentriker heilsam.

Nur so gelingt der Weg vom Ich zum Du.

Was dieser Mensch braucht ist im ersten Schritt gesunde Selbstreflektion. Denngenau das ist sein Thema: Sich selbst erkennen und seine Kindheitswunde.

Um sie dann zu verarbeiten.

Der Weg geht zur Selbstfreundschaft - zur Selbstanerkennung und Selbstwertschätzung als Mensch, ohne das fragile Gebäude das aus den Bausteinen der Außenwirkung erichtet wurde. 

Im besten Falle findet er zur Eigenliebe. Also dem Gefühl: So wie ich bin, mag ich mich gern. Ich bin okay und liebenswert. Und weg von: Ich bin der Mittelpunkt der Welt und  Welt, gib mir das gefälligst als Feedback. 

Nur wer ein warmes Gefühl für sich selbst in sich trägt, kann es auch anderen geben.

 

Was der Egozentriker lernen darf ist, sich selbst nicht so wichtig zu nehmen.

Er darf lernen, was Geben und Nehmen bedeutet. Er darf lernen, über sein ichsüchtiges um-sich-selbst-Kreisen hinauszukommen und andere so zu akzeptieren wie sie sind, selbst wenn ihre Gedanken, Gefühle, Ideen und Handlungen anders sind als seine egoistischen Erwartungen. Er darf lernen, über sich selbst hinaus, zum anderen hin zu fühlen. Er darf lernen, sich als Teil des Ganzen zu begreifen und nicht als den Mittelpunkt der Welt. Macht er sich nicht auf den Weg, bleibt er Opfer seiner Ichsucht und damit im Tiefsten allein.

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