Samstag, 27. Juni 2020

Überdruss

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Heute morgen sitze ich am Fenster, höre dem Rauschen des Regens zu und lese folgenden Satz: „Die aufregenden Dinge auf der Welt hat ein Mensch sehr schnell satt, und die Dinge, derer er nicht überdrüssig wird, sind meist langweilig. Zwar gibt es in meinem Leben langweilige Perioden, Überdruss jedoch empfinde ich nicht. Die meisten Menschen können beides nicht voneinander unterscheiden“. Dies schreibt Haruki Murakami in seinem Buch „Kafka am Strand“.

Er hat Recht: Langeweile und Überdruss zu unterscheiden ist für viele Menschen gar nicht so einfach.
Was ist also der Unterschied, frage ich mich?
Langeweile ist ein vorrübergehender Zustand, den wir alle kennen, der Überdruss hingegen entwickelt sich langsam und verfestigt sich.
Ich bin es leid. Ich habe es satt, sagt der Überdruss.
Es leid sein bedeutet, man ist es überdrüssig.
Die Arbeit, den Alltag, die immer gleiche Routine, die immer gleichen unguten Nachrichten, die Zeit, die fehlt um das zu tun, was man wirklich tun will, eine Beziehung, die nicht besser wird, eine Situation, die sich nicht verändert, die Einsamkeit, die schon zu lange an uns nagt, die Trauer, die nicht gehen will, am Ende kann man sogar der Menschen, sich selbst und dem Leben gegenüber Überdruss empfinden.

Überdruss bedeutet Abneigung und Widerwille gegen etwas, von dem man glaubt, man habe es zu oft erlebt oder sich zu viel damit beschäftigt. Wir haben genug, es hängt uns zum Halse heraus. Wir haben keine Lust mehr.
Überdruss kann dann zur Niedergeschlagenheit führen und am Ende in eine Depression.
Überdruss kann sogar so weit gehen, dass ein Mensch sich selbst tötet, wenn er das Leben als ein ewig Dahinplätscherndes empfindet, ohne Höhen und Tiefen, keinen Sinn mehr sieht und alle Hoffnung auf Veränderung verblichen ist.

Müde, gelangweilt, enttäuscht, verbittert – all das sind Gefühlszustände des Überdrusses. Abscheu, Ekel, Unbehagen, Lustlosigkeit, Unlust, Unwilligkeit, Antipathie, Aversion, Widerwille, Abneigung, Langeweile, Lethargie, Verbitterung – all das sind Befindlichkeiten geboren aus Überdruss. Manch Überdrüssiger ist dauerhaft passiv aggrressiv. Er läuft herum wir ein Pulverfass, immer kurz vor dem Explodieren. Weil es, verdammt noch mal, so wie es ist, einfach nicht mehr erträglich ist. Andere versinken im Alkohol, der das betäubende Gefühl des Überdrusses bis zur Unfühlbarkeit betäuben soll.

Der Überdruss ist lebensfeindlich. Der Neurotizismus des Überdrüssigen führt dazu, dass die Lebensfreude abstirbt. Nichts mehr von dem was das Leben lebenswert macht wird wahrgenommen. Das Gute, das Wahre und das Schöne wird bis zur Vernichtung seiner Existenz ausgeblendet – der überdrüssige Mensch ist blind und taub geworden gegenüber dem Leben und sich selbst. Nichts berührt ihn mehr und nichts lohnt sich für ihn es zu berühren. Es ist als würde ein Licht ausgehen und eine ewige Dämmerung hält Einzug. Am Ende – der gefühlte Tod im Leben.

Was dann?
Wie kommt ein Mensch da raus? Vorausgesetzt er ist bereit dazu.
Lebensüberdruss zeigt uns – so wie es ist, kann es nicht weiter gehen. Und so kann der Überdruss eine Chance sein.
Wenn wir Überdruss empfinden sind wir aufgerufen uns intensiv mit der Frage zu beschäftigen: Wer bin ich? Was ist der Sinn meines Lebens? Gibt es eine höhere Wirklichkeit? Und wenn es sie gibt - wie kann ich sie erfahren?
Was ist meine Begierde? Was sind meine Bedürfnisse? Woran mangelt es in meinem Leben und wo habe ich selbst Defizite, die dazu führen, dass ich der Dinge überdrüssig bin?
Was in mir will gelebt werden, was ich die ganze Zeit verdränge und mir selbst nicht eingestehe? Was kann ich kultivieren um mich wieder lebendig zu fühlen?
Die Krise des Überdrüssigen ist wie jede Krise eine Chance, wenn wir sie nutzen.

1 Kommentar:

  1. Ein Arzt hat mich mal gefragt, ob ich Drogen und/oder Alkohol zu mir nehmen würde,um meinen Zustand zu betäuben. Ich antwortete (wahrheitsgemäß) mit nein.. Er erwiderte "Gott sei Dank" o.Ä, denn , obwohl wir erst kurze zeit miteinander sprachen, hatte er das Gefühl, dass ich von meiner Persönlichkeitsstruktur schwer da wieder raus kommen würde bzw nicht in das Milieu passen würde

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