Freitag, 7. Dezember 2012

kann sein, kann nicht sein ...




boah. ich wusste es. je näher dieses weihnachtsfest an mich heranrückt, desto melancholischer werde ich. ich könnte jetzt sagen, das vergnügen traurig zu sein, wie es victor hugo, so treffend beschrieb, hat mich erfasst.

aber nein, kein vergnügen ist´s, denn in meiner melancholie liegt eine tönung von trauer. die ist wahrlich kein vergnügen. ich bin traurig, weil wieder ein jahr leben zu ende geht, weil ich wieder nicht geschafft habe, was ich mir am anfang des jahres heldenhaft und zuversichtlich ins tagebuch geschrieben habe, weil ich wieder ein jahr verlebt habe und der rest meines lebens wieder ein stückchen zusammenschrumpft. fazit: ich bin nicht fröhlicher geworden, nicht leichter, nicht erfolgreicher, ich habe nicht gesünder gelebt. die kippe glimmt auch jetzt im aschenbecher, während ich schreibe. ok, ich habe viel dazu gelernt in diesem jahr. das meiste war schmerzhaft, weil ich nicht hören will und besser fühlen kann. selbst schuld. ach ja, die schuld. auch sie hat mich in diesem jahr begleitet. jedes mal, wenn sie sich groß vor mir aufrichtete, habe ich sie gefragt, was sie immer noch von mir will, nach all der zeit, jetzt wo es doch gut ist, was ungut gewesen ist. sie will mich traurig machen, gedacht und irgendwann begriffen, dass sie mich lähmen will. sie lähmt, wenn ich sie nicht endlich los lasse, gedacht. ich habe geschafft sie manchmal loszulassen, über lange strecken sogar. sie ist kleiner geworden. die traurigkeit nicht.

in diesem jahr habe ich viel zeit mit meiner traurigkeit verbracht. auf dem papier, oder ich habe sie in die dateien des mac gepackt. schwarz auf weiß. und sie mir angesehen. ich habe sie wohl so lange angesehen, dass sie mir eine gute freundin geworden ist. es scheint, sie gehört zu mir und ich vermute mal, sie wird bei mir bleiben.

manchmal wenn ich rausgehe, denke ich, wende, sag mal, siehst du das nur so oder sind hier überall idioten unterwegs? das ist fies von mir, ich kenne die ja alle nicht, die, die ich für idioten halte. vielleicht bin ich der idiot. kann sein, kann nicht sein.

überhaupt, alles kann sein und alles kann nicht sein und alles kann anders sein. anders, als ich mir das denke, fühle oder wahrnehme, weil ich so denke, wie ich denke.

nein, das altern macht mich nicht milder. ich werde zynischer. auch das macht mich traurig. denn zynismus macht nicht schöner. er schneidet scharf ins gesicht. genau um den mund herum. der zieht sich dann nach unten. sieht nicht gut aus. sieht bitter aus. manchmal gucke ich in den spiegel und ertappe mich dabei, wie ich bitter gucke. dann verziehe ich den mund zu einem lächeln, das ich mir selbst nicht glaube. traurig ist das.

wenn du öfter so verbittert guckst, kannst du dich am ende selbst nicht mehr leiden, dachte ich, als ich dieser tage im bus saß und runter von meinem berg in die stadt fuhr. was sein musste, denn ich hatte etwas wichtiges zu besorgen. ich dachte es, als ich die frau sah, die mir gegenüber saß. eine mit genau diesen mundwinkeln, etwa in meinem alter. sie saß da, guckte die ganze zeit auf ihre schuhe und nahm nichts von dem wahr, was um sie herum passierte. nur ein mal, als an einer haltestelle eine junge mutter mit einem schreienden kleinkind zustieg, hob sie den blick, sah in richtung schreiendes kind und schüttelte mit einem bösen blick den kopf. das zog die mundwinkel gleich noch ein bisschen mehr nach unten.

ich weiß nichts über das leben dieser frau. ich habe keine ahnung, was sie so bitter aussehen lässt. aber ich weiß genug über mein leben. und ich bin mir bewusst, dass ich so nicht aussehen will. ob ich das schaffe?

als ich dann aus dem bus ausstieg und mich in die masse begab, die mich wie ein insekt in ihren schwirrenden schwarm aufnahm, dachte ich, hier will ich nicht sein. alles grau, trotz weihnachtsbeleuchtung. seltsam. das ist jedes jahr so. weil es so ist, oder weil ich es so sehe? auch das weiß ich nicht. aber ich fühle dieses grau, das sich ausbreitet in den seelenspiegeln gesichter. das ist traurig, neben all dem traurigen in mir. und ich sitze hier, weiß, dass ich heute abend auf die bühne gehe und meine melancholische performance zum weltuntergang machen werde, und frage mich: ist das in mir, bin ich der spiegel, oder das aussen? dringt das aussen in mich und spiegelt sich dann im aussen wieder?
traurig, es nicht zu wissen.

7 Kommentare:

  1. bitterwinter

    keine mandeln. mehr.
    alle verbraucht. verbacken.
    warum schmeckt es dennoch nicht
    süß?

    mo

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  2. und aller zucker dieser welt, liebe angelika, reicht höchstens aus, sie auf ein erträgliches maß zu entbittern ...
    genauso ist es mit der traurigkeit.

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  3. so ist es, liebe monika. aber das bittere, lässt uns das süsse erst schmecken ...

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  4. ja, das bittere lässt uns das süße erst schmecken ... wie wahr.
    und was für ein melancholischer, eindringlicher, leiser & weiser text, liebe angelika.
    bin mal wieder sehr berührt und nachdenklich hier "hängen geblieben".
    herzlich,
    diana

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  5. (ich weiß nicht, ob der kommentar durchgegangen ist, deshalb noch mal, falls doch, dann dieses bitte löschen! ;))

    ja, das bittere lässt uns das süße erst schmecken ... wie wahr.
    und was für ein melancholischer, eindringlicher, leiser und weiser text, liebe angelika.
    einmal mehr bin ich berührt und nachdenklich hier "hängen geblieben".
    herzlich,
    diana

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  6. liebe diana,

    alle kommentare gehen durch :-)
    und der deine berührt mich sehr.
    herzlich
    angelika

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