Mittwoch, 28. August 2024

Aus der Praxis: Entgiften

                                                                    

                                                            Zeichnung: A.Wende

 

 
Beziehungen enden. 
Gute Beziehungen enden meist im Guten, toxische Beziehungen enden immer toxisch.
Fatalerweise ist neben dem Liebeskummer nach dem Ende der toxischen Beziehung das Gift nicht sofort aus unserer Seele und unserem Körper verschwunden. Es ist wie beim Alkoholiker, der nichts mehr trinkt, aber immer noch Saufdruck hat. Die Sucht ist gestoppt, aber das Verlangen nicht. Der Süchtige ist zwar trocken, aber seine Gedanken drehen sich noch immer um den Alkohol, jetzt, weil er ihn nicht mehr trinken kann. Die Sehnsucht nach dem Glücksgefühl des Rausches beherrscht sein Denken und sein Fühlen. Der Verzicht ist ein Ritt durch die Hölle.
Der Körper schreit nach dem Hormoncocktail, den ihm die toxische Beziehung mit dem Alkohol durch ihre Ups und Downs verschafft hat. Adrenalin, Cortisol, Noradrenalin im steten Wechsel mit Dopamin und all den anderen herrlichen Glückshormonen woran sich der gesamte Organismus gewöhnt hat, bleiben aus. Besonders das Dopamin fehlt. Welch eine quälende Sehnsucht, die keine Heimat findet in sich selbst. 
 
Wie der Alkoholiker fallen wir nach dem Ende einer toxischen in das Abstinenzloch. Wir sind auf kaltem Entzug. Der Suchtdruck ist immens hoch und lässt sich mit nichts kompensieren. Wir denken ständig an unser Suchtmittel – in dem Fall an den oder die BeziehungspartnerIn.
Wir sind nicht clean.
Und es dauert lange bis wir es wieder werden – körperlich und seelisch. Wir müssen entgiften.
Die Seele trudelt im leeren Raum. Sie hat ihren Fixpunkt verloren. Das Universum Beziehung, das der Mittelpunkt der Welt war, hat sich aufgelöst. Wir fühlen uns, als hätte man uns ins weite All torpediert und da treiben wir vor uns hin, haltlos, voller Schmerz, Trauer, Verzweiflung und Angst. Ein richtig mieses Gefühl ist das. Und das ist noch milde formuliert.
Es wird nicht besser, egal was wir machen, egal mit wem oder womit wie wir uns ablenken, wir kommen nirgendwo an, vor allem – wir kommen nicht mehr bei uns selbst an. Wir haben uns selbst komplett in der Beziehung verloren und nach ihrem Ende gibt es nichts mehr, was uns von dieser gefühlten Erkenntnis ablenkt.
Das ist brutal und hart. Das wünscht sich niemand.
Das braucht niemand.
 
Oder doch?
Geben wir dem Drama einen Sinn, hat es den Sinn, dass es genau darum geht: Um ein falsches Selbst, das sich verloren hat und jetzt finden darf. Ein Selbst, das sich nur in Beziehung als wertvoll, gesehen, anerkannt, geborgen, geliebt fühlt, das in der inneren Überzeugung lebt, alleine nichts zu sein und emotional nicht überleben zu können. Ein falsches Selbst, das den anderen braucht wie eine Droge um sich seiner Existenz zu vergewissern, weil es nichts hat, was es von Innen hält, das emotional abhängig ist wie ein Kind von seinen Bindungspersonen und in Angst und Panik gerät, sobald sie aus seinem Blickfeld verschwinden.
Trennungsschmerz und Liebeskummer, besonders nach toxischen Beziehungen, zieht uns wie ein Sog zurück in die Kindheit. Dorthin wo sichere und liebevolle Bindung nicht gelungen ist. Er reißt alte Wunden und Traumata auf oder macht sie uns erst bewusst. Er zeigt uns das Ungelöste, Verdrängte, nicht Verwundene unserer frühen Wunden. Er zeigt uns unsere Überlebensstrategien, die wir vielleicht erst durch diesen Schmerz erkennen, obwohl wir sie ein halbes Leben lang unbewusst angewendet haben, weil wir es nicht besser machen konnten, für uns selbst um das Unerträgliche erträglich zu machen. Er zeigt uns, was wir über Liebe gelernt haben, was wir für Liebe halten und was Liebe nicht ist. Er zeigt uns, was wir verdrängt oder abgespalten haben und was in uns, uns immer wieder in toxische Beziehungen zieht. Beziehungen, die genauso instabil, unsicher gebunden, schmerzhaft und traumatisch sind wir die Beziehungserfahrung unserer Kindheit. All das dürfen wir jetzt erkennen, betrauern, bedauern und verarbeiten, um endlich das zu erlangen, was uns all die Zeit nicht gelungen ist – Selbstermächtigung, was nichts anderes bedeutet, als die Formierung eines Selbst, das sich seiner bewusst ist, das sich selbst halten kann, sich selbst achtet und wertschätzt, das seine Werte, seine Grenzen und seine Standards kennen lernt, sie herausbildet und sich nicht mehr ans Brauchen und Gebrauchtwerden werden um jeden Preis klammert, um emotional zu überleben. Ein Selbst, das sich selbst nicht mehr so mies behandelt wie man es als Kind behandelt hat. Ein Selbst, das sich seiner Würde und seiner Größe bewusst ist.


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