Foto: A.Wende
Neulich sage ich zu einem Freund: Ich habe Angst. Seine Antwort war: Das sind nur deine Gedanken! Du kannst deine Gefühle selbst steuern.
Eine Diskussion habe ich uns erspart, weil ich weiß, dass er felsenfest davon überzeugt ist, dass es so ist. Im Gegensatz zu mir.
Unsere Gedanken beeinflussen unsere Gefühle und unser Verhalten. In dieser Reihenfolge. So lautet die Grundidee aus der kognitiven Verhaltenstherapie.
Das würde meinem Freund Recht geben. Das würde bedeuten: Ich denke zuerst Angst und fühle sie dann. Auch das ist möglich, aber es geschieht eben auch andersrum: Ich fühle Angst und dann wird sie zu einem Gedanken, den ich in Worte fasse und ausspreche.
Ich fühlte Angst, ich dachte ich sie nicht. Und meine Angst hatte einen Auslöser. Sie kam nicht über einen Gedanken. Eine solche Angst ist keine gedanklich erzeugte Angst, sondern eine direkte emotionale. Sie kam durch einen Trigger, der sehr alt ist.
Wäre es immer andersrum wäre es so einfach.
Wenn es mir stets gelänge meine Gedanken zu wählen oder zu kontrollieren, hätte ich damit die Kontrolle über meine Gefühle. Wäre es so einfach würden wir alle Menschen ganz einfach „heilen“ können und sie hätten ein gutes Leben. Ich weiß aus meiner eigenen Erfahrung und der mit all den Menschen die ich kenne und den KlientInnen, die ich schon begleiten durfte, dass es nicht so einfach funktioniert.
Manche Gefühle können so stark sein, dass sie die Gedankenkontrolle verhindern.
Das hat einen Grund: Starke Gefühle hemmen den präfontalen Kortex und damit die Kontrollinstanz unseres Gehirns. Je stärker sie sind, desto stärker die Hemmung.
Ein Gefühl entsteht durch einen Auslöser, einen Reiz oder einen sogenannten Trigger, wie man in der Traumatherapie sagt. Kommt von Aussen ein Reiz reagieren wir emotional, was bedeutet: Noch bevor wir überhaupt einen Gedanken denken, sprich ein Gedanke im Bewusstsein auftaucht, ist da das Gefühl, welches der Reiz auslöst.
Und dieses Gefühl schießt geradewegs aus der Amygdala in unser System.
Die Amygdala, der Mandelkern gehört zum limbischen System. Das Limbische System bezeichnet den Bereich des Gehirns, der sich zwischen dem Neocortex und dem Hirnstamm befindet. Es ist das Zentrum aller Emotionen. Es hat Einfluss auf die vegetativen Funktionen unseres Organismus, auf unser Gedächtnis und unsere Merkfähigkeit. Die Amygdala ist das Kerngebiet im Temporallappen, das mit unseren Emotionen und emotionalen Erfahrungen in Verbindung gebracht wird, es speichert sie, bewertet automatisch die emotionale Qualität eines Reizes oder einer Situation und reagiert - besonders auf Bedrohung.
Die Amygdala ordnet einen Reiz, je heftiger er ist, blitzschnell ein. Je öfter wir auf diesen bestimmten Reiz anspringen, desto blitzartiger die Reaktion. Sie ist so schnell, dass wir den Raum zwischen Reiz und Reaktion nicht wahrnehmen können. Wir reagieren, ohne unseren gedanklichen Einfluss. Es entsteht reines Gefühl, sprich eine unbewusste emotionale Reaktion. Und dieses Gefühl ist dann erst einmal da – vor dem Gedanken.
So hat der französische Hirnforscher LeDoux Anfang der Neunziger Jahre herausgefunden, dass es vom Thalamus, der die Wahrnehmungen sammelt, einen direkten Zugang zum Mandelkern gibt, wo die Gefühle sitzen. Das heißt: Alles, was wir wahrnehmen, wird direkt ins limbische System geschaltet, von dort bewertet und dann entsteht zuerst eine gefühlsmäßige Reaktion. Mit einiger Verzögerung läuft die Wahrnehmungen dann über den Neo Kortex und erst dann folgt eine gedankliche Bewertung unserer Wahrnehmung.
Wir fühlen UND wir denken. Und meist fühlen wir bevor wir überhaupt zum Denken kommen.
Gut so, denn es macht klar wie sehr wir Menschen doch emotionale Wesen sind und keine Computer, die man programmiert oder eben mal schnell umprogrammiert, wenn das alte Programm nicht funktioniert oder hinderlich ist. Nicht nur gut, denn jetzt haben wir ein Problem: Nämlich, dass wir gar nicht so viel kontrollieren können, wie so manche glauben oder versprechen, schon gar nicht unsere Gefühle indem wir sie wegdenken oder schön denken, wenn sie uns missfallen.
Mich beruhigt das. Und viele meiner Klienten beruhigt das, denn das heißt, sie dürfen ihre Gefühle ernst nehmen und sie hören auf sich selbst Druck zu machen, weil sie nicht „richtig“ denken, sondern richtig tief fühlen.
So ein bisschen Wissen über die Hirnforschung ist absolut hilfreich, wenn man sich mit der Psyche beschäftigt. Zum einen folgt man nicht blind irgendwelchen Versprechen in Sachen Mind Control, die in der Praxis an der Realität zerbröseln, zum anderen begreift man, dass das Menschliche an sich weitaus komplizierter und komplexer ist, als manche meinen.
Heißt das jetzt, wir sind unseren Gefühlen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert? Sind wir hilflose Opfer unserer Amygdala?
Nein, das heißt es nicht.
Unser Denken kann im Nachhinein unsere Gefühle verändern.
Nur so kontrollierbar wie wir es gerne hätten, sind wir Menschen samt unserem Gedanken und Gefühlen, eben nicht. Wir können unsere Gefühle nicht abstellen, aber wir können lernen unsere Gefühle bewusst wahrzunehmen und dann mittels unseres Denkens an ihnen arbeiten um einen gesunden Umgang mit uns selbst und unserer inneren Welt zu finden. Aber das ist ein langer Prozess, der bei jedem anders verläuft, denn nicht alles wirkt bei jedem in gleicher Weise oder im gleichen Tempo. Dazu sind wir Menschen viel zu verschieden in unseren Anlagen, unseren Genen, unserem Charakter, unseren Erfahrungen, unserer Sozialisation, unserer Psyche, unserer Resilienz, unseren Prägungen, unseren Bindungserfahrungen, unseren Schicksalsschlägen, unseren Traumata und, und, und …
Ich könnte jetzt noch stundenlang weiter schreiben, aber der Text ist schon lang genug.
Ich hoffe er ist hilfreich, wenn Ihr Euch mal wieder selbst runter macht, weil ihr angeblich „falsch“ denkt.
Ehrlich und authentisch geschrieben;)
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