Freitag, 11. September 2020

Aus der Praxis – Die Generalisierte Angststörung

 

                                                                  Foto: A. Wende

 

Meine Klientin leidet unter Ängsten, die immer unerträglicher werden. Sie hat Panikattacken und zeigt depressive Symptome. Sie traut sich nichts mehr zu. Sie macht immer weniger von dem, was sie früher gerne gemacht hat, weil sie Angst hat sich wegen der Aerosole im Fitnessstudio oder in geschlossenen Räumen mit Covid 19 zu infizieren. Seit Corona ist ihr Zustand schlimmer geworden, sagt sie. Auch ihren Beruf kann sie nicht mehr ausüben, da sie als Künstlerin keine Arbeit mehr hat. Sie verbringt daher die meiste Zeit allein zuhause und hat kaum Freunde. Sie sagt, die Einsamkeit empfinde sie als Bedrohung. Ihr Leben wird immer enger und das mache ihr noch mehr Angst. Wenn alles so bleibt will sie nicht mehr leben. Die Angst sei so groß, dass sie an manchen Tagen völlig gelähmt sei, sich ständig Sorgen mache und nichts Sinnvolles mehr tun kann. Sie habe schon immer Ängste gehabt, eigentlich seit sie ein Kind ist. Die Angst war ihr lebenslanger Begleiter. Nur wenn sie in Beziehung ist, sei diese Angst kleiner. Sobald sie allein ist empfinde sie das Leben als bedrohlich. Sie könne sich auch nicht wirklich freuen oder es genießen, wenn es ihr mal gut geht, sofort kommt dann der Gedanke: Das bleibt so nicht, das Unglück kann jeden Moment  über sie hereinbrechen. Sie erzählt aus ihrer Kindheit. Das Mädchen wächst mit einer Mutter auf, die stark hypochondrisch ist. Es verbringt viel Zeit in Wartezimmern von Ärzten. Es erlebt eine Mutter, die ständig Angst hat, eine unheilbare Krankheit zu haben. Die Mutter ist so fixiert auf ihr eigenes Leid, das sie das Kind und seine Bedürfnisse nicht wahrnehmen kann. Der Vater ist aggressiv, er trinkt und ist mit der Mutter überfordert. Es gibt ständig Streit.  

Meine Klientin leidet unter einer Generalisierten Angststörung (GAS).

 

Risikofaktoren für eine GAS sind, neben einem ängstlichen Temperament, Lernerfahrungen, die zu einer ängstlichen Sicht auf die eigene Person und die Welt beigetragen haben. Betroffenen fehlt aufgrund dieser Lernerfahrungen das tragende Fundament, um in der Unberechenbarkeit der Welt zu bestehen.  

 

Von einer GAS betroffen sind oft Menschen, die durch die Unsicherheiten des Lebens mehr als andere belastet sind: Sie haben wenig Vertrauen in sich selbst und ihre eigene Problemlösungskompetenz.  

Sie haben eine besorgte Erwartungshaltung hinsichtlich potenzieller Gefahren entwickelt, deren Ursprung meist in einer Kindheit liegt, in der es keinen Halt und keine sicheren Bindungserfahrungen gab. Oft sind ihre Bezugspersonen selbst ängstlich vermeidende Persönlichkeiten oder sie sind in einem Milieu aufgewachsen, das aufgrund von ständigem Streit, Aggression oder Suchterkrankungen eines Elternteils oder beider Elternteile, unberechenbar und bedrohlich war. Viele von ihnen haben emotionalen oder auch körperlichen Missbrauch erfahren. Ihr gefühltes und verinnerlichtes Bild von Welt ist Bedrohung. Daher bildet sich bei diesen Menschen eine verzerrte Einschätzung von Bedrohungen aus. Sie erleben die Welt und das Leben grundsätzlich als unkontrollierbar und voller Gefahren. Sie nehmen schon als Kind, bedingt durch ein unberechenbares, emotional instabiles Umfeld, eine Haltung der ständigen Wachsamkeit ein, die sich bis ins Erwachsenenalter aufrecht erhält. Kommen dann Lebenskrisen, akute Belastungen oder gar Bedrohungen hinzu, wie bei meiner Klientin das Infektionsrisiko durch das Corona Virus, kann dies dazu führen, dass die Dauerangst auch dann nicht mehr abklingt, selbst wenn keine akute Belastung besteht. Der Körper steht über Jahre unter hormonellem Dauerstrom, was dazu führt, dass die Angst immer mehr Raum findet um sich auszubreiten. Um mit der Angst, es könnte etwas Schlimmes passieren umgehen zu können, beginnen Betroffene übermäßig viel über ihre Befürchtungen nachzudenken. Unbewusst hoffen sie dadurch, zukünftige Gefahren oder Bedrohungen berechnen und so verhindern zu können oder zumindest auf ein kommendes Unglück vorbereitet zu sein.  Was natürlich nicht möglich ist. Sie wissen das, aber das sich Sorgen machen fungiert bei der GAS paradoxerweise als Problemlösungsstrategie. 

 

Im Mittelpunkt der generalisierten Angststörung steht immer das sich Sorgen. 

Dabei ist es gar nicht der Inhalt der Sorgen, der entscheidend ist. Menschen mit GAS sorgen sich über die gleichen Dinge wie Menschen ohne große Ängste. Der Unterschied liegt im Ausmaß der Sorgen und im Maße indem sie das Leben beeinträchtigen. Das Ausmaß ist so groß, dass sich Betroffene mehrere Stunden am Tag und in der Nacht Sorgen machen. Ihr System befindet sich in permanenter Alarmbereitschaft. Die Folge davon sind: Schlafstörungen, chronische Erschöpfung, Muskelverspannungen, innere Unruhe, Herz- Kreislauf Probleme, Magen–Darm Störungen, übermäßige Nervosität und Konzentrationsstörungen.  

 

Dennoch, so sehr sie auch leiden, sie können mit dem sich Sorgen nicht aufhören. Es wird zu einer Sucht. Und zwar genau aus oben genanntem Grund: Sich ge­danklich mit seinen Befürchtun­gen zu beschäftigen, dämpft das Angsterleben. 

So beginnen sie, sich immer exzessiver zu sorgen. Der Teufelskreis nimmt kein Ende und die Seele findet keinen Frieden. Gedanklich werden immer wieder alle möglichen Katastrophenszenarien durchgespielt. Das Ende vom Lied: Die Sorgen nehmen immer weiter zu. Somit wird das Sorgen selbst zur Belastung. Viele Betroffene versuchen, das sich Sorgen in den Griff zu bekom­men, indem sie Auslöser mei­den, wie meine Klientin, indem sie immer mehr Situationen vermeidet, die für sie im Zweifel potentiell gefährlich sind. Manche neigen auch dazu sich Rückversicherungen bei vertrauten Menschen einzuholen, was aber nur eine kurzfristige Entlastung mit sich bringt, oder sie versuchen ihre Angstgedanken zu unterdrücken, indem sie sich ständig mit etwas beschäftigen und sich keine Ruhe gönnen. Sobald sie nämlich zur Ruhe kommen dreht sich sofort das Sorgenkarussell in ihrem Kopf.  

 

All diese Strategien sind leider nur kurzfristig entlastend, aber unangemessen um das Problem zu lösen. Auf Dauer verstärken sie das Problem sogar, weil die zugrundeliegenden Ängste abgewehrt werden, anstatt sie anzuschauen, sie zu verarbeiten und einen hilfreichen angemessenen Um­gang mit ihnen zu erlernen. Wird das nicht getan entwickelt sich zusätzlich eine negative Überzeugungen über das sich Sorgen. Gedanken wie: „Ich habe nichts mehr unter Kontrolle oder, „wenn ich weiter so lebe, werde ich krank oder verrückt“. Diese Gedanken führen zu zusätzlichen Ängsten. Betroffene landen in einer dauernden ängstlichen Erwartungshaltung mit einem permanent hohen seelischen und körperlichen Erregungsniveau. Die destruktive Angstspirale nimmt kein Ende mehr.  

 

Was hilft bei einer Generalisierten Angststörung?

Alle Interventionen, die direkt an den Sorgen ansetzen. Wie zum Beispiel die sogenannte Sorgenkonfrontation, bei welcher der Betroffene lernt, seine Sorgen konzentriert und bewusst zu Ende zu den­ken. Hilfreich sind auch alle Entspannungsverfah­ren, wie z.B. Mediation und Achtsamkeit. Zudem ist es hilfreich sich feste Zeiten einzurichten, an denen man sich sorgt, d.h. alle Sorgen auf diesen Zeitpunkt (Sorgenzeiten) zu verschieben. Vor allem aber müssen die Urängste, die zur GAS geführt haben angeschaut und verarbeitet werden. Es hilft wenig am Symptom herumzudoktern, der Weg geht in die Tiefe der eigenen Biografie. Es ist ein langer Weg, aber er führt am Ende wenn es gelingt, dazu, dass die Angst zwar nicht vollends verschwindet, aber nicht mehr das Leben beherrscht.

Meine Klientin ist auf dem Weg ...

 

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