Montag, 26. Dezember 2022

Aus der Praxis: Das Gefühl von Getrenntsein überwinden und Verbundenheit erleben

 

 

Ebenso wie das Autonomiebedürfnis ist Verbundenheit ein in uns angelegtes zutiefst menschliches Bedürfnis. Wir verbinden Verbundenheit mit Verständnis, Geborgenheit, Sicherheit, Zugehörigkeit, Zuneigung, Resonanz und Liebe. Wenn wir verbunden sind, fühlen wir uns nicht allein, nicht getrennt von anderen oder von uns selbst. Die Sehnsucht nach Verbundenheit ist im Grunde der Wunsch nach unserem ursprünglichen Sein. Denn in Wahrheit sind wir mit allem verbunden.

 

Das Bedürfnis nach Bindung und Verbundenheit und Bindung beginnt mit dem Moment in dem wir in diese Welt geboren werden. 

Erfahren wir im Mutterleib und nach der Geburt Verbundenheit und gesunde Bindung nicht, nur sehr wenig, oder Bindung als verletzend und schmerzlich, sind unsere Bezugspersonen emotional nicht erreichbar, erleben wir keine Resonanz auf unser Sein, können wir Verbundenheit nicht oder nur sehr begrenzt fühlen. 

Ich bin in all den Jahren meiner Arbeit vielen Menschen begegnet, die sich mit nichts und niemanden tief verbunden fühlen. Auch wenn sie ausreichend soziale Kontakte haben, einen Partner, eine Familie, Kinder - sie fühlen sich nicht verbunden. In ihnen herrscht ein kaum zu begreifendes Gefühl der inneren Einsamkeit und Leere, selbst, wenn die Dinge gelingen und das Leben eigentlich in Ordnung ist. Es ist als wäre im Zentrum der Seele etwas wie ein tiefe Sinnlosigkeit, als würde alles ins Leere laufen. Ein andauerndes Gefühl der Sinnlosigkeit und Vergeblichkeit beherrscht das Selbst, als wäre Bindung und Liebe nur für andere möglich.

Das wonach sich diese Menschen sehnen scheint ihnen unerreichbar, eine innere Beteiligung stellt sich nicht ein. Das kann sie auch nicht, weil sie es ja nicht kennen, nicht wissen, wie sich Verbundenheit anfühlt, nicht wissen, wie Bindung gelingt. Da ist eine Leerstelle in der Seele und zugleich ein tiefer Schmerz der Ohnmacht und der Verlassenheit. Dies führt nicht selten zur Unfähigkeit sich auf etwas oder Jemanden wirklich einzulassen oder im anderen Falle zu einer ständigen Suche nach dem Du, das die Leerstelle füllen soll, was nicht selten in eine unheilsame emotionale Abhängigkeit, bzw. Co-abhängigkeit führt.

 

Was kann uns helfen das Gefühl von Getrenntsein zu überwinden und Verbundenheit zu erleben?

„Schon die Sehnsucht nach Liebe ist Liebe“, schreibt Antoine de Exupery.

"Schon die Sehnsucht nach Verbundenheit ist Verbundenheit", könnte man meinen.

So einfach ist es nicht.

Allein die Sehnsucht nach Verbundenheit und Bindung stellt sie nicht her. 

Auch wenn wir diese schmerzhafte Sehnsucht annehmen und uns mit uns selbst emotional verbinden, stellt sich nicht Verbindung ein. Denn das ist ja genau das Grundthema: Wer Verbundenheit nicht erfahren hat, kann sie in sich selbst nicht herstellen. Das wäre zwar wundervoll, ist aber nicht oder nur sehr begrenzt möglich, auch wenn so manche spirituelle Berater und Coaches uns das weismachen wollen.

Es funktoniert nicht. 


Die Frustrationserfahrungen sind zu tief verankert. Sie sind zutiefst traumatisch, die frühen Beziehungen zu leblos, weil resonanzlos.  

Die eigene Lebendigkeit, die Liebe und die Verbindung, nach der sich gesehnt wurde, ist hinter einer undurchdringlichen Mauer verkümmert – ein kaum erträglicher traumatischer Schmerz, der außerordentlich beharrlich ist. 

Was kann helfen diesen Schmerz zu lindern?

Wir müssen fühlen wie verletzt wir sind, wie enttäuscht wir sind von unseren Bezugspersonen. Wir müssen uns frei machen von dem, was wir verinnerlicht haben, nämlich: Leere ist Beziehung. 

Wir müssen anerkennen, dass die Verbundenheit, die wir ersehnt haben, niemals existierte. Wir müssen uns in einem schmerzvollen Trauerprozess von der kindlichen Sehnsucht nach den liebenden Bezugspersonen und der unheilsamen inneren Verstrickung mit ihnen lösen.

 

Alleine schafft das kaum jemand von uns. In den meisten Fällen braucht es eine vertrauensvolle, lange, geduldige und mitfühlende Beziehungserfahrung – eine stabile Verbindung mit einem professionellen Gegenüber. Es braucht hoffnungsvolle Trauer- und Traumaarbeit, denn was in Beziehung verletzt wurde kann nur in Beziehung heilen. Es braucht den Glauben, dass es etwas in uns gibt, was sich entwickeln will, ein Ja zum Leben und die Entwicklung hin zu unserem wahrem Selbst, durch die Loslösung von einer unerfüllten Sehnsucht eines falschen Selbst, das sich durch die destruktive Beziehungserfahrung herausgebildet hat.  

 

 

 


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