Sonntag, 10. November 2019

Warum bleiben einfacher ist als gehen


Foto: Angelika Wende

Glücklich sind wir längst nicht mehr. Wenn ich genau überlege gibt es im letzten Jahr kaum Momente in denen ich mit ihr glücklich war.  Wir streiten oder schweigen uns an, wir sind genervt, manchmal sind wir sogar respektlos zueinander. Glücklich, nein glücklich bin ich nicht. Aber ich schaffe es nicht zu gehen.
Mein Klient schaut mich an: Bin ich zu feige um mich zu trennen? 

Eine gute Frage.
Diese Frage stellen sich so manche von uns, wenn eine Beziehung sich nicht mehr gut anfühlt. Aber wie mein Klient, sind wir nicht in der Lage uns einzugestehen: Die Beziehung ist am Ende angelangt. Es geht nicht mehr. Wir müssen uns trennen.
Und dennoch tun wir es nicht.

Ist bleiben also besser als gehen?

Besser nicht, aber einfacher.
Besser sicher nicht, denn wer bleibt schon gerne dort, wo er sich nicht mehr geborgen, verstanden, gesehen, respektiert, begehrt, lebendig und geliebt fühlt? Dort wo ein täglicher Kleinkrieg herrscht, der immer neue Schauplätze aufmacht, auf denen sich die Enttäuschung, die Wut und die Trauer über das längst verlorene Glück der Zweisamkeit entlädt. 
Keiner von uns. Und trotzdem, es ist kaum zu glauben wie viele Menschen mit ihrer Beziehung unzufrieden sind und bleiben.

Manche legen sich einen Liebhaber oder eine Geliebte zu. Kleine Fluchten um den großen Ausstieg nicht vollziehen zu müssen. 
Trostpflaster für ein totes Liebesleben emotional und sexuell. Es wird gelogen und betrogen um auszuhalten, was nicht aushaltbar ist, es wird erträglich gemacht, was nicht erträglich ist. Würden wir gehen, müssten wir uns entscheiden. 
Wer sich nicht entscheidet, entscheidet sich trotzdem. Er bleibt.

Wer bleibt, bleibt aus Angst.  
Angst vor diesem Moment wo er aussprechen könnte was wahr ist, nämlich, dass er nicht mehr glücklich ist, sich nicht mehr wertgeschätzt, nicht mehr gesehen, nicht mehr geliebt fühlt und selbst nicht mehr wertschätzt, sieht und liebt. Angst vor dem Moment der Stille, die dann eintritt und den Diskussionen, die der Stille folgen.
Und dann die große Stille, die rießige Leere, die der Erleichterung folgt, wenn der andere weg ist. Das wollen wir nicht aushalten.
Wir fürchten uns vor der Einsamkeit, die dem Alleinsein folgen könnte, für immer vielleicht. 
Dass da noch mal ein Mensch kommt, der wirklich zu uns passt? Daran zu glauben fällt schwer. Die Erfahrung sagt: Es wird nicht viel besser, allenfalls anders.
Bleiben scheint also besser als Einsamkeit, das Schreckgespenst, das uns in den Käfig unguter Beziehungen einschließt und uns das Verlassen des Käfigs schwer macht.

Und dann ist da ja noch das liebe Geld, das man dann selbst verdienen müsste, der Luxus und die Bequemlichkeit die man dann aufgeben müsste. 
Da sind vielleicht die Kinder die darunter leiden und die Probleme von Kindeswohl und Kindessorge.  Nein, dann lieber bleiben und dem anderen und sich selbst weiter etwas vormachen oder weiter kalte oder heiße Kriege führen, die auf Dauer unendlich müde machen und das Leben und die Gesichtszüge immer bitterer. Von der Gesundheit ganz zu schweigen.

Es ist viel was Menschen in Kauf nehmen anstatt sich selbst gegenüber ehrlich zu sein. Nur, wer sich selbst gegenüber nicht ehrlich ist belügt den anderen genauso wie sich selbst.

Wir bleiben weil bleiben einfacher ist als gehen und weil das Verlassen der Komfortzone um einiges bedrohlicher erscheint als das Erlangen des eigenen Seelenheils durch die Gestaltung des eigenen Lebens. Zugegeben: Das ist auch nicht einfach.
Aber ist das ein Grund dort zu bleiben wo das Klima vor Lug und Betrug energetisch verdorben ist, wo Jammern, Klagen und Beklagen Dritten gegenüber die Mittel der Wahl sind um sich von all den destruktiven Gefühlen zu entlasten, die so eine abgelebte oder eine destruktive Beziehung mit sich bringt?
Ja. In der Tat. Für viele ist es das.
Viele bleiben. Sie bleiben solange es noch den kleinsten Benefit gibt
Sie erfinden hunderte von Ausreden um das Kleine nicht als das zu erkennen was es in Wahrheit ist – die eigene Kleinheit. Die mutlose Kleinheit, die feige Kleinheit, die große Angst vor dem Unbekannten, dem Loslassen, dem auf sich selbst gestellt sein, die dazu bringt, das eigene Leben zu vergeuden, weil die Bereitschaft fehlt es in die Hand zu nehmen und es wahrhaftig den eigenen Werten nach zu leben und zu gestalten und zwar mit allen unschönen Konsequenzen.
Mit Liebe hat Bleiben hier nichts mehr zu tun.

Übrigens: Liebe und Beziehung sind nicht eins.
Ich kann einen Menschen lieben und feststellen – wir passen nicht zusammen.
Ich kann erkennen: Bei aller Liebe, wir sind dermaßen konträr in allem was wir tun, wollen und leben. Unsere Werte und Bedürfnisse sind nicht kompatibel, wir schauen nicht in die gleiche Richtung.

Liebe allein genügt nicht um miteinander ein gutes Leben zu haben.

Das ist ein Irrglaube.
Und ein Grund warum viele Beziehungen scheitern, die aus Liebe Beziehung machen.
Die Liebe nutzt sich im alltäglichen Kampf nämlich langsam aber gründlich ab.
Und da wo nur Beziehung ohne Liebe ist, nutzt sich die Seele langsam aber gründlich ab.








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