Mittwoch, 27. November 2019

"Ich bin gelähmt" – Wenn wir in der Frust-Paralyse feststecken




Foto: Thinking Minds



Meine Klientin ist eine kluge, attraktive und hochqualifizierte junge Frau. Sie ist seit einem Jahr ohne Job. Sie ist krank. Sie bekommt massiven Druck von Außen. Sie soll machen, sich bewerben, sie soll endlich wieder funktionieren, hört sie von allen Seiten. Aber sie funktioniert nicht. Sie ist nicht einmal mehr fähig eine Bewerbung zu schreiben, geschweige denn sie abzuschicken. Es könnte ja nicht klappen. Sie könnte ja scheitern, sie könnte den Erwartungen nicht gerecht werden. Sie ist ja schon einmal gescheitert, damals als sie den Job verloren hat und dann auch noch krank wurde. Meine Klientin ist seelisch und mental am Ende. Sie traut sich nicht mehr zu etwas verändern zu können. Und je weniger sie handelt, desto schlechter wird ihr Zustand. Das zersetzende Gefühl: „Ich komme da nicht mehr raus“, führt zur Lähmung. Ihr Selbstwertgefühl ist auf dem Nullpunkt. Sie ist blockiert und total frustriert.

Wir alle kennen diese nagende Gefühl, das uns die Lebensenergie und die Zuversicht raubt: Frust.  
Wir tun was wir können und es klappt nicht. Wir haben Hoffnung und sie ist vergeblich. Wir haben einen Traum und er zerbricht an der Realität. Wir tun und machen und erreichen nicht das gewünschte Ergebnis. Wir hoffen auf Veränderung und es tut sich nichts. Wir wünschen und unsere Wünsche erfüllen sich nicht. Wir kämpfen und verlieren. Wir geben viel und bekommen wenig oder nichts zurück. Geschehen solche Erlebnisse häufiger oder gehäuft, landen wir wie meine Klientin, in einer Frust-Paralyse.

Frust-Paralyse klingt ungut. Und zwar so ungut wie sie sich anfühlt. 
Der Begriff Frust, von lat. frustra = vergeblich bzw. frustratio = Täuschung einer Erwartung, steht für einen unfreiwilligen Verzicht, dem eine Erwartung oder ein Wunsch vorausgegangen ist oder ein vergebliches Unterfangen. In der Psychologie folgt Frustration als emotionale Antwort auf einen inneren oder einen äußeren Widerstand. Frustration steht in enger Beziehung zur Enttäuschung. Je größer die Erwartungshaltung, desto massiver ist die Enttäuschung. Es kommt zur Frustration.

Es gibt innere und äußere Gründe für Frustration.  
Zur inneren Frustration kommt es immer dann, wenn wir unter einem Mangel leiden. Wenn sich also unsere Sehnsüchte oder Wünsche nicht erfüllen. Auch ein mangelndes Selbstwertgefühl oder Ängste führen zu Frustration. Ebenso können zwischenmenschliche Konflikte die Ursache für Frustration sein. Äußere Gründe für Frustration hängen mit dem Außen zusammen, das heißt: Wenn sich im Außen Widerstände zeigen, die wir glauben nicht zu überwinden zu können oder für die wir keine Lösung finden.

Je größer die Erwartungshaltung, desto massiver ist die Frustration. 
Enttäuschungen sind völlig normal, sie gehören zum Leben und sie sind meistens von kurzer Dauer. Mit der Verarbeitung der Enttäuschung legt sich erfahrungsgemäß auch unser Frust. 
Aber jeder von uns denkt, fühlt und reagiert anders. Was der eine locker wegsteckt führt beim anderen im schlimmsten Falle zu einer tiefen Krise.
Bei den meisten von uns führt Frustration zu Gefühlen wie Ohnmacht, Ärger, Wut oder Trauer, oder eins nach dem anderen, oder im Wechsel das eine oder das andere. Manche Menschen haben eine sehr geringe Frustrationstoleranz. Sie sind leichter und häufiger enttäuscht als andere. Sie neigen zu permanenten Ärgergefühlen, die sich in passiver Aggression oder in unkontrollierbaren Wutausbrüchen zeigen. Bei wieder anderen führt anhaltende Frustration sogar in eine Depression.

Bleiben wir über lange Zeit im Frust stecken entwickelt sich daraus eine sogenannte Frust-Paralyse.  
Was bedeutet das? 
Paralysiert durch Frust ist ein Mensch, der vor lauter Niederlagen völlig desillusioniert, sämtliche Bemühungen sich aus seiner Lage zu befreien, einstellt. Er ist am Boden zerstört und gelähmt. Er wird handlungsunfähig. „Frustration ist der Beginn der Kapitulation", schreibt der Denker Justus Vogt. Er hat Recht: Ein Mensch, der kapituliert hat verloren und zwar sich selbst. Wenn wir glauben keinerlei Handlungsoptionen mehr zu haben stecken wir mitten in einer Frust-Paralyse.

Es gibt mehrere Ursachen, die zur Frust-Paralyse führen können. In den meisten Fällen spielen mehrere Ursachen und Faktoren zusammen. Auf zwei davon möchte ich hier eingehen.

Perfektionismus  
Oft sind es übersteigerte Erwartungen an uns selbst, die uns blockieren. Wir wollen es perfekt machen. Und weil nie etwas perfekt sein kann, hinterfragen wir ständig was wir tun. Wir sind extrem selbstkritisch und selbstverurteilend. Wir verlieren uns in einem perfekten Bild unseres Selbst, welches der Realität nicht standhalten kann. Und dann geben wir irgendwann frustriert auf.  

Menschen die zu Perfektionismus neigen haben ein geringes Selbstwertgefühl, geboren aus der inneren Überzeugung, nicht gut genug zu sein oder nicht zu genügen. 
Diese Überzeugung führt dazu, dass sie alles perfekt machen wollen, was dann aber eben nie gelingt, weil es in ihren Augen nicht perfekt ist. Niemals. Ein derart hoher Perfektionsanspruch ist das sicherste Mittel um dauerhaft unglücklich zu sein, Dieser Mensch wird letztendlich immer wieder an sich selbst scheitern. Der Perfektionist definiert sich über die eigene Leistung. Er führt einen kräftezehrenden inneren Kampf, den er nicht gewinnen kann. Es wird immer jemanden geben, der etwas besser kann als er selbst. Es wird immer etwas geben, das besser ist, als er es macht. 

Der Perfektionist grübelt ständig über ein Problem oder eine Aufgabe nach. Sein Denken findet kein Ende. Bevor er etwas in Angriff nimmt wird analysiert, geplant und organisiert. Aus Angst eine falsche Entscheidung zu treffen, prokastiniert er oder er tut am Ende gar nichts von dem, was er sich vorgenommen hat. Tragischerweise empfindet der Perfektionist die Tatsache, dass er nicht immer der Beste ist und dass es immer möglich ist etwas besser zu machen als persönliches Scheitern und Versagen. 

Perfektionisten haben ständig Angst, Fehler zu machen. Ein Versagen bedeutet für sie die Vernichtung der ganzen Person. Sie kennen nur ein „perfekt" oder „schlecht" - dazwischen gibt es für sie nichts. Schon kleinste Fehler bedeuten für sie Versagen. Deshalb überprüfen sie alles mehrfach aus Angst Fehler zu machen. Dadurch, dass sie versuchen immer alles zu bedenken, verlieren sie sich in Details, sie verzetteln sie sich.
Traurig ist - die meisten Perfektionisten analysieren ihre Fehler nicht. Daher gewinnen sie auch keine Erkenntnisse, sondern sehen nur die eigene Unfähigkeit für die sie sich dann verurteilen. Ein Teufelskreis, der schwer zu durchbrechen ist und der seinen Urgrund in einer Kindheit hat, in der das Kind den Eltern nichts Recht machen konnte. Um die Anerkennung der Eltern zu erlangen und die innere Frustration abzuwehren, versuchten diese Kinder immer besser zu werden. Egal was sie tun, es reicht dem beurteilenden Blick der Eltern nicht. Dieses Denk- und Verhaltensmuster bleibt dann bis ins Erwachsenenalter erhalten.   
 
Erwartungen 
Es sind also auch die überzogenen Erwartungen, die andere an uns haben und denen wir in ihren Augen nicht gerecht werden können, die uns frustrieren. Das macht Druck, das schafft Selbstzweifel, das führt dazu, dass wir unsere ganze Energie in das Beweisen – ich bin gut genug – hineingeben und uns nach dem Bild richten, das andere gerne von uns hätten. Eltern zum Beispiel, die ihre eigenen Erwartungen den Kindern überstülpen um sie zum Erfüllungsgehilfen für ihre vergeigten Ziele, Wünsche und Träume zu machen. 
Fatal, wenn dann das erwachsene Kind nicht so spurt wie sie es wollen, für sich selbst wollen. Das Kind fungiert als erweitertes Objekt ihres narzisstischen Selbst. Es muss scheitern, denn einem Übervater oder einer Übermutter kann es nichts recht machen. Es verliert angesichts der an es gestellten hohen Erwartungen das Gefühl für sich selbst, es weiß nicht einmal mehr was es selbst will und wer es ist. Es lebt in einem falschen Selbst und muss scheitern – denn: „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“, wie Adorno so treffend formulierte. 

Genau das ist das Thema meiner Klientin. Sie lebt wie viele von uns im falschen Leben. Beladen von einer Kindheit, die ihr wahres Selbst verbeult und schwer ramponiert hat. 
Es ist kein leichtes Unterfangen einem Menschen mit einem so fetten Über-Ich sich selbst nahezubringen. Die Angst von den Eltern loszulassen ist größer als die Angst sich selbst aufzugeben, denn das hat er ja als Kind längst getan. Das innere Kind spürt, dass es sich selbst verloren hat und es hat panische Angst auch noch die Liebe der Eltern zu verlieren und mutterseelenallein und verlassen da zu stehen, ohne Halt und Orientierung, auch wenn diese Orientierung zerstörerische Wirkungen auf seine Seele hatte und hat.

Meine Klientin muss sich befreien, denn tut sie es nicht, wird sich nichts ändern. Ich sage hier bewusst „muss“ anstatt „darf", denn es ist lebenswichtig für sie zu ihrem wahren Selbst zu finden um endlich ein selbstbestimmtes Leben führen und gestalten zu können. Es ist lebenswichtig für sie herauszufinden, wer sie war, bevor man ihr wahres Selbst gebrochen hat. 
Der Weg für Menschen mit solchen existentiellen Themen wie sie meine Klientin hat, ist lang und kein einfacher. Denn Menschen, die derart psychisch belastet sind, können schlecht mit Rückschlägen umgehen. Sie vergraben sich im Leiden. Statt mit einer gesunden Zuversicht und dem festen Glauben an sich selbst davon auszugehen, dass die Dinge sich zum besseren entwickeln, blicken sie verunsichert und ängstlich in die Zukunft. Was gut gelaufen ist und was gut ist, können sie nur schwer oder gar nicht sehen. 

Sie leben in einer Art Dauerfrust, gefühlt in der Identität des Opfers, die Rolle, die man ihnen übertragen hat. Sie sind nur schwer in der Lage den eigenen Handlungs- und Einflussbereich zu  begreifen und zu nutzen. Meist verfügen sie zudem über wenig Selbstdisziplin und Durchhaltevermögen. Sie erwarten insgeheim unmittelbare Belohnung wo Geduld und Langmut angesagt sind -  und vor allem Arbeit an sich selbst. Das bedeutet u.a, das eigene Verhalten zu reflektieren und zu analysieren und die unbedingte Bereitschaft es zum eigenen Wohl zu verändern. Das bedeutet auch die Konsequenzen zu tragen, welche die Veränderung nach sich zieht. Es bedeutet die Angst zu überwinden sich aus der Komfortzone herauszubewegen und darauf zu vertrauen, das genau das der richtige Weg ist um sich selbst zu entwickeln. Gelingt das nicht gibt es kaum einen Ausweg aus der Lähmung der Frust-Paralyse. 
Meine Klientin und ich haben noch viel zu tun.





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