Es
war ein eiskalter Morgen im März. Ich stand auf dem Münchner Hauptfriedhof
am Grab meiner Mutter und fühlte nichts. Ich stand da, wie festgeklebt auf dem
gefrorenen Boden und starrte abwechselnd in das schwarze Loch in das sie
gleich den Sarg hinunterlassen würden und auf die viel zu großen schwarzen
Schuhe an meinen Füßen, die meinem Vater gehörten. Er hatte sie mir geliehen,
weil ich vergessen hatte, meine einzupacken. Während ich so da stand,
überrollte mich ein Gefühl, das mir die Luft abschnürte. Nach Atem ringend,
dachte ich: Das ist dein Leben Paul, du gehst in Schuhen, die dir nicht passen.
Das war der Moment in dem ich beschloss aus
diesem Leben auszusteigen. Aber mir war klar, so einfach würde ich den Ausstieg
nicht schaffen. Man geht nicht so einfach, man streift Menschen, die einen
lieben und an die man gewöhnt ist, nicht ab wie ein Paar zu große Schuhe. Da
sind Erinnerungen, die dich fest halten, da ist das Versprechen, das du gegeben
hast, da sind die Verpflichtungen, die du eingegangen bist und da ist das Schuldgefühl,
das hochkriecht bei dem Gedanken, diese Menschen alleine zu lassen, sie zu
verlassen. Und warum? Weil man selbst es nicht mehr aushält wie es ist.
Ich war im Begriff ein Verräter zu werden.
Ich war bereit gegen die Moral der Spießerwelt in der ich dahinvegetierte, zu
verstoßen, bereit mich selbst auszustoßen, ohne zu wissen, wohin das führen
würde. Das Gefühl von Leere in diesen zu großen Schuhen an meinen Füßen war so
unerträglich wie mein Leben. Ich musste da raus, sonst würde ich vor die Hunde
gehen und dort landen wo jetzt gleich meine tote Mutter landen würde – in einem
schwarzen Loch. Ich musste leben bevor ich sterben musste. Ich spürte wie mir plötzlich die Tränen in die Augen schossen, ja, ich wollte leben. Das Bittere war, ich wusste nicht einmal mehr, was das bedeutete.
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