Dienstag, 3. August 2010

Casanova





Ich sitze in der Ecke auf dem einzigen bequemen Sessel in Toms Atelier, schaue gelangweilt aus dem Fenster auf das Biebricher Rheinufer und bin schon beim das vierten Glas Wasser. Vor zwei Monaten habe ich beschlossen keinen Alkohol mehr zu trinken, weil er mir nicht gut tut und weil ich schon zu viele Zigaretten rauche, die meinem Körper Ungutes zu tun. Irgendwie tut das Wasser trinken auch nicht gut, vor allem wenn die anderen sich mit Wein und Bier zuschütten und ich ihrem Alkoholgutelaunegerede so gar nicht folgen kann. Über Blödsinnigkeiten lachen gelingt mir sowieso nicht, das klappte auch nicht als ich noch mitgetrunken habe. Party Small Talk inspiriert mich auch mit Alkohol nicht wirklich, also ist es eigentlich egal, ob ich Wasser oder Wein trinke, wobei, Wein schmeckt besser. Ich sitze also da und denke über den Wein nach, den ich nicht mehr trinke und langweile mich, was ich gar nicht leiden kann.

Weil ich nichts Besseres zu tun habe beobachte ich den schönen Pascal, den alle Mr. Nespresso nennen, weil er George Clooney verblüffend ähnlich sieht. Er ist ein paar Jahre jünger als Clooney, aber das schadet ja nichts. Pascal, alias Clooney, sitzt wie ich etwas verloren herum und wie ich trinkt er Wasser. Ich kenne Pascal schon eine ganze Weile. Er ist Ingenieur und arbeitet nebenbei als Model. Ich finde Pascal durchaus attraktiv, aber nicht spannend genug um mich näher mit ihm zu befassen. Wenn wir uns begegnen sagen wir uns ein freundliches Hallo und damit ist es dann auch schon gut.

Meistens ist Pascal allein unterwegs. Da er sich angeblich über Frauenmangel nicht beklagen kann, das sagen jedenfalls Tom und die Anderen, wundere ich mich jedes Mal, dass der Frauenüberfluss in seinem Leben in der Öffentlichkeit nicht sichtbar ist. Pascal ist eine one man show, und das immer und überall, jedenfalls überall wo ich auch bin.

Ich langweile mich immer noch. Langeweile hat die Eigenschaft, dass sie seltsame Blüten treibt. Bei mir jedenfalls ist das so. Ich mache dann Dinge, die ich in einem anderen Gemütszustand nicht einmal andenken würde. Soll ich oder soll ich nicht, überprüfe ich mich und werfe, ob meiner Unentschiedenheit, einen Blick auf die Uhr, die an der Decke von Toms Atelier hängt. Tom hat eine Vorliebe für ausgefallene Hängungen, nicht nur was seine Fotografien angeht. Ich registriere es ist erst neun Uhr, entschieden zu früh um nach Hause zu gehen.

Also Pascal, entscheide ich, erhebe mich vom Sessel, gehe direkt auf ihn zu und setze mich neben ihn. Überrascht schaut er mich an und schüttelt den Kopf: „Du gibst mir die Ehre?“ Ich lächle freundlich in sein ungläubiges Nespresso Gesicht um ihn nicht zu verschrecken: „Warum nicht, wir langweilen uns scheinbar beide.“ Pascal sagt einen langen Moment nichts. Er denkt nach, sichtbar. „Weißt Du, ich bin so verdammt müde.“ Leicht irritiert von seinem Bekenntnis, hole ich eine Zigarette aus der Schachtel, in Tom´s Atelier darf der Mensch noch rauchen und muss nicht draußen bleiben, und lasse mein Zippo aufschnappen. Ganz Gentleman nimmt Pascal mir das Feuerzeug aus der Hand und zündet mir die Kippe an. „Ich rauche nicht, ich trinke nicht und Lust auf Sex habe ich auch nicht“, verkündet er mit einem tiefen Seufzer. „Wieso dass denn?“, frage ich. „Ich habe es satt“, meint er und nippt an seinem Wasserglas.

Inzwischen tanzen alle auf „The show must go on“, von Fredy Mercury. Tom hat die Anlage voll aufgedreht. Ich muss genau zuhören um Pascal zu verstehen. Ich könnte auch näher rücken, aber das geht nicht, ich mag sein Eau de Toilette nicht, habe ich grade festgestellt. Die Chemie stimmt nicht, ich habe es geahnt.

„Ich habe im Moment Vier. „Vier was?“ „Na, vier Frauen am Start“, grinst er und holt, mir scheinbar Skepsis vom Gesicht ablesend, dabei höre ich jetzt nur schlechter, es ist aber auch laut hier, zwecks Antritt der Beweisführung, ein nagelneues I Phone aus der Hosentasche seines dunkelblauen Designeranzugs. „Du, das ist verdammt stressig. Ich muss aufpassen, dass ich da nix verwechsle, das ist Schwerstarbeit, wenn du dich auf jede einstellen musst, ein Fehler beim SMS Versenden kann da leicht passieren und dann hat man ein Problem.“ Im Zweifel gleich mehrere“, denke ich. Er wedelt mit dem I Phone wie mit einer Trophäe in der beringten Hand vor meinem Gesicht herum. „Guck selbst!“ Stolz zeigt mir Pascal vier Kurzmitteilungen mit jeweils anderen Worten, aber irgendwie doch sehr ähnlichem Inhalt. Alle Absenderinnen wollen das Gleiche - ein Wiedersehen mit Pascal und alle wollen es schnell.

„Tja, das sind die Leiden des Don Juan“, grinse ich jetzt und nehme den Don Juan sofort zurück. „Nein, du bist eher ein Casanova.“ Pascal reißt die Augen auf: „Wo ist denn da der Unterschied?“ Der Unterschied ist, dass Don Juan ein berechnender Schönredner ist. Sein Ziel ist die Frauen zu verführen und dann zu demütigen, um sich selbst aufzuwerten. Casanova ist eine arme Sau, er sucht die Eine, die Einzige, die er lieben kann. Und mit dieser idealen Frau vergleicht er alle anderen. Pascal nickt stumm und nimmt einen Schluck Wasser aus seinem Glas.

„Ja, das stimmt. Da ist was dran.“ Mit einem Anflug von Resignation in den Augen steckt er das I Phone in die Hosentasche zurück. Er hat meine Sympathie. Das Wort Sympathie kommt aus dem Griechischen und bedeutet übrigens so viel gemeinsames Leiden. Er tut mir leid. Ich mir auch, manchmal jedenfalls. Ich sehne mich nach dem Richtigen. Ich hatte ihn auch einmal gefunden und eine lange Zeit mit ihm gelebt, aber irgendetwas ging schief, weil immer etwas schief geht, aber darüber nachzudenken warum es schief ging, habe ich schon lange aufgeben, weil die Warum Frage nichts hilft. Seither begegnen mir statt dem Richtigen, was wenn es den nur einmal gab, aber den Gedanken vergesse ich jetzt gleich wieder, think positive, jede Menge Don Juans oder Casanovas. Ich habe also Erfahrung mit dieser Spezies.
 
„Vielleicht liegt es an dir, du erwartest zu viel. Du weißt wie es sein kann und misst das, was möglich ist, an dem was einmal war“. „Schon möglich, kann sehr gut sein. Meine zwei Kumpels haben auch kein Glück. Anfang vierzig, geschieden und seitdem Dauersingle. Die wandern von einer zur anderen, aber so was wie eine Beziehung kriegen die auch nicht mehr hin. Wir hängen jedes Wochenende in den Frankfurter Bars rum. Cherchez la Femme, verstehst du? Die Beiden strengen sich an wie blöd, ab und zu mal ein One Night Stand und das wars. Ich sitze einfach nur entspannt da und die Weiber kommen von alleine. Ich sehe halt gut aus und wirke vertrauenswürdig. Und außerdem sehe ich aus wie George Clooney, sagen jedenfalls alle, da läuft Kopfkino bei den Damen. Sie kommen von ganz allein und ich spule ein Programm ab. Ich gebe mich cool und bin charmant. Dabei bin ich gar nicht cool. Verstehst Du, ich wirke nur so. Das ist meine Maske. Dahinter bin ich ein völlig anderer. Eben nicht cool. Wenn ich allein bin kriege ich manchmal das heulende Elend.“ Selbstmitleidig guckt er aus dem akkurat gebügelten lachsfarbenen Oberhemd.

„Dann zieh sie doch mal ab, die Maske und schau was dann passiert“, schlage ich vor. „ Du verstehst dass nicht, das ist wie ein Programm. Es startet sich quasi von allein. Die Weiber müssen nur den entsprechenden Knopf drücken und es ist aktiviert. Selbstläufer.“ Aha“, murmle ich und denke nach. Ich komme aber nicht lange dazu, weil Pascal ohne Luft zu holen weiterredet. „Verdammt, Du glaubst es nicht, aber ich habe immer noch ihre Fotos auf dem Desktop vom Laptop. Sie sieht heute nicht mal mehr so aus wie damals. Mittlerweile ist sie ist verheiratet und hat zwei Kinder. Dick ist sie auch geworden. Ich kriege bei jeder kleinen Speckrolle schon die Krise und renne ins Fitnessstudio“, grinst er, fasst sich dabei an den Bauch und nimmt die Haut unter dem lachsfarbenen Hemd zwischen Zeige- und Mittelfinger: „Guck, kein einziges Röllchen.“

„Und das in deinem Alter, das ist eine Leistung“, zolle ich ihm die erhoffte Bewunderung. „Tja, haha, ein guter Hahn wird selten fett“, lacht er jovial. Das passt jetzt aber ganz und gar nicht zur charmanten Attitude des Nespressomannes. Vielleicht liegt es ja daran, dass er bei mir das Programm nicht abspult, weil ich den Knopf nicht drücke, denke ich.

„Weißt Du, ich vergleiche die alle mit ihr. Ich weiß, dass das doof ist und den Weibern gegenüber unfair, aber ich kann nicht anders. Die geben mir nix“. „Aber du gibst ihnen anscheinend was, sonst hättest du ja nicht gleich vier zur Auswahl“. “Ne du, ich treff mich mit ihnen, sie erzählen und ich höre zu. Irgendwie hoffen die alle, dass ich sie rette. Manchmal schlafe ich nicht mal mit ihnen. Kein Bock. Ich liege einfach da und lass sie machen. Eine von denen ist verheiratet. Sie meint ich würde ihr helfen aus ihrer kaputten Ehe raus zu kommen. Dabei will ich das gar nicht, wenn die ihren Mann verlässt erwartet sie, dass ich sie auffange. Das geht gar nicht. Ich brauche jemand der mich rettet. Ich habe manchmal richtige Depressionen, glaub mir.“

Ich glaube ihm. Casanovas sind glaubhafter als Don Juans, aber genauso unheilbar, aber das nur nebenbei. Ich stecke mir noch eine Zigarette an. Der Nespressoman vergisst mir Feuer zu geben.„Deshalb habe ich keine Lust mehr auf Sex, weil die was von mir erwarten. „Du lebst jetzt also ohne Sex?“, frage ich. Pascal schüttelt den Kopf: „Naja, ich hab´s jedenfalls mal vor. Verstehste nicht, das ist das Programm. Ich kann es nicht abstellen. So, ich hol mit jetzt doch mal ein Bier“, meint er, steht auf und geht zur Bar, wo eine schlanke Rothaarige steht, die ihn schon die ganze Zeit über anlächelt. Wie langweilig, denke ich und rufe mir ein Taxi. Auf dem Heimweg denke ich an ein Zitat von Ingeborg Bachmann: "Die Männer sind unheilbar krank." Wie sie das wohl gemeint hat?